Die Leiterin der Zentralen Dokumentation/IT des Stadtgeschichtlichen Museums, Karin Kühling, ist glücklich. Jahre penibler Detailarbeit haben sich jetzt endlich zu etwas geformt, mit dem auch ganz normale Besucher der Website des Stadtgeschichtlichen Museums etwas anfangen können. Sie können das Stadtmuseum jetzt endlich auch wirklich digital besuchen.

Möglich ist das, weil die Sammlungsobjekte de Stadtgeschichtlichen Museums seit Jahren in emsiger Kleinarbeit digitalisiert wurden. Politiker reden zwar gen von einer Digitalisierung der Welt. Aber bevor auch nur eine alte Laterne, ein vergilbtes Foto oder eine Vereinsfahne im Internet auftaucht, müssen sie (professionell) fotografiert werden, ordentlich verschlagwortet werden (sonst findet sie selbst die beste Suchmaschine nicht wieder) und – wenn das Ganze auch noch wissenschaftlich ernsthaft betrieben wird, mit allen recherchierbaren Informationen versehen werden.

Es klingt ganz einfach, wenn das Museum mittelt: “Selbstverständlich ist der Online-Katalog mit unserer 300.000 Objekte umfassenden Objektdatenbank verlinkt.”

Aber zu 300.000 Objekten muss man das alles erst einmal zusammentragen. Etwa zu diesem hübschen Bild aus der Serie “Alte Zeit – Gute Zeit”, die in der Ausstellung “Moderne Zeiten” im Zusammenhang mit dem Kapitel “1815-1850: Restauration und Revolution” gezeigt wird: “Die Pfeffernüsschen”. Was die akribischen Forscher dazu zusammengetragen haben, liest sich so:

“Radierung
Die Pfeffernüsschen
Kleist, L. v. (Kunstverlag)
Opiz, Georg Emanuel (Zeichner)
1825
Dresden
Radierung, koloriert
Papier
28,9 x 24,5 cm (Platte)
42,8 x 33,7 cm (Blatt)

Beschreibung
Papier, bedruckt
zu der Folge: Leipziger Messe; bez. (in d. Darst.) u. l.: G. OPIZ fe.; bez. u. l.: Leipziger Messe III.s Heft v. G. Opiz.; bez. u. r.: Im Kunstverlag von L. v. Kleist in Dresden.; beschr. u.: Die Pfeffernüsschen. Les Galanteries de la foire.”
Und das 300.000 Mal? – Im Internet sieht das alles ganz leicht und einfach aus. Nur Forscher, die selbst ihre historischen Themen abarbeiten, freuen sich besonders, denn das erleichtert ihre Arbeit ungemein. Da die Online-Datenbank weltweit eingesehen kann, gibt es auch immer wieder Rückfragen und Korrekturen von der emsigen Forschergemeinde. “Etwas 50 Anfragen und Anregungen bekommen wir jeden Monat”, freut sich Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp. “Aber genau das ist auch Sinn der Sache und das Schöne daran, man kann dieserart das Knowhow der Forschergemeinde nutzbar machen. Und auf diese Art ist Allen genutzt.”

Wer irgendwo das draußen bei seinem Forschungsthema auf die Sammlung des Leipziger Museums stößt, wird schneller fündig – und andererseits können Forscher mit Spezialkenntnissen den Leipziger Museumsmitarbeitern helfen, Dinge zu korrigieren oder überhaupt erst einmal zu definieren. Manchmal tauchen so selbst verschollene Ausstellungsstücke wieder auf – wie jene verschwundenen 25 Teile des Leipziger Urmaßes aus dem Jahre 1719, als noch jedes Land seine eigenen Gewichtseinheiten hatte. “Da schickten die Leipziger einem Fachmann in alle Welt, der überall das richtige Eichmaß besorgte”, erzählt Rodekamp. Leipzig hatte mit 64 solcher Urmaße wohl den größten und vollständigsten Satz dieser Art. Ein Millionenschatz, dessen fehlende Stücke die Leipziger kurzzeitig auch im Internet zeigten als “nicht vorhanden”. Die aufmerksame Forschergemeinde machte das Leipziger Museum dann darauf aufmerksam, das die irgendwann vor 20, 30 Jahren verschwundenen Stücke bei einer Versteigerung in Südeuropa aufgetaucht waren.

