Der Jubiläumstermin wird verpasst. Die Russische Gedächtniskirche wird bis zu ihrem 100. Geburtstag am 17. Oktober nicht wieder in alter Schönheit erstrahlen. "Die Sanierung des Turmes der Russischen Gedächtniskirche wird bis zum Jahresende 2013 andauern", teilte das Kulturdezernat der Stadt mit. Zwei Monate länger wird's dauern. Wie es oft so ist: Die eigentlichen Schäden findet man erst, wenn die Gerüste stehen.

Die Verblechung der Turmzwiebel muss komplett ersetzt und damit auch die Vergoldung vollständig erneuert werden. Ursprünglich war man lediglich von einer teilweisen Neuvergoldung der Zwiebel ausgegangen. Nicht vorhersehbar war auch die Sanierung der Tragkonstruktion der Zwiebel. Freiliegende Bewehrungsstäbe müssen gegen Korrosion geschützt und erneut ausreichend mit Beton überdeckt werden.

Aber auch die Sanierung des Turmkreuzes einschließlich der Kugel wird aufwändiger. Der Schadensumfang ist so hoch, dass das Kreuz instandgesetzt, neu verblecht und neu vergoldet werden muss. Auch am Kreuz war lediglich eine Reparatur der Vergoldung geplant. Und auch jahrzehntelange Umweltverschmutzung zeigt ihre Folgen: Der Zerstörungsgrad an den Sandsteinelementen ist höher, als zunächst angenommen. Es können entgegen der ursprünglichen Planung weniger Teile des Glasmosaiks wiederverwendet werden.

“Die Stadt Leipzig und die Russisch-Orthodoxe Kirchgemeinde als Nutzer des Objektes arbeiten eng zusammen, um Beeinträchtigungen von Veranstaltungen während der Gedenktage 200 Jahre Völkerschlacht, 100 Jahre Völkerschlachtdenkmal und 100 Jahre Russische Gedächtniskirche zu vermeiden”, betonen beide. Eine Unterbrechung der Sanierungsmaßnahmen wäre unwirtschaftlich, weil die Gerüststellung sehr aufwändig und kostenintensiv ist.

Einziger Trost: Die zusätzlichen Maßnahmen können innerhalb des geplanten Budgets realisiert werden, an dem sich die Stadt Moskau mit 250.000 Euro beteiligt.Es ist wie bei vielen so wichtigen Sanierungen in Leipzig: Weil man Haushalt für Haushalt mit engen Budgets arbeitet, werden die notwendigen Beschlüsse immer wieder auf die lange Bank geschoben. Der Baubeschluss wurde erst Anfang 2012 gefasst. Einige Reparaturen waren schon in den Vorjahren erfolgt, im Rahmen des Konjunkturpakets II dann auch die denkmalgerechte Sanierung der Fassade der Unterkirche. Aber dass der Turm nach 100 Jahren Standzeit zu Besorgnis Anlass gab, war Leipzigs Planern bekannt.

Und dass die Zeit drängte, auch. “Im Jahr 2013 feiert Leipzig das 200-jährige Jubiläum der Völkerschlacht zu Leipzig. Die Russische Gedächtniskirche zu Leipzig stellt dabei neben dem Völkerschlachtdenkmal den bedeutendsten Erinnerungsort an dieses Ereignis dar. Die Russische Gedächtniskirche ist bei den geplanten Feierlichkeiten wichtiger Veranstaltungsort, zudem soll die aktive russisch orthodoxe Gemeinde intensiv in die Gestaltung der Jubiläumsveranstaltungen einbezogen werden”, heißt es in der Vorlage vom Januar 2012.

Die Sanierungsarbeiten begannen dann zwar aus Ämtersicht recht zügig im Oktober 2012. Aber bekanntlich setzte quasi eine Woche nach Baubeginn dann ein halbjähriger Winter ein.
1913 ging das alles wesentlich schneller. Schon 1910 wurde in Petersburg ein Baukomitee gegründet, um für die 22.000 in der Völkerschlacht bei Leipzig gefallenen russischen Soldaten eine Gedächtnisstätte zu schaffen. Mit 177.000 Mann stellte Russland das größte Kontingent an Soldaten innerhalb der drei alliierten Armeen, die im Herbst 1813 versuchten, Napoleon zu bezwingen. Nicht alle Heeresteile waren rechtzeitig vor Ort, um noch in die Schlacht eingreifen zu können. Russische Kontingente gab es in allen drei alliierten Armeen. Aber welchen Blutzoll sie zahlten, sieht man an einem Vergleich: Von den über 50.000 Gefallenen der Alliierten hatten sie einen Anteil von 22.000. Ähnlich massiert agierten die Preußen, die ja bekanntlich an der Nordflanke angriffen. Von ihnen blieben 16.000 auf dem Feld, von den Österreichern, die im Süden angriffen, fielen 12.000, von den Schweden 300. Dazu kommen dann noch die etwa 30.000 getöteten Franzosen.

Das sind übrigens die Zahlen, die Steffen Poser angibt in seinem Buch “Die Völkerschlacht bei Leipzig”, und somit wohl die verlässlichsten. Man findet sie auch auf den Gedenktafeln an der Russischen Gedächtniskirche, die auch die Zahl der an der Schlacht beteiligten russischen Soldaten angibt: 127.000. Von den rund 480.000 Soldaten, die in der Schlacht vom 16. bis zum 19. Oktober eingesetzt wurden, ließ also jeder Sechste sein Leben – 17,5 Prozent, wenn man nachrechnet.

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Finanziert wurde der Bau der Russischen Gedächtniskirche von den russischen Stiftern selbst mit damals 1 Million Mark. Die Stadt Leipzig stellte dafür das Grundstück kostenlos zur Verfügung. Der Entwurf stammt vom Petersburger Architekten Wladimir A. Pokrowski, der sich die Christi-Himmelfahrt-Kiche in Moskau-Kolomenskoje zum Vorbild nahm. Umgesetzt haben seinen Entwurf die Leipziger Architekten Georg Weidenbach und Richard Tschammer. Am 28. Oktober 1912 wurde der Grundstein gelegt, am 17. Oktober 1913 war die Kirche mit ihrem 55 Meter hohen, teilweise vergoldeten Turm fertig und konnte feierlich geweiht werden.

Sie beherbergt in ihrer Gruftkapelle die Särge mehrerer hoher russischer Offiziere und die Gebeine namloser russischer Soldaten. Die Namen der gefallenen russischen Offiziere kann man auf den Gedenktafeln im Arkadengang der Gedächtniskirche nachlesen, jeder der militärischen Einheit zugeordnet, der er diente.

Insgesamt ist die Sanierung von Turm und Fassade mit 1,1 Millionen Euro veranschlagt.

Weitere Informationen und Programm: www.russische-kirche-l.de

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