"Die Entwicklung der SBZ in der unmittelbaren Nachkriegszeit ließ, trotz der Herrschaft der Besatzungsmacht, die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung möglich erscheinen", sagt der Historiker Ivo Nußbicker im L-IZ-Interview. Im Rahmen der Leipziger Vorträge zur Stadtgeschichte spricht Nußbicker am 21. März 2013 über "Leipzig unterm Roten Stern".

Herr Nußbicker, Sie beschäftigen sich in Ihrem Vortrag schwerpunktmäßig mit der sowjetischen Besatzung Leipzigs zwischen 1945 und 1949. Inwieweit wurde der Besatzungswechsel von den USA zur Sowjetunion Anfang Juli 1945 denn in der Öffentlichkeit als Zäsur wahrgenommen?

Obwohl es bereits seit Anfang Juni 1945 Hinweise auf den bevorstehenden Besatzungswechsel gegeben hatte, kam der Abzug der Amerikaner für die Mehrzahl der Bewohner Leipzigs überraschend. Im Stadtbild manifestierte er sich am Verschwinden der mit “Salonsoldaten” gefüllten Jeeps Richtung Westen und dem Einzug der Panjewagen der Roten Armee.

Ein weiteres Zeichen war die Ende Juli beginnende Ausschilderung der Straßen in russischer Sprache, die auch verdeutlichte, dass man sich auf eine längere Besatzungszeit einrichtete.

Auch die Stadtteilgruppen des antifaschistischen Blocks konnten nach dem Besatzungswechsel wieder frei agieren und nutzten diese Möglichkeiten zur Umsetzung ihrer Vorstellung der Nachkriegsordnung, was sie allerdings schnell in einen Gegensatz zu der neuen sowjetischen Stadtkommandantur sowie zur Stadtverwaltung brachte.

Mit Oberbürgermeister Johannes Vierling und Polizeipräsident Heinrich Fleißner setzte die sowjetische Verwaltung gleich zu Beginn zwei Spitzenleute der Stadtverwaltung ab, die nach der Befreiung der Stadt im April 1945 ihre Arbeit aufgenommen hatten. Wie tiefgreifend war der Austausch der Eliten nach dem Besatzungswechsel?

Bei dieser Frage muss man sich vor Augen führen, dass sich ein Großteil des Elitenaustausches vor allem der höheren Verwaltungsposten bereits unter der amerikanischen Besatzung vollzogen hatte, sofern die betreffenden Personen nicht bereits durch Selbstmord oder Flucht nicht mehr im Amt waren.

In dieser unmittelbaren Nachkriegsphase liegt der Schlüssel zum Verständnis der Personalpolitik bis zur Mitte des Jahres 1949. In diesem Zeitraum gelang es einer Gruppe von meist ehemaligen SPD-Stadtverordneten – Stadtrat Hans Weise im Personalamt, Stadtrat Oswald Bauer im Schul- und Kulturamt, ab August 1945 im Ernährungsamt, Stadtbaurat Walter Beyer – mit Hilfe des Polizeipräsidenten Fleißner wichtige Posten innerhalb der Stadtverwaltung zu besetzen, auf die die organisierten KPD-Aktivisten wegen des Tätigkeitsverbotes der Amerikaner keinen Zugriff hatten.

Nach dem Besatzungswechsel und der Wiederzulassung der Parteien gelang es der KPD/ SED längerfristig nicht, durch die Installation kommunistischer Verwaltungskader ein parteihöriges Ratskollegium zu bilden. Der Elitenaustausch nach dem Besatzungswechsel war, sieht man vom Weiterlaufen der Entnazifizierungsprozesse einmal ab, relativ gering. Die KPD/SED verstärkte ihren Einfluss in der Stadtverwaltung in erster Linie durch den Parteieintritt von Arbeitern und Angestellten der Stadtverwaltung.Als neuen Oberbürgermeister setzte die sowjetische Besatzungsmacht den früheren sächsischen Ministerpräsidenten Erich Zeigner (SPD/SED) ein. Zeigner gilt vielen als Symbol des Neuanfangs in der Stadt. Wie würden Sie sein Verhältnis zur Besatzungsmacht beschreiben?

Der OBM Erich Zeigner pflegte ein sachliches Verhältnis zur Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Für ihn stand das Wohl der Stadt im Vordergrund, und auf dieser Grundlage versuchte er, die Befehle und Anordnungen umzusetzen.

In den ersten Monaten seiner Amtszeit sah er sich strikter an die Anweisungen der Kommandantur gebunden als in den späteren Jahren. In diesen gelang es der städtischen Verwaltungsspitze, sich im verdichtenden Kompetenzgeflecht zwischen Stadtkommandantur, Sowjetischer Militäradministration in Sachsen (SMAS) und Landesverwaltung, eigene Gestaltungsspielräume zu schaffen.

Die Versorgung mit dem Überlebensnotwendigen waren für Bevölkerung und Verwaltung in den Nachkriegsjahren Thema Nummer 1. Wie spiegelt sich das in den Ihnen vorliegenden Akten?

