Sehnsucht, Verführung, Tod. Dies sind die literarischen Motive, denen sich Charles Gounods "Faust" musikalisch widmet. In der Messestadt ist die Oper seit diesem Herbst als düsteres Märchen für Erwachsene zu sehen.

Goethes “Faust”-Epos ist wie kein zweiter Stoff der Weltliteratur mit Leipzig verquickt. Bekanntermaßen kehren darin Titelheld und Mephisto im altehrwürdigen “Auerbachs Keller” ein. Gounods Oper fokussiert sich auf die Gretchen-Tragödie. Die Textvorlage für das Libretto bildete Michel Florentin Carrés Drama “Faust et Marguerite”, das 1850 erschien, also fast fünf Dekaden nach “Faust I”.

Michiel Dijkema (inszenierte in Leipzig “Der Türke in Italien” und “Tosca”) deutet Gounods Faust als einen Irrenden, der seine Seele schon verloren hat, bevor Mephistopheles als quietschroter Gentlemen die Bühne betritt. Tuomas Pursio interpretiert die diabolische Partie als aalglatten Verführer. Als einer der beiden Wölfe im Schafspelz (oder besser: in Pudelgestalt), die das Publikum während der Ouvertüren und Umbaupausen mit gefletschten Szenen auf riesigen Prospekt zu sehen bekommt. Mirko Roschkowski singt Faust dagegen als verzweifelten, ja geradezu verlorenen Eremiten, der schon an den sakralen Ausmaßen seines Studierzimmers verzweifeln muss.

Dijkemas Bühnenbild besteht aus einer riesigen Ziegelstein-Wand, in die sechs metallerne, mechanische Tore eingelassen sind. Die Szene erinnert an riesige Fabrikbauten des späten 19. Jahrhunderts. Wenn hinter den Durchgängen ab dem 3. Akt gefallene Soldaten ein Leichenmeer bilden, werden zudem Assoziationen zu den großen Konzentrationslagern des Nazi-Regimes geweckt, deren Mörder-Fabriken in ähnlich funktionaler Bauweise errichtet wurden.
Der Regisseur arbeitet sich an religiösen und erotischen Motiven ab. Die Atmosphäre ist düster. Das christliche Kreuz erscheint mindestens zwei Mal und geht final sogar in Flammen auf, wenn Mephisto Margarethe verdammt.

Sexuelle Andeutungen gibt es reichlich. Höhepunkt: Der Teufel darf in klassischer Gestalt mit Schwanz und Hörnern die Walpurgisnacht besuchen, um dort mit einem toten Soldaten den Analverkehr zu vollziehen. Wem’s gefällt.

Anthony Bramall kostet am Pult Gounods Kompositionen, ein Wechselspiel aus epischen Chören und melancholischen Rezitativen, genüsslich aus. Der 1. Kapellmeister transportiert die Stimmung aus der Partitur nuanciert in den Saal. Olenar Tokar gefällt als betörende Margarethe. Jonathan Michie gefällt als Valentin, dessen Arien und Duette der Bariton präzise und punktiert vorträgt. Sandra Janke (Marthe) singt zuverlässig solide, Jean Broekholzen (Siebel) und Sejong Chang (Wagner) tragen zu einem runden Gesamtbild bei.

www.oper-leipzig.de

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