Viele - insbesondere ältere - Leipziger werden in den nächsten Wochen etwas verwirrt im Hausflur stehen und ihre Zeitung suchen. Viele werden auch die ihnen bekannte Hotline anrufen und sich beschweren, dass ihre Zeitung nicht gekommen ist. Aber zwei Zeitungen werden ab dieser Woche nicht mehr ausgeliefert in Leipzig: der "Leipziger Wochenkurier" und die "hallo! Leipzig".

Die beiden Ausgaben dieser Leipziger Anzeigenblätter vom 24. und vom 27. Juli wiesen noch nicht darauf hin, dass hier ein weiteres Stück Leipziger Mediengeschichte zu Ende ging. Der “Wochenkurier” erfreute seine Leser am Mittwoch, 24. Juli, noch mit einer Geschichte zum kommenden Schulanfang: “Mein erster Schultag war schrecklich”. Aber 10 Seiten sind auch in der Saure-Gurken-Zeit nicht wirklich ein Zeichen für belastbare Umsätze.

“Die “hallo! Leipzig” vom Samstag, 27. Juli, kam bei kleinerem Format auf 12 Seiten, wirkte aber erstaunlich dick, war sie doch vollgestopft mit Beilagen. Es gab mal Zeiten in Leipzig, da konnten gedruckte Zeitungen mit Beilagen richtig viel Geld verdienen. Diese Zeiten sind lange her, die Preise im Keller. Auch die “hallo! Leipzig” gab ihren Lesern kein Zeichen, dass da etwas im Gange war. “‘Krieg und Frieden’ als Sechserpack” titelte sie.

Die Nachricht, dass es beide Blätter ab jetzt nicht mehr geben wird, gab es am Samstag, 27. Juli, auf der Website des Wochenkurier. “Entgegen allen Anstrengungen im hart umkämpften Leipziger Print- und Werbemarkt ist es Verlag, Geschäftsführung und MitarbeiterInnen nicht gelungen, den zuletzt deutlichen Verlust unserer Marktanteile auszugleichen”, vermeldet dort die Geschäftsführung der Leipziger Wochenkurier Verlagsgesellschaft mbH & Co.KG. Was ein wenig auch verrät, wie dieser Verlag am Ende getickt hat und gestrickt war. Wann hat man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesagt, dass Finito ist? – Wahrscheinlich in einer eilig zusammengetrommelten Betriebsversammlung am Freitag. So dass nicht einmal Zeit blieb, wenigstens mit den letzten Ausgaben stilvoll Abschied zu nehmen. “Die Geschäftsführung hat sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt mit neuen Ideen und Geschäftsfeldern die Zukunft des Verlages zu sichern. Leider waren diese Aktivitäten vergeblich; unsere Blätter mit neuem Leben zu erfüllen haben unsere Leser und unsere Anzeigenkunden nicht überzeugt.”Zu diesen Ideen gehörten dann wohl auch Magazine “Wie meine Heimat Neuseenland” und “Meine Heimat Muldental”, die noch in der “Wochenkurier”-Ausgabe vom 24. Juli beigelegt waren. Auch im Internet wollte man ganz zum Schluss noch irgendwie den Fuß auf den Boden bekommen und das Programm auch auf Wochenend-Berichterstattung erweitern. Viel zu spät. Auch solche Strategien brauchen ihre Zeit.

Das Problem bei Anzeigenblättern sind logischerweise immer die Anzeigenkunden. Und die große Zeit der Leipziger Anzeigenblätter waren die frühen 1990er Jahre, als sich in Leipzig so etwas wie eine eigenständige Unternehmerschaft entwickelte. Wer konnte, gründete ein Unternehmen, eröffnete oder übernahm einen Laden. Der Markt war noch nicht verteilt und die Leipziger hatten erstmals richtiges Geld in der Tasche, das sie auch ausgeben wollten. Und große Handelsketten, die einen Kundenstamm aufbauen wollten, brauchten den Kontakt zu den möglichen Kunden. Möglichst flächendeckend, in jedem Flur und in jedem Haushalt. Daher stammen die gigantischen Auflagen der Anzeigenblätter.

Zuletzt wies der “Wochenkurier Leipzig” noch 258.815 gedruckte Exemplare für Leipzig aus – Gesamtauflage für die ganze Region: 479.509. Die “hallo! Leipzig” hatte 233.340. Mitte der 1990er beherrschten sie den Markt der Leipziger Anzeigenblätter, in emsiger Konkurrenz. Dritter Spieler auf diesem Markt war die “Leipziger Rundschau”, der Ableger der “Leipziger Volkszeitung”. Die änderte damals ihre Strategie. Sie wollte – nachdem mit der “Leipziger Morgenpost” der letzte Versuch gescheitert war, eine weitere Tageszeitung auf dem Leipziger Markt zu platzieren – nun auch den Markt der Anzeigenblätter komplett an sich ziehen. Dafür gründete sie 1998 eine neue Zeitung mit dem beschaulichen Titel “Sachsen Sonntag”. Die “Leipziger Rundschau” wurde im Format halbiert. Damit konnte man schon einmal niedrigere Seitenpreise anbieten. Aber man machte der Konkurrenz auch vor, wie man die Produktionskosten senkt: Man verschlankte die Redaktionen und auch den Stamm der freien Mitarbeiter. Und man arbeitete fleißiger mit fertigen Pressemitteilungen.