Die Versorgungsfrage war das bestimmende Problem in den ersten Nachkriegsjahren. Im Jahr 1945 waren die Schwierigkeiten weniger auf eine Unterproduktion zurückzuführen, als vielmehr darauf, dass die Transportkapazitäten fehlten oder Erzeugungsgebiete nicht erreichbar waren. In dieser Phase konnten sowohl durch die Stadtverwaltung durch die Erschließung neuer Erzeugergebiete und Transportwege, als auch durch die Stadtkommandantur – zum Beispiel durch Beschlagnahme von Privatfahrzeugen für den Lebensmitteltransport – punktuelle Verbesserungen erreicht werden.

Von sowjetischer Seite war bei den Besprechungen zwischen Kommandantur und der Verwaltungsspitze der Stadt die Versorgungsfrage stets ein Thema, wobei sich die sowjetischen Forderungen nach einer besseren Versorgung – zum Beispiel mehr Brot für die Bevölkerung – nur durch Einschränkungen an anderen Stellen realisieren ließen.

Aus der britischen Besatzungszone sind Demonstrationen gegen die Demontagepolitik bekannt, die etwa im Fall Salzgitter zum Erfolg führten. Im Sommer 1945 kritisierte auch der SPD-Vorsitzende in der SBZ, Otto Grotewohl, in einer Parteitagsrede in Leipzig die sowjetische Demontagepraxis. Wie sehr ließ sich denn die sowjetische Seite davon beeindrucken?Mit der Durchführung der Demontagen in Leipziger Betrieben waren eine Vielzahl von verschiedenen Demontageeinheiten betraut, die unter anderem in der Waldstraße und in den Kasernen Heiterblick und Schönau stationiert waren. Diese beschäftigten zumeist die Arbeiter der betreffenden Betriebe, die die Maschinen abzubauen und zu verpacken hatten. Die Löhne und Sozialabgaben kamen dafür bis Ende März 1946 aus der Stadtkasse.

Die zahlreichen Proteste gegen die Demontagen, die von Seiten der Arbeiter und Angestellten, der Gewerkschaften sowie der Eigentümer an die Stadtverwaltung sowie an die Wirtschaftskammer herangetragen wurden, hatten eine größere Erfolgsaussicht, wenn dadurch die Erfüllung von sowjetischen Reparationsaufträgen gefährdet war, oder aber der Nahrungsversorgung oder dem Wiederaufbau der Stadt substanzielle Mittel entzogen wurden.

Zur sowjetischen Besatzungspolitik im Allgemeinen und der für die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte zentralen Frage: Was war aus Ihrer Sicht in der Politik der SMA in Leipzig gerechtfertigte Entnazifizierung und Demilitarisierung, und was zielte bereits auf die Errichtung einer Parteidiktatur nach Stalinschem Vorbild, wenigstens in dem sowjetisch besetzten Teil Deutschlands, ab?

Die Entwicklung der SBZ in der unmittelbaren Nachkriegszeit ließ, trotz der Herrschaft der Besatzungsmacht, die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung möglich erscheinen.

Die ersten wirtschaftlichen Maßnahmen der neuen staatlichen Verwaltung konnten sich auf eine weitgehende Zustimmung der Bevölkerung stützen. Dieser Konsens ging jedoch in dem Maße verloren, wie die SED, unterstützt durch die Machtmittel der Besatzungsmacht, einen Hegemonieanspruch formulierte und Tempo und Richtung des Prozesses der gesellschaftlichen Umgestaltung allein zu bestimmen beanspruchte. Der durch die Zulassung bürgerlicher Parteien und die praktizierte Form der Bündnispolitik ursprünglich eingeräumte Freiraum wurde immer weiter eingeschränkt und blieb schließlich als Blockpolitik unter der Führung der SED nur eine leere Hülse.

Auch die Durchführung von Entnazifizierung und die Demilitarisierung, die ja auf interalliierten Beschlüssen fußten, trugen dazu bei, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der ab 1947/48 einsetzenden Hinwendung zur Errichtung eines Systems nach sowjetischen Vorbild zu schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Terminhinweis: Donnerstag, 21. März, 19:30 Uhr: “Leipzig unterm Roten Stern”, Vortrag von Ivo Nußbicker M. A., Leipziger Vortrag zur Stadtgeschichte in Vorbereitung auf das Stadtjubiläum 2015 in der Kunsthalle der Sparkasse Leipzig (Otto-Schill-Straße 4a). Der Eintritt ist frei, eine Voranmeldung nicht nötig.

Zur Person: Der Historiker Ivo Nußbicker M. A. ist Projektmitarbeiter am Vorhaben “Wissenschaftliche Stadtgeschichte Leipzigs 2015”. Er promoviert zur Geschichte der Leipziger Stadtverwaltung in SBZ und früher DDR-Zeit am Historischen Seminar der Universität Leipzig.

www.leipzig.de/stadtgeschichte

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