Hakenkreuzarmbinden an Uniformen im Audimax am Augustusplatz. Und es ging nicht in aller Theorie um das Godwin-Gesetz, wonach alle Chats irgendwann zum Thema Hitler kommen. Nein, es waren Theaterkostümteile, passend, weil Wagners Werk als Familienchronik dargeboten werden sollte.

Weil das Paulinum nach vier Jahren Bauverzug noch immer nicht fertig ist, rückte Universitätsmusikdirektor David Timm in den Hörsaal ein. (Und die protestierenden Studenten gingen mal zur Vorlesung ins Opernhaus.) Geboten wurde nicht Power Point Präsentation und Experiment, sondern ein Orchester in Opernhausstärke und eine interessante, schlüssige Inszenierung.

Zum Richard-Wagner-Geburtstag gibt es Mittwochabend die Premiere und – bisher – einzige Aufführung. Montag war öffentliche Generalprobe, bei der zu Beginn Regisseur Joachim Rathke auf die Bühne musste, weil die Hauptsicherung zunächst das Bühnenlicht blockierte. Was dann kam, war premierenreif. Und repertoiretauglich.

Geburtstagsparty im Familienkreis

Kinder tummeln sich auf der Bühne, man fasst schon mal an die Geburtstagstorte und leckt den Finger ab. Ein Teddybär, auch ein Symbol des 20. Jahrhunderts, wird in allen Zeiten immer mal wieder zum Trostspender. Und weil die Familie beschließt, die “Götterdämmmerung” als Geburtstagsspiel aufzuführen, werden Rollen verteilt, Requisiten gereicht, das Schaukelpferd wird zu Grane und Brünnhilde feixt, wenn sie den Tisch der guten Stube als Thron besteigt.

1873, 1913, 1943, 2013 sind die Signaturen des Vorspiels und der drei Aufzüge. Richard Wagners 60. Geburtstag wird in Familie gefeiert, dazu reichen sich die Erben-Generationen den Schatz weiter: den goldenen Ring. Der zum Feuerzeug wird. Akteure sind Richard Wagners Erben. Die Weltesche wächst mit, als Grünpflanze im Topf. Und, hörsaalkonform, wird der Stammbaum trickreich an die Wand geworfen.

Bayreuths Studiobühne hatte vor Jahren die Idee, im beliebten Bretterbuden-Sommerquartier in der Steingraeber-Pianofabrik die Richard-Wagner-Werk-und-Familiengeschichte aus Sicht der Kinder erzählen zu lassen, auf dem Dachboden der Villa Wahnfried, in der gerade Adolf Hitler zu Gast war. Wagner-Inszenierungen als Museum für Deutsche Geschichte anzulegen, hat Stefan Herheim u. a. in Berlin und Bayreuth probiert. Es in der Familie Wagner götterdämmern zu lassen, ist ein originärer neuer und Leipziger Einfall.
Hörsaal-Theater

Regisseur Joachim Rathke und Ausstatterin Heike Mondschein scheuten nicht Ideen, Handlungsfäden, komplett ausgearbeitete Kostüme und – sofort prüfbare – Fotoporträt-Ähnlichkeiten. Bernd Erich Gengelbach, euro-scene Leipzig-erprobt, hat Bühne und Beleuchtung eingebaut und sagt zurecht: “Das ist ein richtig schönes Theater geworden.” Das Orchester spielt hinter der Bühne, unter dem Sichtfeld, eine kaum meterhohe Wand trennt auch die Akustik. Ganz hinten an der Rückwand und fürs Publikum sichtbar steht Dirigent David Timm.

Ihn im Sichtfeld zu haben, mit überaus geordneter Schlagtechnik und Text im Mund, hat den Reiz, das auch Töne für den Hörer vorbereitet werden.

Zum dritten Aufzug strömt der 50-Personen-Chor über die Hörsaaltreppen zur Bühne mit großen Party-Luftballons, rechnerisch richtig steht die Zahl “2013” in der Luft. Dann muss schon mal ein Siegfried-Darsteller quasi aus dem Publikum geholt werden. Und man erkennt in den Rheintöchtern unschwer die Damen Nike Wagner, Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. Vorab warf das Inszenierungsteam die Frage zum Jahr 2013 auf: “Welcher Hagen erschlägt welchen Siegfried – im übertragenen und plakativen Sinne?”

David Timm brilliert mit dem Mendelssohn-Orchester und dem Universitätschor, der Raumklang im Gipskarton-Ambiente voller Lichtfarbenzauber aus rund 100 Scheinwerfern fasziniert, die Solisten – allesamt Profis – beweisen klangvoll Strahlkraft. Es ist ein vergleichbar kleines Team mit jeweils mehreren Partien.
Bayreuth soll Bayreuth bleiben

Es sollte 2013 in Leipzig unbedingt einen “Ring des Nibelungen” geben, war schon vor Jahren das erklärte Ziel von David Timm und seinen Vereinsmitstreitern, als in der Oper Leipzig Leitung und Konzeptionen wechselten, ohne Richard Wagner zu bedenken. David Timm war einst auch Stipendiat der Bayreuther Festspiele und des Richard-Wagner-Verbandes, und damit Besucher mehrerer Vorstellungen im Festspielhaus. Im Bundesverwaltungsgerichtsgebäude ließ er mit dem “Holländer” aufhorchen, mit anderen Wagner-Werken im “Westwerk”. Längst ist David Timm Universitätsmusikdirektor und wurde im Feuilleton schon nach Genie-Maßstab Felix Mendelssohn Bartholdy nachgeordnet. “Bayreuth soll Bayreuth bleiben”, hat David Timm mal gewünscht”, “und Leipzig muss Leipzig werden!”

Alle Achtung

In diversen Redaktionen, Kuratorien und Dramaturgien wuselten die Begriffe WAGNERDÄMMERUNG und PATHOS und WELTENSCHÖPFER schon umher, bei der Suche nach den Hintergründen, politischen Abgründen und persönlichen Verworrenheiten. Diese “Götterdämmerung” sollte über die beiden Vorstellungen hinaus erhalten bleiben. Alle Achtung dem Verein, diese Produktion finanziell, personell und technisch bewerkstelligt zu haben. Auch wenn es nicht der komplette “Ring des Nibelungen” geworden ist, woran einst gedacht war.

Regisseur Joachim Rathke baute nach der Generalprobe die Applausordnung unter originalen Arbeits- bzw. Beifallsbedingungen. Kann ja sein, dass es zur Premiere ein Element des Schlussbildes nicht mehr gibt. Unter angeblich traditionell abergläubischem Bühnenvolk ist es nicht sittsam, über die Fotoprojektion einer Theaterfassade eine – bildliche – Feuersbrunst flackern zu lassen. Leben und leben lassen!

Im Foyer lag ein Flyer der Ringvorlesungen der Leipziger Universität “Love in Art. Die Liebe als Motiv der Künste”. Wagners “Tannhäuser”-Stoff kommt hier, Achtung! durch die Gartentür! “Im Reich der Venus – Die Liebesthematik in der Gartenkunst”. (23. Mai, 17:00 Uhr, Großer Hörsaal Physik und Geowissenschaften, Linnéstraße 5.

Leider – vorerst? – nur eine Premiere. Vorstellung: 22. Mai 2013 um 16 Uhr im Audimax der Universität Leipzig am Augustusplatz.

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