Die Zeitungskrise, wie sie heute so gern besungen wird, begann schon in den 1990er Jahren. Und sie hat sehr viel damit zu tun, dass clevere Geschäftsführungen damals deutschlandweit begannen, auch Printprodukte auf Gewinnmaximierung umzustellen. In Leipzig verband sich das spätestens ab diesem Zeitpunkt mit einem systematischen Unterbieten der Anzeigenpreise. Im Grunde ein Wettbewerb, bei dem als Letzter überlebt, wer das meiste Geld in der Kriegskasse hat. Und wer keins mehr hat, der verkauft. Die “hallo! Leipzig” wurde von einem Chemnitzer Verlag übernommen, der WVD Mediengruppe. Was nicht wirklich viel half. Das Blatt blieb schmal, der Webauftritt hat bis heute das Design der 1990er Jahre.

Vor wenigen Jahren stieg die WVD dann auch noch beim “Wochenkurier Leipzig” ein, die Mitarbeiter zogen in der Gerberstraße 15 in den Büros des “Wochenkurier” zusammen. Aber man änderte an den Strukturen der beiden Blätter nichts. Das nennt man eine verpasste Chance. Solche Umbrüche nutzt man nicht nur, um die üblichen Einspareffekte zu generieren. Man gibt solcherart zusammengelegten Produkten auch ein gemeinsames Gesicht, formt den Markenkern neu. Aber das ist nicht passiert.

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Den Rest besorgte dann der übliche Leipziger Markt mit den beiden immer dickeren Anzeigenblatt-Ablegern der LVZ, die zwar nicht mehr Inhalt boten, dafür die Leipziger sehr wohl daran gewöhnten, dass in so einem Blatt auch 10, 15 oder 20 Prozent redaktioneller Anteil genügen. Mehr bleibt auch nicht übrig, wenn man Kunden immer weiter rabattiert. Ein Vorgehen, das sich noch verschärfte, je mehr die Leipziger Unternehmerschaft, die auf Werbung angewiesen war, ausdünnte. Seit dem Ende der 1990er Jahren verdrängten systematisch große Handelsketten die vielen bis dahin noch ausdauernden Leipziger Einzelhändler vom Markt. Die Ketten kennt jeder. Sie sind so groß, dass sie nicht einmal mehr auf Anzeigenblätter angewiesen sind. Sie lassen ihre Prospekte von eigenen Verteilersystemen in die Hausflure schmeißen.

Wenn Anzeigenblätter dagegen keine neue, wirklich neue Strategie finden – und das immer neue Zerren an immer denselben Anzeigenkunden ist keine neue Strategie – dann geht die Schere auseinander. Anfangs vielleicht nur ein wenig, so dass sich die Rechner in der Geschäftsleitung sagen: Das Loch in der Sommerakquise, das gleichen wir dann im Herbst oder im Weihnachtsgeschäft wieder aus. Saisonale Wellentäler gehören im Anzeigengeschäft dazu. Aber was passiert, wenn das Weihnachtsgeschäft nicht mehr ausreicht, die Sommerlöcher zu stopfen?

Irgendwann kann man auch ein Anzeigenblatt nicht weiter “down sizen”. 200.000 Zeitungen zu drucken und zu vertreiben kostet Geld. Das ist der größte Kostenblock. Aber den kann man nicht durch Verkleinerung der Auflage schrumpfen, denn den Kunden verkauft man ja Hunderttausende gedruckte und verteilte Exemplare.

Die Leipziger WochenKurier Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG hat jetzt die Reißleine gezogen. Für die Mitarbeiter ohne Ausweichangebot. Das einzige, was übrig bleibt, ist das “Amtsblatt”. Den Auftrag der Stadt Leipzig, das “Amtsblatt” zu produzieren, hat die WVD Mediengruppe.

Den Markt der Leipziger Anzeigenblätter hat – nach nunmehr genau 15 Jahren zähen Ringens – die Leipziger Anzeigenblatt Verlag GmbH & Co KG ganz für sich allein, Tochter der Leipziger Verlags – und Druckereigesellschaft mbH & Co. KG (LVDG) mit ihrem Flaggschiff “LVZ”. Ob sie die Preise, die sie in diesem zähen Ringen in den Keller getrieben hat, nun wieder erhöhen kann, ist eher fraglich. Längst hat dieser “Kampf über die Preise” auch die “LVZ” selbst in Mitleidenschaft gezogen. Sie sieht an manchen Tagen längst selbst wie ein Anzeigenblatt aus.

Der Abschied von “Wochenkurier” und “hallo!”:
www.wochenkurier.info
www.hallo-leipzig.de

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