In der Linksfraktion ist man sauer, richtig sauer auf Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Seit über einem Jahr diskutiert der Stadtrat nun über eine Haushaltssituation, die die Stadt immer tiefer in die Schulden stürzt, weil Leipzig immer mehr Sozialausgaben zu schultern hat. Ausgaben, die der Stadt auch als Pflichtaufgaben vom Bund übergestülpt wurden, ohne sie auszufinanzieren.

Und da wollte die Linke eigentlich im September einfach wissen, wie groß die Summe ist, die der Bund einfach der Stadt aufgehalst hat, ohne die Kosten auszugleichen. Doch dann gab’s lauter Antworten aus dem Finanzdezernat, mit denen kein gewöhnlicher Mensch etwas anfangen kann.

Jedes Dezernat meldete seine eigenen Posten, in denen auferlegte Aufgaben und Kostenerstattung auseinander driften. Aber alles in völlig unübersichtlichen PDFs, ohne einheitliche Standards. Für jeden normalen Menschen ein völlig undurchsichtiger Zahlensalat.

Und das merkten die Stadträte der Linken dann in der Ratsversammlung auch deutlich an und verlangten vom Finanzbürgermeister eine einzige einheitliche Aufstellung, aus der einfach zu entnehmen wäre, welche Kosten Bund und Land der Stadt einfach durch Gesetzgebung aufgehalst haben, ohne dass sie das dafür nötige Geld überweisen.

Denn genau das führt – eigentlich schon seit 2024 – dazu, dass Leipzig seine Haushalte nicht mehr in Deckung bringen kann und immer neue Schulden anhäuft. Und weil nicht einmal die Linksfraktion mit dem Zahlensalat etwas anfangen konnte, bat sie den Finanzbürgermeister, eine nachvollziehbare Übersicht aus all diesen Rückmeldungen der Dezernate zu machen.

Diese versprach Bonew auch bis Ende Oktober. Aber er hat sie nicht vorgelegt.

Im Dickicht der Gesetze

Was durchaus Grüne haben kann. Denn dass die Sozialkosten in sämtlichen deutschen Großstädten derart aus dem Ruder laufen, hat auch mit der Unübersichtlichkeit der Gesetzgebung zu tun. Oft ist nicht wirklich auseinanderzuhalten, was vom Bund beauftragte Pflichtaufgabe ist und wo die Stadt aus eigenem Interesse riesige Summen für Sozialbedarfe ausgeben muss, wenn sie ihre bedürftigsten Einwohner nicht im Regen stehen lassen will.

Dass die meisten dieser Kosten im Sozialdezernat auflaufen, hat insbesondere Linke-Stadtrat Volker Külow mit eigenen Anfragen sichtbar gemacht. Zur Ratsversammlung am 18. Dezember bekam er die neueste Antwort aus dem Sozialdezernat, die wenigstens beziffert, auf welchen Geldern die Stadt im Sozialbereich sitzen bleibt, ohne dass sich insbesondere die Bundesebene bemüßigt fühlt, diese Kosten auszugleichen.

Die Nettoaufwendungen im Sozialdezernat, Stand September 2025. Grafik: Stadt Leipzig
Die Nettoaufwendungen im Sozialdezernat, Stand September 2025. Grafik: Stadt Leipzig

Linke-Stadtrat Volker Külow ging nach den ersten Zahlen, die er aus dem Sozialdezernat bekam, davon aus, dass Leipzig letztlich wohl auf 1 Milliarde Euro an Kosten sitzen bleibt, die eigentlich durch Bund und Land erstattet werden müssten. Dabei ging er davon aus, dass allein im Sozialdezernat über 700 Millionen Euro auflaufen – aufs ganze Jahr betrachtet.

Grundlage dafür war die Auskunft des Sozialdezernats zu den Nettoaufwendungen bis zum Juni 2025. Bis dahin waren schon 352 Millionen Euro aufgelaufen als Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen. Und das war schon wieder eine Ecke mehr als im gesamten Jahr 2024, als das Minus zum Jahresende 324 Millionen Euro betrug. Geplant hatte das Sozialdezernat 2025 mit 309 Millionen Euro.

Doch stattdessen wächst die Lücke weiter, wenn auch nicht derart, wie von Volker Külow vermutet. Für September meldete das Sozialdezernat jetzt eine Finanzierungslücke von 365 Millionen Euro.

