Leipzig hat ein Wagner-Museum. Ein kleines - 125 Quadratmeter groß. Im Keller der Alten Nikolaischule. Am Freitag, 21. Mai, am Vorabend seines Geburtstages, wird es feierlich eröffnet. Am Geburtstag selbst, dem 22. Mai, öffnet es ab 12 Uhr auch für die Öffentlichkeit seine Türen. Denn am 21. Mai zur Eröffnungsfeier, passen nur gerade einmal alle Sponsoren in die Wagner-Aula.

Und es ist sowieso erstaunlich, dass es zum großen Wagner-Jubiläum eine Wagner-Ausstellung in Leipzig gibt. Der Wagner-Verband arbeitet schon seit Jahren an einer solchen Dauerausstellung. Doch da das am Ende richtig viel Geld kosten wird, kann das durchaus noch ein paar Jahre dauern. Das Stadtgeschichtliche Museum und das Bildermuseum zeigen beide eindrucksvolle Ausstellungen, die Richard Wagner mit seinen Zeitgenossen und den Kunstwelten des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Aber diese Ausstellungen sind nur temporär – wer sie jetzt verpasst, verpasst sie für immer.

Den Traum, einen festen Ort in Leipzig anzubieten, wo sich Kulturinteressierte, die Leipzig besuchen, auch sonst jederzeit mit dem 1813 in Leipzig Geborenen beschäftigen können, tragen etliche Protagonisten schon länger mit sich. Das Problem war immer: Seine Original-Wirkungsstätten sind alle verschwunden. Das Geburtshaus am Brühl genauso wie der alte Gewandhaussaal, das Alte Theater, die alte Thomasschule und eigentlich auch der Großteil der Alten Nikolaischule. Man sieht es ja dem Gebäude am Nikolaikirchhof von außen nicht an, dass das Gebäude 1990 praktisch zum Abriss stand. Die Kulturstiftung Leipzig gründete sich ja damals auch deshalb, um dieses für die Leipziger (Geistes-)Geschichte so wichtige Bauwerk zu retten. Das Treppenhaus war längst verfault, die rückwärtige Front von der Witterung zerfressen.

Nur Teile konnte man retten. Die Aula im zweiten Stockwerk gehört dazu. Wagner könnte sie noch kennen gelernt haben. Sie war zu seiner Zeit als Nikolaitaner gerade neu eröffnet worden. So dass Wolfgang Hocquél heute sagen kann, es sei der letzte noch authentische Ort, der aus Wagners Leipziger Zeit erhalten ist. Ursula Oehme, die in diesem Frühjahr das wohl mittlerweile fundierteste Buch zu Wagners Kindheit und Jugend vorgelegt hat, streitet sich mit ihm ja gern über die Formulierung. Aber es läuft immer auf das Entscheidende hinaus: Während es für Mendelssohn, die Schumanns und Bach mittlerweile eindrucksvolle Museen und Gedenkstätten in Leipzig gibt, die jeder besuchen kann, der sich für die Glanzzeit der Musikstadt Leipzig interessiert, gab es das für den wichtigsten in Leipzig geborenen Komponisten bislang nicht (wobei der Schelm im Nacken auch schon mal neckt: Warum bemüht sich Leipzig eigentlich nicht darum, ein Hanns-Eisler-Museum zu bekommen?).Die Kulturstiftung hat sich in letzter Zeit schon verstärkt darum bemüht, die Alte Nikolaischule als Erinnerungsort für Richard Wagner zu etablieren. Der Treppenhof und die Vorräume der Aula wurden schon zur Wagner-Erinnerungsstätte umgestaltet. Auf informationsreichen Tafeln kann man sich dort über den jungen Wagner und das Leipzig seiner Zeit sehr ausführlich informieren. Teil der Schau ist übrigens auch die alte Karzertür der Nikolaischule. Die Aula wurde prestigeträchtig zur Richard-Wagner-Aula umbenannt. Eines der Willich-Porträts des Komponisten fand hier seinen Platz.

Aber auch die kleine Vorab-Pressekonferenz am Montag, 13. Mai, machte wieder deutlich: All die Bilder, die von Wagner immer wieder reproduziert werden – auch das in Leipzig so gern verwendete Porträt von Cäsar Willich, zeigen nicht den Leipziger Wagner. Sie sind alle später entstanden. Das Leipziger Willich-Porträt zum Beispiel 1862. Am nächsten kommen der Leipziger Zeit noch eine Daguerrotypie, die aber in den 1930er Jahren nachbearbeitet wurde, und eine Lithografie um 1840, die beide einen eher romantischen Wagner mit großen, fast mädchenhaften Augen zeigen.Umso verblüffter wird Mancher sein, wenn er jetzt die Plakate für die neue Dauerausstellung sehen kann: Sie zeigen ein Bild, das sich im Besitz von Nike Wagner befindet und Richard Wagner tatsächlich in seiner Leipziger Zeit zeigen soll, entstanden im Jahr 1832. Da kann jeder selbst nachrechnen: Es zeigt den 19-jährigen Richard, den Studenten, der sich zwar zum Studium der Musik an der Uni Leipzig eingeschrieben hatte, sich aber das Komponieren lieber autodidaktisch und durch Lehrstunden beim Thomaspfarrer Weinlig beibringen wollte. Und es augenscheinlich auch schaffte. Die Oper “Die Feen”, die derzeit am Leipziger Opernhaus Furore macht, hat er 1834 vollendet. Und das Publikum ist begeistert. Und Komponistenkollegen wie Richard Strauß schätzen durchaus ein, dass diese – 1834 vom Leipziger Theater abgelehnte Oper – schon den ganzen Wagner enthält.

