Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht von einem "weiteren drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit" in Deutschland bis 2015 aus. Ursachen seien steigende Mieten, zunehmende Verarmung und Fehlentscheidungen bei Hartz IV, teilt die Arbeitsgemeinschaft anlässlich ihrer diesjährigen Bundestagung in Leipzig mit.

Das Hotel Westin in der Leipziger City stellt eher gehobenen Wohnstandard dar. Hier treffen sich in diesen Tagen die Experten der Wohnungslosenhilfe. Mit “Allzuständig? Lückenbüßer? Scharnier? – Schnittstellen der Hilfen für Menschen in Wohnungsnot und Armut zu angrenzenden Hilfesystemen” ist die diesjährige Bundestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) überschrieben. Nach Angaben der Veranstalter kommen dazu 750 Teilnehmende und Mitwirkende aus Sozialarbeit, Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wohnungswirtschaft, Betroffenengruppen und ehrenamtlichen Initiativen zusammen.

Eingangs der Tagung schlägt die BAG Alarm. “Wir müssen leider davon ausgehen, dass das Ausmaß der Wohnungslosigkeit zwischen 2008 und 2010 dramatisch gestiegen ist”, schätzt BAG-Geschäftsführer Thomas Specht ein. Für 2010 geht der Dachverband von etwa 248.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung aus, 2008 seien es noch 227.000 gewesen. Hinzu kamen laut BAG in 2010 weitere 106.000 Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, gegenüber 103.000 in 2008. Bei diesen Menschen stand der Verlust der Wohnung unmittelbar bevor. “In 2010 zählten also insgesamt circa 354.000 zu den so genannten Wohnungsnotfällen, in 2008 waren es noch 330.000”, beziffert die BAG das Gesamtausmaß.

Bis 2015 geht der Dachverband von einem “weiteren drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit” um zehn bis fünfzehn Prozent auf dann 270.000 bis 280.000 Menschen aus. Dabei ist die BAG auf Schätzungen angewiesen. Denn in Deutschland gebe es keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung auf gesetzlicher Grundlage. Ein Manko, das die BAG seit Jahren benennt.Ebenso deutlich wird der Dachverband bei der Benennung der Ursachen der Entwicklung. Hohe Mieten insbesondere in den Ballungsräumen, Verarmung und Fehlentscheidungen bei Hartz IV führen die Vertreter der BAG hier an. Insbesondere Alleinstehende seien von Wohnungslosigkeit bedroht, auch nehme die Zahl jugendlicher Wohnungsloser zu.

Wohnungspolitik könnte hier gegensteuern. Doch hier setzt die Politik an vielen Stellen andere Signale. “Der Bund kürzt die Mittel für die Städtebauförderung erneut in 2012, das Programm “Soziale Stadt” steht faktisch vor dem Aus”, kritisiert die BAG, “Kommunen und Länder verkaufen ihre eigenen Wohnungsbaubestände an private Investoren.”

Als sozialpolitische Fehlentscheidungen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende, landläufig bekannt als Hartz IV, führt der Dachverband die Sanktionierung auch bei den Kosten der Unterkunft von jungen Erwachsenen, unzureichende Anhebung des Regelsatzes sowie die Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung an.”Ein Viertel unserer Klientel verfügt über keinerlei Einkommen”, beschreibt BAG-Vorsitzender Winfried Uhrig die Situation. Neun von zehn Klienten der Wohnungslosenhilfe seien arbeitslos, die allermeisten langzeitarbeitslos. “Nur mit einer sozial- und arbeitsmarktpolitischen Wende – vergleichbar mit der energiepolitischen Wende – könnten diese sich abzeichnenden Entwicklungen zumindest noch abgemildert, wenn auch nicht mehr aufgehalten werden”, so Uhrig am Rande der Leipziger Tagung.

Leipziger Winterprogramm für Wohnungslose tritt in Kürze in Kraft

In Leipzig tritt das Winterprogramm für Wohnungslose am kommenden Montag, 14. November 2011, in Kraft. “In Leipzig ist auch für die kommende Kaltwetterperiode eine ausreichende Anzahl Betten zur Unterbringung wohnungsloser Personen vorhanden”, heißt es aus dem städtischen Sozialamt. Insgesamt 84 Plätze stünden aktuell in den verschiedenen Einrichtungen für alleinstehende Männer und Frauen täglich zur Verfügung. Für obdachlose Familien stünden bei Bedarf vorübergehend so genannte Gewährleistungswohnungen zur Notunterbringung zur Verfügung. “Alle wohnungslosen Menschen erhalten bei Bedarf eine Unterkunft und die erforderliche Grundversorgung”, versichert das Sozialamt.

Zu den Übernachtungseinrichtungen zählen beispielsweise das Übernachtungshaus für wohnungslose Männer in der Rückmarsdorfer Straße 7 in Leutzsch und das Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen in der Scharnhorststraße 27 im Leipziger Süden. Angebote als Tagestreffs bieten die Ökumenische Kontaktstube “Leipziger Oase” in der Nürnberger Straße 31, der Tagestreff für Wohnungslose “Insel” in der Lindenauer Plautstraße 18 sowie der Tagestreff für Wohnungslose in der Rückmarsdorfer Straße 5 an.

“Das Sozialamt der Stadt Leipzig bittet die Leipziger, alle Personen, die obdachlos sind, sich in Abbruchhäusern oder anderen ungesicherten Unterkünften aufhalten und Schutz vor der Kälte benötigen, auf die entsprechenden Hilfeangebote hinzuweisen oder aber das Sozialamt der Stadt Leipzig, Abteilung Soziale Wohnhilfen, über mögliche wohnungslose Menschen, die Hilfe benötigen, zu informieren”, heißt es abschließend aus dem Technischen Rathaus.

www.bagw.de

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