Seit Ostersamstag steht in der Landeshauptstadt wieder eine Inszenierung des Mozart-Klassikers „Die Entführung aus dem Serail“ auf dem Spielplan. Regisseur Michiel Dijkema hat das Werk in das Gewand eines romantischen Schauermärchens gepackt. Der Premierenapplaus fiel verhalten aus. Keine Buh-Rufe, aber auch keine überschwänglichen Jubelarien.

Ganz gleich, welche Oper er inszeniert. Der künstlerische Ansatz des niederländischen Regisseurs und Bühnenbildners Michiel Dijkema ist im Grunde immer derselbe. Er legt den Fokus auf die Fabel und rückt das zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht der Figuren ins Zentrum. Visuell bedient er sich – je nach Werk – Ästhetiken von Barock bis Hochromantik, wobei kräftige, dunkle Farbtöne die Szene dominieren. Die Sänger lässt er – so auch in Dresden – in aufwendig gestaltete Kostüme kleiden, um die Illusion einer realitätsfernen, schaurigen Märchenwelt zu perfektionieren Gleiches gilt für die Dekorationen, sodass bloß niemand beim Betrachten des Bühnengeschehens auf den Gedanken käme, die Inszenierung sei nicht klassisch, traditionell oder werkgetreu.

Dass dieser Eindruck täuscht, erkennt zumindest der kundige Operngänger. Die Wolken, die sich in Dresden über der Szenerie ausbreitet, bilden bei näherer Betrachtung ein knöchernes Gespenst, das sich auf der Flucht zu befinden scheint. Das Motiv bildet den Schlüssel zu Dijkemas Deutung. Die Mozart’schen Figuren sind bereits auf der Flucht oder wollen fliehen. Belmonte (Joel Prieto) begibt sich um der Flucht willen in die Gefahr, um seine Geliebte Konstanze (Simona Saturova) zu retten. Sie, Belmontes Diener Pedrillo (Manuel Günther) und dessen Partnerin Blonde (Tuuli Takala) sind am Hofe des Bassa Selim (Erol Sander) gefangen, wo sie dessen Diener Osmin (Dimitry Ivashchenko) schutzlos ausgeliefert sind. Bassa Selim wiederum musste zwangsweise nach einer Intrige mit Belmontes Vater seine spanische Heimat verlassen und ist auf der Flucht schließlich in der Türkei gestrandet, wo er zum Islam konvertierte.

Wenngleich Dijkema die Geschichte in das Gewand einer orientalischen Märchenwelt wie aus „1001 Nacht“ kleidet, sind die Themen des Werks aktueller denn je. Das humanistische Menschenbild, das in der Figur des Bassa Ausdruck findet, darf dieser Tage als ein Gegenentwurf der Opernleitung zu jenen kruden Ideologien der Ungleichheit interpretiert werden, deren Anhänger sich beinahe im Wochenrhythmus nur einen Katzensprung von der Semperoper entfernt versammeln. Flucht ist bei Mozart/Dijkema nicht mehr als die Notwendigkeit, einem ansonsten unvermeidbaren Übel zu entgehen. Der Brückenschlag in die Gegenwart vollzieht sich in den Köpfen der Zuschauer. Aus dieser Warte heraus betrachtet, ist die „Entführung“ ein wichtiges Signal der Semperoper an die Dresdner Stadtgesellschaft: Wir sind weltoffen und schließen niemanden aus unserer Mitte aus.

Leider konnte Erol Sander diese Botschaft „zwischen den Zeilen“ nur bedingt transportieren. Man merkte deutlich, dass der Film- und Fernsehstar auf der großen Opernbühne nicht Zuhause ist. Der 48-Jährige tat sich schwer, den berühmten Funken von der Bühne auf das Publikum überspringen zu lassen. Mehr Erfolg hatte Christopher Moulds am Pult der Staatskapelle. Das Orchester erntete nach zweieinhalb Stunden mit Abstand den lautesten Beifall.

Aus der internationalen Sängerriege stach Joel Prieto besonders positiv hervor. Der Tenor überzeugte durch lebendiges Spiel und einen angenehm weichen Schmelz in der Stimme. Nicht minder überzeugend präsentierte sich Simona Saturova, die mit Konstanzes Koloratur-Arie im zweiten Akt für Gänsehautmomente sorgte. Dimitry Ivashchenko gefiel zwar mit seinem brummigen Bass, hatte aber hörbare Schwierigkeiten bei der Aussprache der deutschen Texte.

Semperoper
Die Entführung aus dem Serail
Wolfgang Amadeus Mozart

Nächste Termine: 5.5., 15.5., 19.5.

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