Damit hätte auch Thomas Krakow nicht gerechnet, dass Richard Wagners 200. Geburtstag in Leipzig tatsächlich noch zu einem touristischen Ansturm auf die Geburtsstadt des Komponisten führen könnte. "Als wir vor drei Jahren anfingen, das Ganze vorzubereiten, haben wir nicht wirklich dran geglaubt", sagt der Vorsitzende des Leipziger Wagner Verbandes und Beauftragte der Stadt fürs Wagner-Jubiläum. Er hat ein paar hübsche Dinge mitgebracht: eine Medaille, einen Pin, ein Tellerchen, eine Uhr. Wagner-Mitbringsel - ganz speziell aus Leipzig.

Wer sich Erinnerungsstücke mitnehmen will von seinem Besuch im Leipziger Wagner-Jubiläum, der kann es tun. Mit der Wagner-Uhr von Wempe kann er sogar noch eine gute Sache unterstützen – die musikalische Nachwuchsarbeit. Die Jubiläumsbroschüre, die die Leipziger Wagner-Macher erst im Januar vorgestellt haben, ist schon wieder überholt. Jeden Tag kommen neue Veranstaltungen dazu, sagt Krakow. Er stöhnt nicht. Er ist nur atemlos. Weil er vor drei Jahren auch nicht wirklich gedacht hätte, dass Leipzig zum Wagner-Jahr einen Veranstaltungsreigen hinstellen könnte, der auch die Wagner-Anhänger aus aller Welt an die Pleiße lockt.

Immerhin gibt es ja Alternativen, die schon seit Jahrzehnten etabliert sind. Allen voran Bayreuth und München.

Aber Leipzig und Dresden scheint 2013 etwas gelungen zu sein, was ein Achtungszeichen setzt: Sie haben dem gepflegten Mythos Wagner à la Bayreuth einen Kontrapunkt gesetzt. Sie haben den jungen Wagner wieder zum Leben erweckt.
Am 22. Mai wird er sogar ganz offiziell aufs Podest gehoben. Um 9:30 Uhr wird die von Stephan Balkenhol geschaffene Wagner-Skulptur am Dittrichring feierlich enthüllt. “Leipzig hat die Chance genutzt, ein ganz eigenes Wagner-Bild zu prägen”, sagt Dr. Markus Käbisch vom Wagner Denkmal e.V., der sich vor sieben Jahren zusammenfand, um ein 130 Jahre altes Projekt endlich zur Vollendung zu bringen. Eben das Leipziger Wagner-Denkmal. Das wollten die Leipziger, nachdem sie sich mit einer grandiosen Ring-Aufführung endlich wieder mit Richard Wagner versöhnt hatten, schon 1883, in seinem Todesjahr. Später reifte die Idee so weit, dass die Stadt ganz offiziell ihren berühmtesten Bildhauer, Max Klinger, beauftragte, ein Wagner-Denkmal zu schaffen, für das 1913 auch der Grundstein am Matthäikirchhof gelegt wurde.

Doch Klinger kämpfte lange mit seinem Entwurf, den er nie umsetzte. Ein Freund schuf nach seinem Entwurf den Sockel, auf dem am 22. Mai Balkenohls Wagner-Skulpur enthüllt werden wird – der junge Wagner, der Leipziger Wagner. “Die Figur müsste mittlerweile aus der Bronzegießerei, zurück sein”, berichtet Känisch. “Jetzt geht sie zum Kolorieren nach Kassel.” Denn Leipzigs Wagner wird bunt – ein lässig dastehender junger Mann, noch ohne Ruhm und Mythos. Nur hinter ihm wird – vier Meter hoch – eine schwarze Silhouette aufragen, die an Klingers Wagner-Entwurf erinnert: Wagner als Genie.

