"Wir sind das Volk" schallte es '89 durch Leipzigs Straßen. Verbrüderung als ziviler Ungehorsam: Das "wir" bewegte die Massen und brachte ein politisches System zu Fall. Über unterschiedliche künstlerische Ansätze und Positionen geht die Ausstellung im Klinger Forum ab Sonntag, 13. Juli, der Frage nach, was aus diesem "wir" geworden ist. "WIR 1 - Acting in Concert", der erste Teil der Ausstellung, fokussiert die Zeit kurz vor, während und kurz nach der Friedlichen Revolution.

Ganz bewusst wurde die Ausstellung WIR in zwei Akte gegliedert. Alles ist Bewegung, alles ist Prozess: Zeit, Wahrnehmung, gesellschaftliche Ordnung, das Leben an sich. Leipzig war Epizentrum der Friedlichen Revolution. Hier haben sich die historischen Ereignisse abgespielt, hier bleibt die Erinnerung durch die Zeitzeugen und die historischen Schauplätze lebendig. Das Streben nach Freiheit, Harmonie und Liebe trifft auf die menschlich-instinkthaften Triebe der Selbsterhaltung, Eitelkeit und Egomanie. Die Spannung dieser widerstreitenden Kräfte stellt sich als Motor von Geschichte und von Kunst gleichermaßen dar und ist Kernthema der beiden Ausstellungen.

In erster Linie geht es darum, ein verbindendes Moment, ein »wir« zu schaffen, das ohne einen Sündenbock bemühen zu müssen, ein Zugehörigkeitsgefühl und Empathie schafft. Zuallererst sind »wir« Menschen, dann erst Männer, Frauen, Kinder, DDR-Bürger, Wessis, Sozis, Kommunisten, Sportler, Philosophen, Kapitalisten, Diktatoren, Hippis, Anarchisten oder Studenten. Sein und Schein, Utopie und Wirklichkeit, ich und du, Vergangenheit und Zukunft treten als Antagonisten und dualistisches Spiegelbild gleichermaßen auf.

“Wir wollen keine Lösungen oder Antworten geben. Ein “so ist das” liegt uns fern. Emotionen sind immer subjektiv und von persönlichen Erlebnissen geprägt. Und um die künstlerische Darstellung von Emotionen in ihrer Ambivalenz und Komplexität geht es uns in der zweiteiligen Ausstellung”, bemerkt Kuratorin Esther Niebel ergänzend zum Ausstellungskonzept. Installationen, die mit dem Ausstellungsbesucher interagieren, Fotografien von überlebensgroßen Personen, die in Blickkontakt mit dem Betrachter stehen und gefühlsgeladene Videos bilden das Herzstück der Ausstellung.

Flankiert werden diese Exponate von dokumentarischen Fotografien und Malerei, die an eine vergangene Weltordnung erinnern. “Seit fast drei Jahren haben wir das Klinger Forum für wechselnde Ausstellungen geöffnet. Einen örtlichen Bezug zu schaffen ist uns dabei ein besonderes Anliegen. Das heißt natürlich nicht, dass es um eine Nabelschau geht. Wenn aber in Leipzig ein interessantes Thema in der Luft liegt, greifen wir das gerne auf. Und als Leipziger halte ich die Friedliche Revolution für ein absolutes Jahrhundertereignis”, verdeutlicht Vorstand des Klinger Forums Jörg Zochert die Hintergründe.
Der zweite Teil der Ausstellung “WIR 2 – Der Sinn von Politik ist Freiheit” wird vom 21. September bis zum 21. Dezember 2014 im Klinger Forum gezeigt. Die Ausstellung WIR 2 reflektiert anhand von unterschiedlichen künstlerischen Positionen die politische und soziale Entwicklung, ausgehend von 1989 bis heute. Was ist aus dem Potential der Friedlichen Revolution geworden?

Direkt zu den ausstellenden Künstlern: www.klingerforum.de/ausstellungen/wir-1-acting-in-concert

“WIR 1 – Acting in Concert”, 13. Juli bis 7. September 2014 in der Klinger Villa (Karl-Heine-Straße 2). Öffnungszeiten: Fr 14 -18 Uhr, Sa/so 10 -18 Uhr. Der Eintritt ist frei, Führungen auf Anfrage.

Fotografie/Installation/Malerei?/Video von Karl-Heinz Adler, Horst Antes, Katinka Bock, Kerstin Flake, Michael Freudenberg, Raimund Girke, Gotthard Graupner, Matthias Hoch, Veit Hofmann, Konrad Klapheck, Oliver Kossack, Matthias Megyeri, Bjørn Melhus, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Jürgen Schieferdecker, Emil Schumacher, Günther Uecker, Max Uhlig.

www.klingerforum.de

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