Was kommt eigentlich dabei heraus, wenn in Umfragen Quatsch-Fragen gestellt werden? Diesmal war die DAK Gesundheitskasse so mutig und hat sich auf ein Feld vorgewagt, auf dem sie noch nie unterwegs war: der Mediennutzung. Aber wenn es um die üblichen guten Vorsätze zum Jahreswechsel geht, nehmen sich Menschen ja allerlei Dinge vor, die sie niemals umsetzen werden. Und die Meisten wissen das auch schon um 0:01 Uhr am 1. Januar.

Und das geht schon mit den Klassikern unter den gut gemeinten Vorsätzen los: “Weniger Stress steht in Sachsen ganz oben auf der Liste guter Vorsätze”, teilt nun die DAK mit, nachdem sie von Forsa bundesweit 5.429 Bürger hat befragen lassen, mindestens 200 davon in Sachsen. Das Ergebnis ist so typisch wie unausweichlich: “Sechs von zehn Sachsen wollen 2015 Druck abbauen und vermeiden. Das Bundesland folgt damit genau dem deutschlandweiten Trend. Den Wunsch nach weniger Stress hat vor allem die Rushhour-Generation zwischen 30 und 44 Jahren (68 Prozent).”

Erstmals ließ die Kasse auch den Faktor Mediennutzung abfragen. Mit 18 Prozent wollen überdurchschnittlich viele Sachsen künftig öfter auf Computer und Smartphone verzichten. Bundesweit liegt der Wert bei 15 Prozent. Die Differenz ist also gar nicht so groß. Und es ist – man kennt das ja schon – wieder mal Äppel mit Mohrrüben verglichen. Denn wenn sich die Studienautoren die Zahlen mal nach Altersjahrgängen betrachten, dann kommt etwas anderes heraus. Die DAK: “Für die sogenannten Digital Natives zwischen 14 und 29 Jahren steht Abschalten weit oben auf der Liste der guten Vorsätze. Fast 30 Prozent wollen 2015 Handy, Computer und Internet weniger oft nutzen. Je älter die Befragten, desto weniger wichtig ist dieser Aspekt: Nur acht Prozent der Befragten in der Generation 60 plus teilen diesen Wunsch.”

Und siehe da: Es spiegelt sich in der Umfrage schlicht die ganz normale heutige Verteilung der Mediennutzung. Für “Digital Natives”, also die Generation, die quasi ins digitale Zeitalter hineingeboren wurde, sind Computer, Smartphone usw. schlicht Alltag. Durch die Entwicklung der mobilen Endgeräte hat sich ihre Verweildauer der jungen Nutzer in den Online-Medien seit 2004 von 168 auf 248 Minuten erhöht. Pro Tag, wohlgemerkt. Wer es in Stunden umrechnen will: Aus zweieinhalb Stunden wurden vier.

Wenn die Älteren da kürzer treten wollen, ist das eine völlig andere Dimension. Deren Online-Zeit hat sich nur von 95 auf 108 Minuten pro Tag erhöht. Diese Generation klebt dafür vorm Fernseher: 297 Minuten, wie die letzte ARD/ZDF-Onlinestudie wieder ergab. Die 14- bis 29-Jährigen kommen da nur auf 129 Minuten.

Und das sollte die Herren aus den Programmetagen durchaus interessieren: Während nun 15 Prozent der über 60-Jährigen sagen, sie wollten 2015 seltener fernsehen, sagen es bei den 14- bis 29-Jährigen immerhin 21 Prozent. Was zumindest schon einmal andeutet, dass diese Dinge eher wenig mit guten Vorsätzen zum Jahreswechsel zu tun haben, sondern mit langfristigen Trends.

Was auch die Zwischenbemerkung bedingt: Die meisten Befragten nehmen sich gar nichts Besonderes vor zum neuen Jahr, weil sie genau wissen, dass es so ist. Die wichtigen Entscheidungen trifft man, weil sie dran sind und sich ins eigene Lebensmuster einfügen. Nur 39 Prozent der Befragten nahmen sich zum Jahreswechsel 2014 etwas vor. Und nur 52 Prozent davon haben sich länger als drei Monate dran gehalten.

Unter anderem, weil man viele Dinge einfach nicht beeinflussen kann. Für Sachsen eigentlich ganz typisch: “Am meisten stresst die Sachsen Zeitdruck im Beruf. 54 Prozent der Befragten gaben dies an (bundesweit: 51 Prozent). Gesundheitliche Sorgen nehmen den zweiten, Streit und Ärger in der Familie den dritten Platz sächsischer Stressfaktoren ein (53 und 51 Prozent). Beide liegen einige Prozentpunkte über dem Bundesschnitt (44 und 46 Prozent).”

Auffällig aus Sicht der DAK Gesundheitskasse: “Mehr als vier von zehn Sachsen fühlen sich von familiären Verpflichtungen gestresst. Bundesweit nannte das weniger als ein Drittel aller Befragten.”

Ist nur die Frage: Wie interpretiert man das?

“Beruflich wie privat gilt: Klare Absprachen helfen, Stress zu vermeiden”, sagt Frank Meiners, Diplom-Psychologe bei der DAK-Gesundheit. “Wer Grenzen zieht und sich bewusst Ruhepausen schafft, bleibt entspannt und fördert seine Gesundheit.” Die DAK bietet an der Stelle gleich mal ein Coaching-Programm an. Aber das macht nur Sinn, wenn man die Ursachen für den überdurchschnittlichen familiären Stress kennt. Die aber wurden nicht abgefragt. Was schade ist.
Ein Grund aber deutet sich an. Denn wenn die Sachsen etwas überdurchschnittlich “Zeitdruck im Beruf” nennen, dann liegt es nahe, dass unter einem immer mehr ins Private ausgreifenden Arbeitsleben natürlich auch das Familienleben leidet. Wenn dann auch noch die Dauerbereitschaft via SMS, E-Mail, Smartphone verlangt wird, dann bleibt für die Familie nicht mal mehr der Kopf frei. Dann wird verständlich, warum auch gerade junge Leute den Bembel irgendwann mal ausschalten wollen, um sich mit der Freundin, Frau, Geliebten über Familienplanung und andere schöne Dinge zu unterhalten.