Und wenn von Genie die Rede ist, fällt den Kulturspezialisten vom “Spiegel” natürlich auch das romantische Gegenstück gleich ein: der Wahnsinn. In der neuen Ausgabe titeln sie gleich mal “Der wahnsinnige Wagner”.
Nicht die einzige überregionale Verarbeitung des Jubiläums. Eine haben sich Dresden, Sachsen und Leipzig sogar gemeinsam gegönnt: eine achtseitige Verlagsbeilage in der “FAS”, die auch den Bürgern in etwas älteren Landesteilen erzählt, dass die ersten Kapitel in Wagners Leben (Leipzig, Dresden, Leipzig) in Sachsen stattfanden. In Leipzig wollte Wagner gern berühmt werden. Hier wollte er seine Oper “Die Feen” auf der Bühne sehen und seinen Siegeszug antreten in die Welt der Musik. 1834 war das. Und es funktionierte ja bekanntlich nicht. Wirklich zur umjubelten Premiere in Leipzig kamen “Die Feen” in Leipzig erst 2013. Die Beilage wirbt dafür. Und die Wagner-Freunde ärgern sich, wenn sie zu den Vorstellungen nicht schnell mal nach Leipzig kommen. Was mittlerweile sogar ein Übernachtungsproblem ist.

Die diversen musikalischen Jubiläen der letzten Jahre haben die Stadt so ins Bewusstsein der Städte- und Kulturtouristen gerückt, dass sogar außerhalb der Festwochen die Hotelplätze knapp sind. Und nun noch Wagner obendrauf. Das verwundert auch Volker Bremer, Geschäftsführer des LTM. “Als wir vor anderthalb Jahren mit der Vermarktung des Wagner-Jubiläums begonnen haben, hätten wir mit dieser Aufmerksamkeit nicht gerechnet.”

Wozu wohl auch gehört, dass die Leipziger ihren genialischen Komponisten immer auch kritisch betrachtet haben. 1834 schon, als sie ganz im Banne Felix Mendelssohn Bartholdys standen und Wagners Musik schlicht als gewöhnungsbedürftig empfanden. Aber mehrere kluge Bücher haben sich ja mittlerweile mit dem konservativen Musikgeschmack des Leipziger Bürgertums beschäftigt, der auf Neues immer erst einmal mit Ablehnung reagiert – aber trotzdem Mühe und Geld aufwendet, um hochkarätige Musiker und Dirigenten anzustellen, die dann irgendwann auch das Neue spielen. Wenn man sich dran gewöhnt hat. Bei Wagner brauchten die Leipziger ungefähr 40 Jahre. Der begabte Angelo Neumann brachte den geflohenen Sohn der Stadt dann so auf die Bühne, dass es sogar Wagner gefiel.

Leipzig hat natürlich noch ein anderes Plus gegenüber den anderen Wagner-Städten. Natürlich nicht das Geburtshaus. Das rissen die Leipziger 1886 ab. Aber mittlerweile kann gezeigt werden, dass es eben doch Leipzig war, wo Richard Wagner zum Komponisten reifte. Nach 1921, als Walter Langes “Richard Wagner und seine Vaterstadt Leipzig” erschien, hat Leipzig auch endlich wieder ein aktuelles Buch zum Leipziger Wagner. Ursula Oehme, eine der besten Kennerinnen des Themas, hat es geschrieben. Sie hatte 2008 für den Wagner Verband schon den Faltplan “Wagnerwege” zusammengestellt, mit dem Touristen den Spuren Richard Wagners in Leipzig folgen können.

“Das haben uns die Bayreuther jetzt nachgemacht”, freut sich Verbandsvorsitzender Thomas Krakow.

Jetzt hat sie die Leipziger Zeit Richard Wagners noch einmal in Akten, Briefen, Tagebüchern nachgeforscht. Das Buch liegt vor. Wir werden es in den nächsten Tagen besprechen. Und es stecken einige Dinge drin, die insbesondere die Geschichte um Richards Eltern ergänzen. Das Ganze wie eine Oper mit Vorspiel und mehreren Aufzügen und dem Spaziergang hintendran, für alle, die einfach nicht stillsitzen können bei diesem Thema.

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