Was schon Ursula Oehme zu der Einschätzung brachte, dass Richard Wagner – bei allen Dissonanzen zwischen ihm und seiner Geburtsstadt – in Leipzig sein musikalisches Handwerkszeug erlernte. Ein Thema, das vor allem in der Bayreuther Rezeption Wagners bislang völlig ausgeblendet wurde. Die Reduzierung Wagners auf Bayreuth gehört zu den vielen Verengungen der Wagner-Wahrnehmung. Und Volker Bremer, Geschäftsführer des LTM, ist zu recht froh, dass die zweite sächsische Wagner-Stadt – Dresden – mit Leipzig zum Wagner-Jubiläum an einem Strang zieht und mit dafür gesorgt hat, dass der junge Wagner (also insgesamt der Wagner zwischen 1813 und 1849) überregional und international überhaupt erst einmal wahrgenommen wird. Was auch dafür sorgt, dass selbst die Musikwelt verblüfft nach Dresden und Leipzig schaut. Der so umstrittene Komponist bekommt eigentlich jetzt erst eine Kindheit, eine Jugend und eine Lehrzeit.

Und einen musikalischen Hintergrund, der mit den Namen Weber und Beethoven klarer umrissen wird.Ist nur die Frage: Wie packt man das in ein Museum, wenn man aus Wagners Jugendzeit keine Museumsstücke besitzt? – Ausstellungsräume besitzt die Kulturstiftung. Dazu war ja das Haus von Anfang an konzipiert, betont Hocquél. Seit dem Auszug des Automatenmuseums der HTWK standen die Ausstellungsräume im Untergeschoss praktisch leer. Eine Architekturausstellung füllte die Lücke kurzzeitig. Vor anderthalb Jahren ging die Stiftung daran, ernsthaft eine Ausstellung zu Richard Wagner zu konzipieren. Wollte es möglichst – wie alle ihre Projekte – ohne Gelder der Stadt bewerkstelligen und die Gelder bei privaten Stiftern einsammeln. Die Stadt Leipzig und die Sparkasse Leipzig haben letztlich doch mitgemacht und mit jeweils 25.000 Euro zur Entstehung der Ausstellung beigetragen. Weitere 200.000 Euro kamen von privaten Spendern zusammen. “Und die meisten kommen nicht aus Leipzig”, betont Wolfgang Hocquél, der Geschäftsführer der Kulturstiftung.

Die Ausstellung selbst ist etwas für Leute, die sich Zeit nehmen wollen. Und ein Museum ist es auch nicht geworden. 60 leuchtende Bilder mit LED-Rahmen hängen vor dunkelblauem Grund. Die Farbgebung, so Hocquél, gehe auf Wagners Vorliebe zu schweren, majestätischen Farben wie Violett und eben Dunkelblau zurück. Die Idee dafür hatte Heinz-Jürgen Böhme, der Gestalter der Ausstellung, der sich an diesem 13. Mai rar machte. Ein Film, der in der Ausstellung laufen soll, ist noch nicht fertig. Und der Besuch in den Ausstellungsräumen zeigt: Es wird wirklich knapp, wenn am 21. Mai alles fertig sein soll. Auch wenn die meisten Bilder schon leuchten vor blauem Hintergrund. Der neongrüne Belag ist noch mit Filz abgedeckt. Die Kopfhörer für zehn Hörstationen hängen aber schon überm Geländer. “Natürlich muss man in so einer Ausstellung auch hören können, worum es geht”, sagt Hocquél. Nicht nur die Musik des jungen Wagner, sondern auch seine Vorbilder – Weber und Beethoven.

Bildschirme bieten zusätzliche Informationen. Darunter auch – im letzten Raum, wo eine große Wagner-Büste alles überragt, – ein filmischer Eindruck der “Feen” aus dem Opernhaus. Als Ausklang und als Kontrapunkt. Denn das Musikstück steht eben auch für das, was Richard Wagner schon war, als er 1834 Leipzig verließ, um eine Kapellmeisterstelle in Magdeburg anzunehmen.

Und vielleicht wird man künftig eben diesen Burschen mit dem Porträt gleichsetzen, das jetzt auf den Plakaten zu sehen ist. Es war nicht ganz unbekannt, wurde aber bislang selten publiziert. Unter anderem auch, weil noch nicht ganz geklärt ist, ob es tatsächlich den 19-jährigen Richard Wagner in Leipzig zeigt. Der Maler ist ebenfalls noch unbekannt. Wäre es aber dieser junge Wagner, der unbedingt auch auf einer Leipziger Bühne groß rauskommen wollte, dann wäre es ein eindrucksvolles Bild. Es zeigt einen selbstbewussten Mann, der weiß, was er will. Noch ohne diesen wirklich grässlichen Bart, mit dem Wagner den Rest seines Erwachsenenlebens herumlief. Vielleicht verbirgt sich der Bart auch im Stehkragen. “Ich bin verblüfft”, sagt Ursula Oehme. Aber sie zweifelt lieber noch. Das will sie jetzt erst mal nachrecherchieren. Wenn es stimmt, ist es ein weiterer Baustein für ein anderes, wirklich Leipziger Wagner-Bild.

Für die Öffentlichkeit ist die neue Wagner-Ausstellung ab Mittwoch, 22. Mai, 12 Uhr erstmals zugänglich.

www.kulturstiftung-leipzig.de

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