Das Faszinierende an Subkulturen ist ja, dass Außenstehende zwar oft und gern eine Meinung haben, diese jedoch seltenst mit Fakten unterlegen können, geschweige denn Wissen in petto haben. Volly Tanner mag natürlich Cosplay, hat aber keinen blassen Schimmer von den Hintergründen. Marille von Milford dahingegen hat Ahnung - und gibt diese dem alten Journalisten auch preis.

Hallo Marille von Milford. Wir sahen uns vor kurzer Zeit erst beim Cosplay-Wettbewerb zum Leipziger Comicgarten. Da hast Du zusammen mit Deiner Schwester Lilamour Delaforce das Organisationszepter geschwungen. Endlich mal eine Profifrau beim Thema Manga’n’Cosplay. Da nutze ich doch gleich mal die Chance zu fragen: Was ist diese Cosplay-Subkultur denn für eine Kultur? Bunt seid Ihr, jung seid Ihr und Ihr habt gern verpixelte Pappschwerter zum Herumfuchteln dabei. Habe ich das richtig zusammengefasst?

Lieben Dank, Volly. Die Bezeichnung “Profi” ehrt mich sehr. An der Organisation waren jedoch noch mehr Mangafans als nur Lila und ich beteiligt. Um zu Deinen Fragen zu kommen … Deine Zusammenfassung ist überaus volly-like – ich muss schon wieder wegen Dir lachen! Die Farbenpracht hat, so vermute ich, mit den vielen Fantasy-Charakteren zu tun, die gecosst werden. Dass die Cosplay-Szene im Durchschnitt so jung ist oder zumindest so empfunden wird, dürfte mit den vielen cosplayenden Fans der japanischen Comickultur zu tun haben, die aktuell noch überwiegend zwischen 10 und 30 Jahre alt sind – ich beziehe mich nur auf Deutschland.

Dennoch gibt es auch Cosplayer anderer Comicszenen: Gesehen habe ich persönlich bisher u. a. Cosplays zu Asterix und Obelix, South Park und natürlich auch diversen amerikanischen Superhelden-Comics. Aber auch andere Medienbereiche werden bedient, wie z. B. Games (Final Fantasy, Super Mario), Filme (besonders gern hier die Figur des Captain Jack Sparrow, Star Wars), Disneytrickfilme oder sogar die Promiwelt (Lady Gaga). Und dort tummeln sich auch vermehrt Erwachsene. Was die verpixelten Pappschwerter angeht … wenn es nur die wären, bräuchten die Conventions keine Waffenkontrollen! Ach ja, und das “Herumfuchteln” gehört natürlich zum “Cos[tume ]Play” dazu.

Manga an sich ist ja nur das japanische Wort für Comic. Ich persönlich – aber das kann natürlich auch an meiner Art der Medienselektion liegen – habe immer das Gefühl, dass da doch sehr viele erotische Aspekte hineinspielen, da gab es so eine Serie im TV mit jungen Weltenretterinnen und die fielen immer wieder, egal ob sinnhaft oder nicht, um, nur damit die kurzen Röckchen hochflatterten, auch die Serie Golden Boy ist mir da in Erinnerung. Trügt mein Gefühl?

Das hast Du Dir sehr schön gemerkt! Der Begriff “Manga” setzt sich zusammen aus Man (= spontan, ziellos) und Ga (= Bild, Zeichnung), was im Japanischen für “Comic” steht. Die Japaner selbst unterscheiden bei der Verwendung des Wortes nicht zwischen den Kulturen. Lediglich die westliche Comicwelt spricht bei “Manga” ausschließlich von japanischen Comics. Das betrifft meines Wissens auch den südkoreanischen “Manhwa” und den chinesischen “Manhua”.

Was Dein Gefühl angeht, hast Du das nicht auch bei westlichen, insbesondere amerikanischen Comics, bei Computerspielen oder Filmen? Ja, den sogenannten Fanservice gibt es in Anime und Manga, aber doch nicht in jedem Werk. Dazu müsste man sich mal aktiv mit ein paar Serien beschäftigen, vielleicht auch von den Mädels in der Leipziger Comic Combo beraten lassen. Dir als Journalist muss ich ja nichts über Medienselektion oder die Sensationspresse erzählen. Zum Thema Erotik sollte aber eventuell auch angemerkt werden, dass in der japanischen und generell der ostasiatischen Kultur dazu eine ganz andere, sicherlich auch religiös geprägte Einstellung als bei uns herrscht.