Logisch, dass das dann wieder unter den Vorsätzen fürs neue Jahr auftaucht: “Trotz der stressigen familiären Verpflichtungen haben sich 57 Prozent der Sachsen vorgenommen, sich im kommenden Jahr mehr Zeit für Familie und Freunde zu nehmen. Damit folgen sie dem bundesweiten Trend (55 Prozent). Auf Rang drei folgt gesündere Ernährung. Mit 55 Prozent liegt Sachsen hier sieben Prozentpunkte über dem Bundesschnitt.”

Aber um das nicht einfach im Raum stehen zu lassen: Die Zahlen sagen natürlich auch, dass es den Sachsen da keine Spur anders geht als den anderen Bundesdeutschen. Die Konfliktlagen sind überall dieselben und es liegt nahe, die abweichenden Prozente eher mit der geringen Zahl abgefragter Stimmen aus Sachsen (>200) zu erklären. Ansonsten sagen 36 Prozent aller Befragten, dass es ihnen schwer fällt, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Und am heftigsten leiden darunter die 30- bis 44jährigen, die mitten im Berufsleben stehen: 57 Prozent. Sie leiden auch am stärksten unterm Zeitdruck im Beruf: 67 Prozent. Sie haben zusätzlich zu familiären Problemen (36 Prozent) auch die Nase voll, ständig für ihren Chef erreichbar sein zu müssen (37 Prozent).

Da sind wir jetzt aber ganz schnell weggekommen von der schönen Gute-Vorsätze-Welt der DAK. Tatsächlich legt die Umfrage mal wieder offen, wie gerade die Menschen mitten in der Doppelt- und Dreifach-Belastungsphase des Lebens (“Rushhour”-Generation) unter der permanenten Bereitschaftsforderung eines gut Teils der überdrehten Wirtschaft leiden. Da bekommt man Familie, Gesundheit, Ernährung, Job und Freizeit nicht mehr reibungslos unter einen Hut.

Das hat eher seltener mit durchgeknallten Chefs oder fiesen Unternehmensphilosophien zu tun. Zumindest in Sachsen. Mit 16 Prozent geben die Sachsen deutlich seltener als der Bundesdurchschnitt (28 Prozent) an, Probleme mit dem Chef zu haben. Nur 17 Prozent haben Angst vor einem Jobverlust. Die Sachsen wissen recht gut, dass nicht nur sie selbst rackern müssen, damit die Familienkasse nicht leer wird – den Unternehmen, in denen sie arbeiten, geht es nicht anders.

Wobei das Erstaunliche ist, dass die Konflikte mit Chef und Kollegen zunehmen, je höher der Bildungsabschluss ist. Kann man natürlich fragen: Ist das der Ärger auf der Karriereleiter? Oder sind Menschen mit höherem Bildungsniveau schon allein deshalb unzufriedener und hadern mit Jobsituationen, die ihnen gründlich verbesserungswürdig erscheinen?

Die ganzen Hitlisten zu Vorsätzen und Durchhaltevermögen lassen wir einfach weg. Die stehen in dem PDF unten.

Denn Vorsätze nutzen nicht die Bohne, wenn man nicht bereit ist, sein Leben wirklich zu ändern – etwa den Job komplett zu wechseln, die Fernsehabende abzuschaffen und Familienabende draus zu machen, statt im Supermarkt auf dem Frischemarkt einzukaufen, die Wochenenden komplett für Familie, Bewegung, Erholung frei zu halten, sich echte Hobbys zuzulegen (wenn man noch keine hat) und sich auch Freiräume zu nehmen, eben nicht mehr erreichbar, präsent und einsetzbar zu sein. Das hat was mit Freiheit zu tun, der Freiheit, sich nicht komplett vereinnahmen zu lassen von einer Welt, in der Nicht-Präsenz verpönt ist und Nicht-Haben etwas Schreckliches.

Ein bisschen klingt ja in den Vorsätzen an, dass man das Wichtigste tatsächlich verliert, wenn man sich dem Sog des permanenten Dabeiseins und Habenwollens nicht entziehen kann: Familie, Freunde, Zeit fürs eigene Leben.

Vielleicht heißt das dann einfach, nicht zu verzichten, sondern sich mehr vorzunehmen von etwas anderem:

– mehr zu lieben

– mehr zu träumen

– mehr Mut zum Eigensinn zeigen

– öfter fröhlich Nein zu sagen

– mehr genießen, was einem gegeben ist

– mehr Freude an Konflikten finden und an der gemeinsamen Lösung

– mehr Mut zur eigenen Meinung

Pünktchen. Pünktchen. Pünktchen. Wahrscheinlich gehen die meisten Vorsätze deshalb in die Hose, weil es negative Vorsätze sind. Wenn man selbst nicht weiß, was man eigentlich werden möchte, hilft auch Verzicht nicht weiter. Und zum Verzichten ist das Leben eigentlich nicht da, erst recht nicht zum Verzichten aufs selbstgelebte Leben.

Die Zahlen der Gesamtumfrage:
www.dak.de/dak/download/Forsa-Umfrage_Gute_Vorsaetze_2015-1533874.pdf?
Die Auswertung für Sachsen als PDF zum download.

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