Der größte Posten im Stadthaushalt

Aber so falsch liegt Volker Külow nicht mit seiner Vermutung, dass Leipzig am Ende eine satte Milliarde Euro zuschießen muss.

Denn diese Zahl belegt eine wichtige Publikation der Stadt selbst: der „Sozialreport“.

Denn die beiden verantwortlichen Dezernate für Soziales und für Familie haben dem „Sozialreport“ für das Jahr 2024 auch einen finanziellen Teil vorangestellt haben, der einmal alle Leipziger Leistungen zusammenfasst, die nicht durch Zahlungen von Bund und Land gedeckt sind.

Eine einfache Differenzrechnung zwischen Einnahmen und Ausgaben im Sozialbereich: „Der Zuschuss beziffert die Aufwendungen gemindert um die Erträge. Er stellt damit die tatsächliche Belastung für den städtischen Haushalt dar. Insgesamt betrug der Zuschuss im Jahr 2024 für sozialpolitische Aufgabenfelder nach vorläufigem Rechnungsergebnis 1,01 Milliarden Euro (vorl. Rechnungsergebnis 2023: 911,2 Mio. Euro). Im Vergleich zum Jahr 2019 entspricht dies einer Steigerung um 339,5 Mio. Euro.“

Die Zuschüsse der Stadt im Sozialbereich 2024. Grafik: Stadt Leipzig, Sozialreport
Die Zuschüsse der Stadt im Sozialbereich 2024. Grafik: Stadt Leipzig, Sozialreport

In der Tabelle sieht man dann, dass vor allem die Kosten im Bereich der Kita und Kindertagespflege und bei den Hilfen zur Erziehung drastisch gestiegen sind. Darin enthalten sind auch die übernommenen Elternbeiträge, wenn Eltern Anspruch auf Ermäßigung haben. In diesem Fall also eine Leistung, die Leipzig auf Grundlage eines Stadtratsbeschlusses gewährt.

Die unsichtbare Armut

Aber dahinter steckt nun einmal das Problem einer Stadt, in der nach wie vor ein Viertel der Bevölkerung arm ist und Anspruch auf soziale Leistungen und Vergünstigungen hat. Und das bedeutet insgesamt eben auch, dass die Sozialausgaben den Löwenanteil am städtischen Haushalt verschlingen: „Im Haushaltsjahr 2024 wurden in der Stadt Leipzig 1,66 Milliarden Euro für sozialpolitische Aufgaben aufgewendet. Das entspricht 59,0 % des Gesamthaushaltes der Stadt.

Seit dem Jahr 2019 stiegen die Aufwendungen der Stadt Leipzig für sozialpolitische Aufgaben kontinuierlich um 53 % (575,2 Mio. Euro), im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg 170,3 Mio. Euro. Darin enthalten sind Aufwendungen für den Ausgleich des bilanzierten Jahresfehlbetrages 2023 der Klinikum St. Georg gGmbH in Höhe von 36,3 Mio. Euro.“

Das heißt: Gerade Städte mit einem hohen Anteil von armutsgefährdeten Haushalten bekamen es in den vergangenen Jahren mit deutlich steigenden Sozialkosten zu tun, von denen aber nur ein Teil von Bund und Land erstattet wird. Teilweise eben, weil diese Kostenübernahme vom Stadtrat selbst beschlossen wurde, also tatsächlich eine städtische Leistung ist.

Es bleibt trotzdem eine Lücke auch bei den von Bund und Land übertragenen Pflichtaufgaben. Mit den 365 Millionen Euro aus dem Sozialdezernat ist nur ein Teil dieser Differenz benannt. Wie groß die Kluft tatsächlich ist, kann man tatsächlich erst ermitteln, wenn das Finanzdezernat die von der Linksfraktion gewünschte Komplettaufstellung vorlegt.

Aber eins macht die Aufstellung aus dem „Sozialreport“ deutlich: Die Stadt muss inzwischen 1 Milliarde Euro für soziale Aufgaben aufbringen, für die es keine Zuschüsse von Bund und Land gibt. Womit der permanente Aufwuchs der Sozialausgaben zwangsläufig dazu führt, dass für andere Aufgaben der Stadt – wie die wichtigen Investitionen – im Haushalt kein Geld mehr verfügbar ist.

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