Endspurt. Von Holzhausen nach Liebertwolkwitz kann es weiter sein, als man denkt - zumal nach 450 Minuten Wandern. Eine verwirrte Fahrradfahrerin kreuzt meinen Weg und in Liebertwolkwitz werde ich schon mal auf das große Völkerschlachtjubiläum eingestimmt. Aber wer war eigentlich Josef Sliwanksi? Und wer Fritz Zalisz?

Noch 30 Minuten später werde ich mich fragen, warum mir diese Idee kam. Ich war auf direktem Wege nach Holzhausen. Nur noch die Feldstraße gerade durch und dann auf die Liebertwolkwitzer Straße und dann … Aber nein, ich musste ja in einem Anfall von Wahnwitzigkeit nach Süden in die Fritz-Zalisz-Straße einbiegen, die nichts Aufregendes bot, dafür aber umso länger war. Lang genug, um darüber nachzudenken, was mich zu diesem Umweg getrieben hat und wer eigentlich dieser Fritz Zalisz war. Und sieh an: Zalisz war ein deutscher Maler, Dichter, Grafiker und Bildhauer, der mehrere Büsten von deutschen Komponisten schuf und 1971 in Holzhausen verstarb.Von hier ist es nur ein Steinwurf bis zum Monarchenhügel, wo die drei alliierten Würdenträger Zar Alexander I. von Russland, Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kaiser Franz I. von Österreich (früher als Kaiser Franz II. Herrscher über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation) ihren Soldaten beim Kämpfen zusahen. Ein Obelisk erinnert seit 1847 an die Zusammenkunft der drei, die hier Zeugen der”aussergewoehnlichen Tapferkeit ihrer Truppen” waren. Wer ist eigentlich Zeuge meiner außergewöhnlichen Tapferkeit? Lisa und Clarissa haben jedenfalls mit Kreide am Sockel festgehalten, dass sie “best friends” sind. Das waren die Monarchen trotz dieses Erlebnisses zur Völkerschlacht ganz gewiss nicht.

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Nach sieben Stunden stottere ich die Clemens-Thieme-Straße herunter. Der Monarchenhügel ist immerhin mit 163 Meter über Normalnull die zweithöchste natürliche Erhebung im Leipziger Stadtgebiet. Nur beiläufig bemerke ich, welch’ putzige Architektur hier wirkt. Die Häuser auf der rechten Straßenseite sind vorwiegend über eine Treppe zu erreichen, die in den 1. Stock führt. Ich habe keine Zeit, mich damit länger auseinanderzusetzen. Eine Fahrradfahrerin brüllt hinter mir “Obacht”, ich erschrecke, sie quetscht sich neben mir auf dem Fußweg vorbei, wo die Straße doch vollkommen leer ist. Am Ende des Fußwegs dreht sie um, um dann auf der Straße wieder zurück – und an mir vorbeizufahren. Ist sie vielleicht 27 Kilometer Fahrradgefahren? Nach 27 Kilometern zu Fuß fühle ich mich jedenfalls zu solchen sinnlosen Aktionen locker in der geistigen Lage. Doch es gibt Hoffnung.

Am Firmament baut sich Liebertwolkwitz auf. Ich kann sie sehen, die Stadt, die nie der Traum meiner schlaflosen Nächte war, aber zur Zeit für mich durchaus begehrenswert ist. Ich biege in die Alte Tauchaer Straße ein und marschiere schweren Schrittes den neu angelegten Fuß- und Radweg entlang Richtung Südosten. Kurz bevor ich “Wolks” erreiche, quietscht es hinter mir. Ein Ford Ka hält mitten auf der nicht gerade leeren Straße an, der Fahrer steigt aus und herrscht eine Fahrradfahrerin an. Er ist außer sich, weil sie knapp vor ihm auf die Straße geprescht ist und damit beinahe eine Kollision verursacht hat. Sie lenkt ab: “Ach ich muss hier rein, das ist doch nicht weiter schlimm….” Fröhlich pfeifend fährt sie weiter. Es war die Dame von gerade eben.Unverständlich, dass der Fußweg aufhört, als ich Liebertwolkwitz erreiche. LKW donnern vorbei, als ich lediglich auf einem Grünstreifen neben alten Garagen laufen kann. Die ältere Dame auf dem Fahrrad überholt mich schon wieder. Nun verschwindet sie aber vollends. Die Stadt scheint an dieser Stelle eine Kommune im Würgegriff des Verkehrs zu sein. Ich suche ohne Umschweife den Weg zum Markt und komme auch hier an verlassenen Häusern vorbei, die man – so scheint mir – stets an grauen Gardinen vor blinden Fenstern und einer Plasteblume auf dem Fensterbrett erkennt.

Am Markt ist deutlich zu sehen, dass sich die Gemeinde schon auf die diesjährigen Feierlichkeiten zur Völkerschlacht eingestellt hat. An den Höfen am Markt hängen Schilder mit den Namen der Besitzer zur Zeit der Schlacht und deren Berufen, unter anderem Hintersässer und Pferdner. Große, braune Banner werben für “Liebertwolkwitz 1813 – 2013 – Das Dorf, 16. – 20. Oktober”. Allerdings passt zu dem kleinen Hype um die Schlacht nicht, dass auf dem Markt ein Denkmal für den Gutsbesitzer Friedrich Teichmann steht, weil er die Gründung einer Sparkasse im Ort im 19. Jahrhundert angeregt hat. Seit 113 Jahren steht das Denkmal hier und keines, das im Zusammenhang mit der Völkerschlacht steht. Für mich als Nicht-“Wolkser” irgendwie unverständlich.Genauso wie ich Friedrich Teichmann nicht kannte, bevor ich das Denkmal sah, bin ich auch bei dem Namen Josef Sliwanski überfragt, für den ein Hain direkt an der Muldentalstraße angelegt wurde. Auch hier vermisse ich wie so oft auf meiner Tour eine Informationstafel. “Die Opfer mahnen” steht auf einem Stein. “Welche Opfer?”, ist man geneigt zu fragen. Ich reime mir zusammen, dass Sliwanski wohl ein Soldat bei der Roten Armee gewesen ist. Sicher wissen, weiß ich es nicht. Ich kann niemanden fragen, denn die Durchgangsstraße scheinen Fußgänger zu meiden.

Kurz vor der Bahnbrücke entscheide ich mich, diese Straße, die ich im Prinzip seit dem Johannisplatz hätte durchlaufen können, letztmalig zu verlassen und biege in die Oberholzstraße ein. Aber es ist zwecklos. Ich bin nur noch damit beschäftigt, endlich anzukommen. Für klare Beobachtungen und entsprechende Gedanken ist es viel zu spät. Aber das Knie schmerzt nicht mehr, dafür scheuert die Hose und ich bin müde, müde, müde, als ich zehn nach Vier, also nach acht Stunden und zwanzig Minuten das Ortsausgangsschild unserer Stadt erreiche.

Auf dem langen Nachhause-Weg mit dem Auto suche ich nach Antworten auf die Frage, was letztendlich von meiner Stadttour hängenbleibt.

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