“So konnten wir den Schatz wieder vervollständigen”, sagt Rodekamp.

Und worüber freut sich Karin Kühling? – Die Datenbank war ja da. Jetzt brauchte es nur noch einen Schritt, um daraus die beiden großen Rundgänge durch Leipzigs Geschichte nachzubauen. Ein Button auf de Homepage weist jetzt direkt auf den “Online-Katalog der Ständigen Ausstellung” hin. Man merkt: Hier waren die Leute aus Karin Kühlings Abteilung am Werk: der Online-Katalog ist wichtig.
Den Nutzer wird es eher irritieren. Ein “Virtueller Rundgang” wäre doch sinnvoller, oder?

Den bietet zumindest schon einmal der zweite Teil des Rundgangs – “Moderne Zeiten”.

Der erste Teil, im Alten Rathaus in der 1. Etage zu begutachten, heißt “Teil I: Leipzig original. Von der Frühzeit bis zur Völkerschlacht”. Hier sind jetzt erst einmal die 1.000 Ausstellungsstücke, die man hier sehen kann, auch digital abrufbar, schön geordnet nach Zeiten und Epochen. Geschichtslehrer, die sich mit dem Mittelalter in Leipzig beschäftigen wollen, findet jetzt 28 Objekte zum Alltag, 5 zu Herrschaft und Verwaltung und 11 zu Kirche und religiöses Leben im Online-Katalog. Aber nicht nur Lehrer können sich hier vor oder nach einem Museumsbesuch tiefgründig informieren. “Das Ganze ist auch für Schulklassen ideal, wenn sie sich vorm Museumsbesuch schon mal näher mit der Geschichte beschäftigen wollen”, sagt Kühling.

Zum Rundgang in “Moderne Zeiten”, die man in der 2. Etage des Alten Rathauses besichtigen kann, gibt es schon etwas mehr – Raumansichten, fotografiert von Helga Schulze-Brinkop, geben schon einmal einen Eindruck von der Ausstellung. Ein Klick aufs Foto, und man bekommt die kleinen Erläuterungstexte zu jedem Kapitel aus dem Katalog, ist also auch inhaltlich im Thema. Die Ausstellungsobjekte aus den einzelnen Abteilungen sind dann unter den kleinen Textblöcken (die es wie im Katalog in deutsch und englisch gibt) verlinkt. Jedes einzelne Objekt hat dann auch noch eine einzelne “GOS-Nummer”, die man in der Ausstellung auch wiederfindet. Man kann sie sich dort einspeichern und dann am heimischen PC direkt zu gesuchten Objekt finden.

Unter GOS-Nummer c0003056 zum Beispiel direkt zu einem Damenkleid des “zweiten Rokoko”, auch so einer bunten Feder der sogenannten “Gründerzeit”.

“Damit bietet das Museum einen bisher einmaligen virtuellen Zugang zu den Exponaten mit ihren erläuternden Texten sowie ausführliche Recherchemöglichkeiten nicht nur für Fachkollegen oder Sammler, sondern vor allem auch für Lehrer, Schüler und die interessierte Öffentlichkeit”, so Direktor Dr. Volker Rodekamp. Und setzt noch fröhlich einen drauf: “Sie können sich diese Ausstellung nun auch zu Hause oder in Milwaukee ansehen.” Damit sei man nun einen ganz, ganz weiten Schritt nach vorn gegangen. Hin zu einem wirklich digitalen Museum.
Nur eins kann der Online-Katalog natürlich nicht ersetzen: die direkte Begegnung mit den historischen Objekten.

Die wird jetzt auch für Menschen mit Sehbehinderungen etwas leichter. Für sie gibt es jetzt einen Museumsführer in Braille-Schrift.

Und selbst an all jene, die keinen Doktortitel für höhere Sprachkunst führen, wird jetzt gedacht: Auch für den Ausstellungsteil “Moderne Zeiten” wird jetzt an einem Museumsführer in “sehr, sehr einfacher Sprache” gearbeitet, wie Rodekamp sagt. Damit Geschichte auch für jene fassbar wird, die von wissenschaftlichen Nachschlagewerken sonst eher verschreckt und entmutigt werden.

Den virtuellen Museumsbesuch findet man hier:
http://stadtmuseum-leipzig.de/site_deutsch/sammlungen/objektdatenbank/onlinekatalog.html

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