Zum Jahreswechsel sollte Zeit und Muße sein, zurückzublicken und in sich zu gehen, die Gedanken auf Reisen zu schicken und vielleicht auch eigene Sichten zu hinterfragen. Um dann ausgeruht und gestärkt weiterzumachen. Oder etwas zu ändern. Tanner fragte bei Menschen nach und ließ sie reden, frei nach Heinrich Böll (im Aufsatz "Die humane Kamera" 1964) "...dass die Menschen nicht überall gleich, sondern überall Menschen sind, deren Menschwerdung gerade erst begonnen hat."

2015 bimselt ja gerade aus. Welches Thema hat Dich denn in diesem Jahr besonders bewegt und warum?

Natürlich waren es die Flüchtlinge und es waren die Terroranschläge in Paris, wo ich selbst kurz vorher zu Besuch war. Was die großen Themen angeht, bewegt es mich schon sehr – wenn auch nur auf der Trauerskala – was wir indirekt oder direkt erleben an Krieg, Korruption und an ausländerfeindlichen Tendenzen. Das überschattet vieles Gute.

Und von Deinen ganz persönlichen Erlebnissen. Welches war das Einschneidenste?

Als ich vor der Mona Lisa von da Vinci im Louvre stand diesen Sommer. Es drängten sich dort hunderte von Besuchern aus aller Welt, aber keiner schaute das Bild an, auch fotografierte es niemand, sondern man schoss nur Selfies mit sich und Freunden oder der Familie vor dem Bild, das damit zum Hintergrunddekor wurde. Das ist ein Symptom unserer Zeit. Die Inhalte sind irrelevant, Hauptsache ich inszeniere meine Person – ein Abbild dessen, was uns Showbusiness und Politik vormachen. Zugleich schwindet mit der Globalisierung und der Weltkomplexität die Bedeutung des Einzelnen. Wir simulieren Bedeutung auf der großen Gegenwartsbühne.

Zum Leben gehört ja auch Entwicklung, wenn’s gut geht, sogar Geistige. Befindest Du Dich da gerade auf einem Weg? Besonders, da zwischen den Tagen und im Jahresumbruch ja gerne auch Zeit ist für Tiefgang? Berausch uns bitte mit Deiner Sicht der Dinge.

Man könnte sich der Ansicht mancher Philosophen anschließen, dass das Projekt Menschheit gescheitert ist. Aber was würde diese Einschätzung nützen? Ich konzentriere mich auf den minimalen Bereich, in dem ich wirken kann. Natürlich mache ich auch deswegen als Verleger gern Bücher, weil jedes Buch – so wie ich es verstehe – ein winziger Gegenentwurf zur Realität ist.

Was wünschst Du Dir von Deinen Mitmenschen im neuen Jahr und warum?

Ein bisschen mehr Höflichkeit reichte schon. Dazu gehört natürlich auch Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft – im weitesten Sinne.

Ich las gerade folgenden weisen Satz: “Dick macht nicht, was man von Weihnachten bis Neujahr isst, sondern was man von Neujahr bis Weihnachten isst.” Da sind wir beim Genusse. Wie ist’s mit dem Speisen und Trinken bei Dir an den Tagen? Was gibt es auf die Teller? Besonderheiten?

Ich genieße es, manchmal alles zu essen, worauf ich Lust habe – und das ist nicht unbedingt gesund. Weihnachten verführt natürlich. Es besteht die Gefahr, dass kein Schoko-Weihnachtsmann vor mir sicher ist. Als Ausgleich jogge ich, mal mehr mal weniger.

Und welche Wünsche möchtest Du Dir selber 2016 erfüllen?

Ach, als Verleger schöne Bücher machen. Ansonsten wünsche ich mir die Quadratur des Kreises: Dass es mir trotz aller beruflichen (und ehrenamtlichen) Aufgaben gelingt, auch Zeit für die Familie und für mich zu finden.

Bist Du glücklich? Fühlst Du Dich schön?

Wenn ich mich von außen betrachten könnte, würde ich mich gewiss für sehr glücklich halten. Aber Glück ist ja relativ. Man gewöhnt sich daran. Erst wenn einem das, was man für selbstverständlich hält, plötzlich fehlt, weiß man, was Glück ist. Mich schön fühlen? Ich habe seit zwei Monaten eine neue Brille! Das reicht ja wohl.

Danke für Deine Antworten.

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