Wie wenig der Inhalt einer LVZ-Titelgeschichte am 5. Juni mit dem tatsächlichen Inhalt einer Pressekonferenz von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 4. Juni zu tun hatte, darüber hat die L-IZ am 7. Juni berichtet. Da war die "Nachricht", die keine war, schon ins Sächsische Verkehrsministerium und in den "Focus" gewabert. Und am 10. Juni zitierte die LVZ dann auch gleich mal ihren Wirtschaftsbürgermeister, der das mit der Blauen Plakette gar nicht toll findet.

Ist das jetzt ein Versprecher oder ein Verschreiber? – Nicht wirklich. An solchen Geschichten wird recht exemplarisch, wie eng der Kreislauf der Selbstbespiegelung zwischen Leipzigs CDU und der Leipziger Volkszeitung ist, die gern so tut, als würden ihre Geschichten stadtweite Debatten anregen. Was schon lange nicht mehr der Fall ist. Aber man kann ja einfach mal behaupten, dass es eine Debatte gibt. Oder um die LVZ vom 10. Juni zu zitieren: “Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU) hält die aktuelle Debatte um die Einführung einer blauen Plakette (die LVZ berichtete) ‘für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt für kontraproduktiv’.”

Es gibt gar keine Debatte. Außer in jenem kleinen Kreis, den man die LVZ-Community nennen könnte.

Dass auch Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU) nicht wirklich im Stoff steht, lässt seine zitierte Reaktion vermuten: “Derartige Überlegungen seien nicht nur höchst wirtschaftsfeindlich, weil sie sowohl ‘gegen unsere Premiumhersteller als auch gegen den Mittelstand gerichtet sind’, sie seien auch unsozial und würden diejenigen treffen, die nicht in der Lage sein werden, sich einen Neuwagen zu leisten, der ‘diese utopischen Grenzwerte erreichen kann’.”

Denn utopisch ist an den Grenzwerten nichts. Auch “unsere Premiumhersteller” können sie problemlos erreichen. Und müssen sie übrigens auch: Ab Herbst gelten die Normen der Blauen Plakette für alle Neuwagen. Was aber noch nichts mit der Umweltzone zu tun hat. Für die gilt nach wie vor die Grüne Plakette. Und eines hat Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) am 4. Juni auf keinen Fall gesagt: Dass er die Blaue Plakette einführen möchte in der Leipziger Umweltzone.Aber wenn die Zeitung nun mal eine Debatte suggeriert, springt zumindest die CDU auf. Am Mittwoch, 11. Juni, hat das CDU-Stadtrat Konrad Riedel getan, der den Leipzigern auch im neu gewählten Stadtrat erhalten bleiben wird.

“Die Einführung einer ‘Blauen Plakette’ führt zur immensen Beeinträchtigung der Wirtschaftskraft Leipzigs und zur weiteren sozialen Verwerfung, denn eine ‘Super-Plakette’ schließt automatisch einen großen Teil der Leipziger Bürgerinnen und Bürger von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus – oder werden die blauen, pardon: Blaue-Plaketten-Erfinder persönlich Kosten für Leipziger mit zu wenig Geld übernehmen?!”, haut er per Pressemitteilung in die Kerbe, die die LVZ mit ihrem Artikel geschlagen hat. Dass der Aktionismus nicht bei Leipzigs Stadtverwaltung liegt, stand ja nicht drin. Riedel: “Die aktionistische Drohung ist jedenfalls keine Lösung, sondern nur weiterer Beleg für die Diktatur, mit der ‘Grüne’ und weit vom normalen Leben entfernte Politiker sich als die besseren Menschen und Oberlehrer über andere erheben wollen. Ein klassisches Beispiel ist die ständige Diskussion um 30er-Zonen. Jeder weiß inzwischen – und es ist wissenschaftlich belegt -, daß diese mehr Schadstoffe bringen. Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht formuliert die Scheinlösung eines Problems höchst treffend. Richtig ist, daß nichts mit Ver- und Geboten gelöst werden kann, sondern durchdachtes und gezieltes Fördern und Stimulieren zu Änderungen führt. Doch wen wundert es, daß “Gebieter” und Stadtverwaltungen die Bürger lieber direkt belasten wollen? Abgesehen von dem ‘Nutzen’ daß ein paar Euro dann doch immer irgendwo für etwas abfallen, das nichts mit dem Umweltschutz zu tun hat: Statt zum Erfolg führt die Zwangsplakettierung im realen Leben eher zum Gegenteil. Die CDU-Fraktion im Stadtrat steht hinter ihrem Bürgermeister und wird mit ihm nach vernünftigen Lösungen suchen, um Schaden von unserer Heimatstadt abzuwenden.”

Und wo hat Konrad Riedel das mit dem wissenschaftlichen Beweis für mehr Schadstoffe in Tempo-30-Zonen her? – Aus der anderen Zeitung, die er liest, der “Bild”. Die hat immer wieder gern die Argumentation des ADAC aufgegriffen, der ganz im Sinne der Auto-Schnellfahrerlobby argumentierte.

Nachzulesen zum Beispiel hier für 2010:

www.bild.de/regional/leipzig/leipzig/tempo-30-kostet-9101716.bild.html

Die Geschichte wird regelmäßig wieder aufgewärmt. Ungefähr nach dem Motto: Wenn man es nur oft genug wiederholt, wird es irgendwann die Wahrheit sein. Der ADAC ist zwar alles Mögliche vom Lobbyverein bis hin zum Busbetreiber – eine wissenschaftliche Institution ist er nicht.

Mit dem Thema auseinander gesetzt hat sich die L-IZ schon 2009, als der ADAC sich natürlich auch in die Leipziger Debatte um Tempo-30-Zonen einmischte. Den Text dazu finden Sie hier im Artikel “Tempo 30 in Leipzig: Keine Schadstofferhöhung, dafür weniger Lärm und weniger Unfälle“. Die Leipziger Verkehrsplanung hat sich dann doch lieber an die Messungen von Ämtern und Instituten gehalten und nicht auf den ADAC gehört.

Am skurrilsten ist dann an der Meldung der LVZ vom 10. Juni eigentlich die Überschrift: “Blaue Plakette: Albrecht kritisiert Debatte”. Da die Debatte aber nur in der LVZ geführt wird, ist das also so eine Art Selbstkritik, oder?

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