Oft war er mit Schirmmütze zu sehen, auch mit neueren und uralten Stahlhelmen. Dazu die Gitarre. Oder das "Tagesschau"-Studio. Kittner war einer, der angeblich von Natur aus "an nichts glaubte", schon gar nicht großen Worten von Politikern. Nun hat er am 15. Februar nach 77 Lebens- und 50 Bühnenjahren in Bad Radkersburg in Österreich die Bühne des Lebens verlassen. Weder Himmel oder Hölle dürften vor ihm sicher sein, der nichts für unverbesserlich und unveränderbar hielt. Darin war er ein Seelenverwandter des verbitterten Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzkys oder des optimistischen Zweiflers Bertolt Brecht.

Oberlehrersyndrom auf der Bühne

Wenn man Kittner in eine Schublade stecken konnte, dann wäre es “Deutsches Oberlehrersyndrom auf der Bühne”. Stecken da etwa ein gewisser Heinrich Heine oder eine Friedrich Schiller schon drin? Kittner lehrte, dass man nicht alles besser wissen muss, aber es wissen könnte! Allerdings hat er die Schüler in Scharen angezogen, freiwillig saßen sie reihenweise aufmerksam vor seiner Bühne. Zumindest nach Erfahrung von DDR-Auftritten. Dass Kittner auch mit dem Megaphon auf der Straße arbeitete, kennt man hier nur von Fotos.

Kittners kritisches Kabarett passte in Berlin und in Leipzig zum traditionellen Begriff einer Bühnenpräsenz von Scherz, Satire, Ironie und vor allem tieferer Bedeutung. Altvordere hießen Adolf Glassbrenner, Erich Mühsam und Walter Mehring, Spötter früherer Epochen.

Mut, Klugheit und List

“Kittners (zoo)logischer Garten” erschien in der DDR als Buchausgabe. Henschelverlag 1977, Preis: 4 Mark. Im Vorwort erinnerte Günter Wallraff an Brecht und bescheinigte Kittner den sicheren Umgang mit den fünf Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit: “Mut, Klugheit, Kunst, Urteil und List.” Kittner erhebe nicht “Anzeige gegen Unbekannt”, schrieb Wallraff, und operierte mit dem Begriff “Staatstheater”, wie eine seiner Schallplatten 1968 hieß.

Als Leipziger verband man Dietrich Kittner immer mit der Partnerstadt Hannover, seinem Theater an der Bult oder am Küchengarten. Und Hannover war da für Leipziger so weit weg wie der Mond, als Kittner Anfang der 80er Jahre hier war und vor mehr als 500 Leuten im Weißen Saal neben der Kongresshalle am Zoo spielte. 10 DDR-Mark Eintritt. Damals kostete im Opernhaus die teuerste Karte 16 Mark, im Schauspielhaus 7 Mark. “Was wollen Sie bei mir? Ich biete Ihnen nur Sittenbilder einer für Sie anachronistischen Welt!”

Über die DDR und ihre entwickelte sozialistische Gesellschaft hat er damals nicht hergezogen, aber er hat Wachsamkeit für Begriffe hergestellt: gelernte DDR-Bürger lernten mit den Großworten umgehen, “real-existierender Sozialismus” beinhaltete beim Gespräch auf der Straße oder am Stammtisch in etwa die Kategorien “Mausen, Tauschen, Schieben” und beim “Sozialismus in den Farben der DDR” dass die Beschreibungen im “Neuen Deutschland” oder der Gewerkschaftszeitung “Tribüne” jeweils Einzelfälle waren von Schönfärberei.
Kittner meinte 1991, er wolle Politiker nicht mehr kritisieren, nein, schärfer, er wolle sie zitieren! Und das tat er, nahm Helmut Kohl beim Wort: “Die Wirklichkeit ist nicht die Realität.” Dann kam das BRD-Staatstheater über die neugierigen Schwestern und Brüder im Osten.

Aha, man schaue sich öfters um, prüfe die Koordinaten. GPS reicht nicht aus. Volker Braun beschrieb dann “Wie es gekommen ist.” Und ließ im Totentanz das “Volkseigentum” zu Grabe tragen. Eine Szene von Kittner-Format. Gab es aber nicht auf der Bühne. Real wirklich.

Bei der ersten Lachmesse 1991 trat er auf, da hätte er schon einen “Löwenzahn” ehrenhalber verdient gehabt, aber die Trophäe ging an ein Newcomer-Duo mit dem Namen “Missfits”. Als die “Weltbühne”, erfunden von Carl von Ossietzky, zu sterben drohte, half Kittner bei einem Blattnachfolger mit, sein Name steht bei den Herausgebern. Medial gibt es “Ossietzky” noch immer, wie auch den anderen Spross aus dieser Genealogie “Das Blättchen”.

“Chemnitzismus – St. Petersburgismus”

Später gastierte Kittner in der Mensa der einstigen Leipziger Pädagogischen Hochschule in der Karl-Heine-Straße, ein kleines Podest ersetzte die Bühnenrampe, begleitet wie immer von seiner Frau Christel, und beim Aufbau der Beleuchtung halfen ein paar Zuschauer mit. Da legte er Maßstäbe aus dem “Chemnitzismus / St. Petersburgismus” an die neuen Erscheinungen im Osten. Dem Wesen nach waren sie alt.

Und Kittner drohte 2004 beim Auftritt im Hause “SanftWut” mit dem Zeigefinger: “Ihr habt im Parteilehrjahr geschlafen. Es ist gesetzmäßig. Im Sozialismus heißt es JEDER NACH SEINEN FÄHIGKEITEN und nun – im Kommunismus – lautet das Gesetz JEDER NACH SEINEN BEDÜRFNISSEN.”

Zu Wulff und Köhler, Guttenberg und Schavan oder gar Ratzinger hätte man seine Kommentare gern noch gehört. Doch stellen wir uns nun vor, er hätte gekontert: “Deren Abgang und Abgesang sprach für sich. Besser: schwieg für sich.”

Kittners Lehrbücher bleiben

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Seit längerem lebte Dietrich Kittner in Österreich. Für seine Bücher und Tonträger warb er mit dem Spruch “Etwas Kittner sollte man immer im Hause haben.” Und wer noch etwas Kittner im Hause und im Kopf hat, der wirft das auch nicht weg. Kittners Lehrbücher bleiben.

Kittner in der ARD-Tagesschau!

Nun, tot, kam Kittner auch ins große, weite Fernsehen: www.tagesschau.de, 17.02.2013 – Internet-Zitat: Bis 1990 war sein Theater das einzige Privattheater Niedersachsens, das vom Land – auf Weisung des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht – nicht finanziell gefördert wurde. Der Weg ins Fernsehen sei ihm stets versperrt worden, klagte Kittner noch kürzlich. Dem deutschen Fernsehen fehle der Mut zu politischem Kabarett, viele Kollegen und Intendanten seien weichgespült, Verantwortliche in den Sendeanstalten agierten wie Proporzbeamte, “da haben manche es nicht gerne, wenn Ross und Reiter genannt werden”, meinte Kittner. Zitatende. Quasi auf die Kranzschleife schreibt ihm die “Tagesschau”: “Er wurde das ,größte Schandmaul der Nation’ geschimpft.” Was würde Kittner dazu sagen? Vielleicht: “Zitieren geht über Studieren.”

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