Eine Stadt, die nur noch zum Schlafen und Arbeiten da ist, hat gar keinen Puls mehr, sie stirbt nicht, sie ist tot. Lange Zeit galt unsere Stadt als das gelobte Land für Nachteulen, als ostdeutsches Biotop für unkommerzielle Freiräume, das Berlin den Rang als Techno-Hauptstadt streitig machte. „Hypezig“ war nicht nur ein Marketingbegriff, sondern ein Lebensgefühl, mit begünstigt durch recht günstige Mieten und genügend Industriebrachen. Doch der Wind scheint sich gedreht zu haben.
Wer heute durch die Straßen von Plagwitz oder der Südvorstadt läuft, spürt, dass die wilde Gründerzeitstimmung einer nüchternen Realität gewichen ist. Die Nachrichten von Clubschließungen häufen sich, Institutionen wanken, und die Szene fragt sich natürlich zu Recht: Wie viel „Freiheit“ verträgt eine wachsende Stadt noch?
Zwischen Investorenträumen und neuem Zeitgeist
Die Gründe für das leise Sterben der Lautstärke sind vielschichtig. Da ist zum einen der enorme Siedlungsdruck. Wo früher leere Lagerhallen den perfekten Resonanzkörper für Bässe boten, entstehen heute Lofts und Eigentumswohnungen.
Investoren werben mit dem „urbanen Flair“ des Viertels, doch genau dieses Flair wird durch die heranrückende Wohnbebauung erstickt. Sobald die ersten Beschwerden wegen Lärmbelästigung beim Ordnungsamt eingehen, sitzen die Clubs meist am kürzeren Hebel. Doch man beobachtet auch einen Wandel im Ausgehverhalten selbst.
Die Pandemie hat Spuren hinterlassen, die Inflation drückt auf unser aller Geldbeutel, und die Prioritäten potenzieller Nachteulen verschieben sich. Das Bild vor den Türen hat sich gewandelt: Sah man, bis vor kurzer Zeit, in den Raucherbereichen, noch fast ausschließlich Menschen, die sich ihre Zigaretten drehten, ist es heute ne Elfbar in der Hand zu haben, zum Normalbild geworden und überall dampft es eigentlich nur noch, oder?
Dies symbolisiert aber im Kleinen, wie sich Konsumgewohnheiten, oder der Umgang mit unserer Muttersprache, aber eben auch die Ästhetik der Nacht, in eigentlich super kurzen Zeitabschnitten, so krass verändern können. Dieser schleichende Strukturwandel in der Ausgehszene trifft auf explodierende Betriebskosten für den Club-Betrieb, die es kleinen Veranstalter-Kollektiven eigentlich unmöglich machen, wirtschaftlich arbeiten zu können.
Der Verlust von Tanzflächen ist nur die halbe Wahrheit
Wenn Orte wie das „So&So“ weichen müssen oder Institutionen wie die „Distillery“ in einen zermürbenden Kampf um Standorte verwickelt werden, geht es um mehr als den Verlust einer „bloßen Vergnügungsstätte“. Clubs fungieren als soziale Katalysatoren.
Hier entstehen Netzwerke, hier finden marginalisierte Gruppen Schutzräume, sogenannte Safer Spaces, die im durchgeplanten Tageslicht der Innenstadt fehlen. Die Verdrängung folgt dabei einem alten aber trotzdem bitteren Muster: Die Subkultur wertet einen Stadtteil erst auf, macht ihn attraktiv und hip und folglich steigen die Bodenpreise und mit ihnen die Mieten und schon wittern Investoren das Geschäft, und am Ende fressen die Kinder der Gentrifizierung ihre Eltern.
Was bleibt, sind schicke Fassaden ohne Seele. Die kulturelle Identität Leipzigs, die maßgeblich von einer lebendigen, auch mal dreckigen und lauten Szene geprägt war, droht zu einer glattpolierten Kulisse zu verkommen.
Ein Weckruf für die Stadtplaner
Es reicht längst nicht mehr, wenn die Politik Lippenbekenntnisse zur Wichtigkeit der „Kreativwirtschaft“ abgibt. Was die Leipziger Nachtkultur benötigt, ist ein echter Bestandsschutz und die Anerkennung als kulturell wertvolles Gut, auf Augenhöhe mit Oper und Theatern.
Die Einrichtung von Schallschutzfonds oder die Berufung von Nachtbürgermeistern sind erste Schritte, doch sie bekämpfen oft nur Symptome. Man muss die Frage stellen, wem die Stadt gehört. Darf Wohnraum jeden kulturellen Freiraum verdrängen?
Eine Stadt, die nur noch zum Schlafen und Arbeiten da ist, verliert ihren Puls. Wenn Leipzig seinen Ruf als vibrierende Metropole behalten will, muss es den Lärm nicht nur dulden, sondern als Herzschlag der Stadt begreifen. Denn ist das Licht in den Clubs erst einmal ausgegangen, wird es für uns Leipziger ganz im Allgemeinen etwas dunkler werden.

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