Es war schon mutig von Leipzigs Kulturbürgermeister Michael Faber (Die Linke), an diesem windigen kalten 21. November von einem "städtischen Versagen" zu sprechen. Aber man freut sich in Leipzig ja mittlerweile auch schon über den schüchternen Mut an ungewohntem Ort. In diesem Fall am Asisi-Panometer in der Richard-Lehmann-Straße. Anlass war die Enthüllung einer Skulptur, die längst schon im Leipziger öffentlichen Raum hätte stehen sollen.

“Aktion” hat der Leipziger Bildhauer Otto Berndt Steffen die Skulptur genannt, eine begehbare Bronzeplastik, die er einst für die geplante Sportschule in der Brüderstraße in Leipzig entwarf. Ursprünglich hieß das Thema auch Sport. Und es war die Stadt Leipzig, die dazu im Jahr 1981 einen Wettbewerb veranstaltete, den Otto Berndt Steffen gewann. 1984 hat er mit den Arbeiten begonnen. Aber 1986, so erzählt er, veränderte sich sein Kunstwerk, rückte das Thema Gesellschaft und Individuum in den Mittelpunkt. Den Sport könne man, wenn man wolle, heute noch herauslesen. Aufstieg und Fall, Kämpfen und Verlieren.

Doch auch die ab 1986 sich bemerkbar machenden Veränderungen stecken drin. Als Steffen 1990 seinen Entwurf beendete, war die Zeit ins Rasen gekommen. Niemand hätte von ihm noch ein Denkmal des medaillenreichen DDR-Sports erwartet. Und das war es auch nicht. Bis zum Guss der Bronzeplastik vergingen noch einmal vier Jahre. Doch da war von einer Sportschule an der Brüderstraße keine Rede mehr. Den neuen Sportcampus entwickelte die Stadt Leipzig an der Marschnerstraße. Die Skulptur wurde “zwischengeparkt”. Wer über Dölitz und das Torhaus Dölitz Richtung Agra-Park spazierte, konnte die Plastik dort im Schatten stehen sehen, hingestellt und nicht abgeholt.

Ein Anblick, den auch Yadegar Asisi nicht ertragen konnte. Erst recht nicht, weil er mit Steffen schon seit Studienzeiten befreundet ist. Zur selben Zeit, in der Steffen in Dresden Bildhauerei studierte, studierte Asisi dort Architektur. Nicht ahnend, dass er selbst einmal den Weg in die Kunst einschlagen würde. Wenn auch auf eine damals noch undenkbare Weise. Oder so zumindest denkbare Weise. Die Wiedergeburt des Panoramas fand ja gerade bei Bad Frankenhausen statt, wo der Leipziger Maler Werner Tübke sein gewaltiges Bauernkriegspanorama schuf. Auch das ein Beispiel für die teilweise durch ihre eingebauten Widersprüche frappierende Kunst in der DDR. Man darf wirklich nicht “DDR-Kunst” sagen, dann wird es falsch.

So sieht es auch Asisi, der bis heute faszinierend findet, wie es Künstlern in der DDR gelang, die Menschen dazu zu bringen, “zwischen den Zeilen zu lesen”, die versteckte Botschaft zu entziffern. Und nicht nur das. Jenseits der offiziellen Auftragskunst gab es auch die Kunst, die bis heute Bestand hat. Nicht nur die berühmte und gut verkäufliche “Leipziger Schule”. In den Depots, so vermutet Asisi, stehen noch reihenweise Kunstwerke, die auf ihre (Wieder-)Entdeckung harren.

Das kann noch dauern. Denn es ist meist keine marktkonforme Kunst. Was richtige Kunst wirklich selten ist. Der Markt hat seine eigenen Gesetze und wer überleben will, muss sich auch heute fügen. Aber auf die Zwänge des Marktes will Asisi an diesem kalten Novembertag gar nicht eingehen. Er hat ja gerade ein für Leipzig wichtiges Denkmal aus dem “Depot” holen lassen, von Dölitz ans Panometer verfrachtet, wo es jetzt gleich neben der Rampe steht, auf der man hinauf ins Panometer geht, wo derzeit das große Bild “Leipzig 1813” zu sehen ist. “Und für mich passt die Skulptur in diesen Kontext”, sagt Asisi, der für sein Panorama-Bild zu 200 Jahre Völkerschlacht eben nicht die Schlacht, sondern die von der Schlacht umtoste Stadt als Motiv gewählt hat.Für ihn ist Steffens Plastik “ein extraordinäres Beispiel für die Kunst in der DDR, die sich nicht instrumentalisieren ließ und daher sowohl künstlerisch als auch inhaltlich hervor tritt. Sie hat auch aus heutiger Sicht nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt.”