Golden Boy und Agent Aika, welche Du angesprochen hast, kenne ich natürlich von früher, aber schon damals gab es noch genügend andere beliebte Animes, die nicht auf Höschenblitzer etc. setzten. Diese hast Du vielleicht entweder nicht als japanisch wahrgenommen (Biene Maja, Heidi), sie sind Dir trotz der Ausstrahlung im deutschen TV weniger in Erinnerung geblieben (Rock’n’Roll Kids, Kickers, Lady Oscar) oder Du konntest sie gar nicht kennenlernen, weil sie es nicht nach Deutschland geschafft haben – inzwischen nutzen die Fans ja z. B. die vielen Streaming-Portale.

Da wir nun schon bei den älteren Animes sind, möchte ich auf Film-Klassiker wie Akira oder Ghost in the Shell, aber auch die Werke aus dem Hause Ghibli (Prinzessin Mononoke, Die letzten Glühwürmchen) hinweisen, die ihren Erfolg nicht dem Fanservice, sondern ihrer tiefgründigen Handlung zu verdanken haben.

Einige Beispiele für Manga sollte ich vielleicht auch noch anbringen. So hat dieses Jahr Billy Bat den Max-und-Moritz-Preis für den besten internationalen Comic gewonnen. Die absolut unerotische Serie Attack on Titan überholt in Japan vielleicht bald die Piratenabenteuer von One Piece. Und falls Du mal was abtörnendes lesen möchtest, schau doch mal in Switch Girl!! rein – hihihi. Die Manga-/Anime-Landschaft ist riesig und strotzt vor Themen- wie auch Genrevielfalt. Nur findet nicht alles die gleiche Beachtung. Ich persönlich freue mich gerade schon auf die Saint Young Men, eine satirische Manga- und Animeserie über eine WG mit Jesus von Nazareth und Siddhartha Gautama “Buddha” – der Manga erscheint ab November bei EMA.

Und Du selber? Du bist ja nicht 24 Stunden am Tag Marille von Milford, Du bist ja auch hin und wieder eine bürgerliche Existenz. Wer bist Du denn da? Wie lebst Du ohne Manga’n’Cosplay?

Marille ist mein Pseudonym für Facebook und Medienberichterstattung meine Hobbys betreffend. Die “bürgerliche Existenz” *lol* liest auch Manga. Mein Leben ohne Manga – puuuh … am liebsten verbringe ich Zeit mit meinen Freunden, spiele mit einigen davon ab und zu im Friedenspark Volleyball, gehe auch gern ins Kino. Lese ganz normale Bücher und zeichne … – ach halt, das letzte fällt schon wieder unter die Milford-Existenz.

Ist die Community in Leipzig offen? Es gibt ja Subkulturen, bei denen es schwierig ist teilzuhaben. Wie ist das bei Euch?

Das hängt davon ab, wie aufgeschlossen man sich der Community gegenüber zeigt. Nehmen wir die Cosplayer. Wozu das alles? Wer weiß. So manch einer entdeckt vielleicht sein schauspielerisches Talent oder wird Modedesigner. Nein, die Cosplayer sind ganz lieb. Die “Hug me”-Schilder kennst Du doch sicher auch?

Wie und wo trefft Ihr aufeinander?

Wie Du schon sagtest: Bunt, jung und mit verpixelten Pappschwertern! Wo? Auf Conventions oder kleineren Treffs wie dem LAME (Leipziger Anime- und Manga-Event). Online findest Du die Community z. B. auf der Animexx-Website.

Gibt es zum nächsten Comicgarten 2015 auch wieder einen Cosplay-Wettbewerb?

*Uff* Darüber schlafen wir noch ein paar Nächte. Schön wäre es, wenn wir noch ein, zwei Helferlein hätten, sollten wir wieder einen Wettbewerb veranstalten.

Danke, liebe Marille. Ich wünsche Dir und den Deinen viel Spaß.

Ich danke auch! Ciaoi!

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