Und er betont etwas, was in Leipzig so lange nicht gesagt wurde: “Es nützt alles nichts, wenn wir den Respekt verlieren voreinander.” Und das bezieht er explizit auf die Künstler im Osten, die – wenn schon nicht in die Depots verbannt – so doch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verloren haben. Was auch ein wenig an jener “Wende” von 1989/1990 lag, in der auch die Kunstrezeption im Osten sich völlig veränderte. Jetzt brauchte niemand mehr die versteckten Botschaften in Kunstwerken entschlüsseln, um sich mit seiner Gesellschaft kritisch auseinandersetzen zu dürfen. Auch für die Künstler des Ostens stellte sich die Arbeitsaufgabe neu: “Was macht man eigentlich in einer Gesellschaft, die satt ist und alles hat?”

Für Viele wurde es zu einer prekären Frage. Denn wenn Auftraggeber und Käufer wegbrechen, wird auch die Kunst wieder zu einem schweren Brot. “Für viele heißt Erfolg haben heute, in Ruhe arbeiten zu dürfen”, sagt Asisi. “Ohne Sorge um das täglich Brot.”

Aber muss man sich dafür einem Markt andienen, der nicht mehr fähig ist, Kunst zu definieren? Die Moderne und all ihre Folgemoden haben den Markt umgekrempelt. Alles geht, wenn es nur verrückt genug ist. Die Preise werden nicht nach Qualität gemacht, sondern nach der Marktgängigkeit eines Künstlers. Fast ist es schon ein Verbot, in der Kunst überhaupt noch figürlich zu arbeiten. Die Leipziger haben es ja in der leidigen Geschichte um ihr Einheits- und Freiheitsdenkmal selbst erlebt: Ein Wettbewerb, der ein echtes (figürliches) Denkmal von vornherein ausschließt, kann nur im Nirwana enden. Und in der öffentlichen Sprachlosigkeit: Der Wettbewerb ist gelungen, ein Denkmal nicht zu sehen.

Was auch mit der modernen Jagd der verantwortlichen Politiker nach Anerkennung und Schulterklopfen zu tun hat. Sie riskieren keine Kontroversen mehr, haben selbst keine Visionen und schneiden auch dann noch euphorisch Bänder durch, wenn dahinter nichts zu sehen ist als ein weiterer gepflasterter Platz.Auch das ist ein Teil der Respektlosigkeit, von der Asisi spricht. Respektlosigkeit gegenüber tausenden Jahren von Kunst- und Stilentwicklungen, die ja durch die so genannte Moderne nicht aufgehoben wurde, sondern künstlerisch anverwandelt. All die Picasso, Dali, Magritte, Marc, Max Ernst sind ohne die 2.000, 3.000 Jahre Kunstgeschichte zuvor nicht denkbar. Kunst zwingt, wenn sie gut ist, immer zur Auseinandersetzung. Und dafür steht auch Steffens Skulptur “Aktion”, die den Betrachter mit ringenden Körpern konfrontiert, die sich aus der Enge und Verstrickung zu befreien versuchen. Unübersehbar, dass Steffen sich auch von diesem kurzen Zeitabschnitt hat beeinflussen lassen, in dem die Bewohner der DDR darum rangen, dass sich das verfilzte und einengende Land endlich öffnete.

Man kann auch Anderes daraus lesen, wenn man will. Solche Spiel- und Denkräume gehören zur Kunst. Genauso wie Asisis Erinnerung daran, dass Künstler auch Getriebene sind, die nicht einfach gefällige Auftragsarbeiten liefern können. Im Gegenteil: Im Arbeitsprozess ist es die Idee, die sie weiter treibt. “Künstler haben eine innere Vereinbarung”, sagt Asisi. Irgendwann kommen sie an den Punkt, da werden sie von ihrer Idee getrieben: “Ich muss es machen.”

So einer sei Steffen. Und in Asisi steckt dieser Anspruch wohl auch.

Aufgrund der “Wende” wurde Steffens Skulptur erst 1994 gegossen und schließlich in Leipzig-Dölitz aufgestellt. “Das etwa 4 mal 5 mal 3 Meter große Werk besticht durch seinen expressiven Gesamtgestus. Fragmentierte Leiber gründen auf einem berstenden Untergrund und winden sich aus dem massiven Hintergrund heraus. Mit starkem Willen und großer Kraft scheinen sie Hindernisse überwinden und ihren eigenen Weg gestalten zu wollen”, versucht Asisi das Werk in Worte zu fassen.

Die Bronzeplastik ist Eigentum des Künstlers. Womit man wieder beim Auftraggeber Stadt wäre, der mit dem Auftragswerk nichts anzufangen wusste. Und beim nötigen Respekt. Wer die Skulptur sehen möchte, findet sie jetzt direkt am Asisi-Panometer.

Otto Berndt Steffen: www.otto-berndt-steffen.com

Asisi-Website: www.asisi.de

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