Ohne Frage: Werbung fetzt. Erst kürzlich wurde ich auf einem Werbeplakat für eine Hosenfirma einer Anzeige angesichtig, die einen adrett ausstaffierten Mittfünziger ins Bild rückte. Der smarte Mann zwinkerte dem Betrachter mit seinen attraktiven Fältchen um die Augen derart jovial zu, als wolle er sagen, dass er selbst seine Krähenfüße zur Pediküre trüge.

Den Schal hatte er modisch übereinanderdrapiert um den Hals geschlungen, wie es die Mode eben gerade erfordert und in den Händen balancierte er offenkundig belustigt-bemüht drei Pappbecher eines modernen Kaffeegetränkes. Die Bildunterschrift informierte den Leser, was der Mann angeblich dachte: „Ich liebe Herausforderungen!“

Bestürzt über die Banalität und vermeintliche Harmlosigkeit moderner männlicher Herausforderungen, wusste ich zwei Sekunden später jedoch, dass es der schöngemachte Mann tatsächlich nicht so leicht haben könnte.

Bei Lichte betrachtet, ist der Adam des 21. Jahrhunderts Inhaber eines eher beschissenen Los’: Er hat nicht nur den Vollzeitjob „Verbraucher“ am Hals, sondern – glaubt man nämlich einer relativ aktuellen ZEIT-Reportage – das, was robustere Gemüter gerne als „Arschkarte“ betiteln. Der Mann, so steht es dort schwer statistisch aufgeschrieben, hinke in fast allen Belangen ächzend der weiblichen Bevölkerung hinterher: Nicht nur, dass Obdachlosigkeit ein ausschließlich männliches Problem darstelle, auch Amokläufe würden lieber von Männern organisiert.

Auch türme sich die männliche Suizidrate dreimal so hoch wie die der Frauen. Und selbst, wenn die Männer sich nicht selber ins Jenseits beförderten, gerieten sie im Schnitt fünf Jahre früher als die Damen zum Fall fürs örtliche Bestattungsunternehmen. Geschenkt fast, dass psychische Störungen bei Jungen angeblich achtmal so häufig auftreten wie bei Mädchen.

Da reicht ja meist ein Blick in zahlreiche Chefetagen hochdotierter Unternehmen. Aber dass auf 100 männliche Schulabbrecher nur 88 Mädchen kämen, möchte man sich im umgekehrten Falle gar nicht vorstellen, ohne rot zu werden. Fürwahr – es gab schon bessere Zeiten fürs Mannsein. Kein Wunder, dass er dabei wach bleiben und sich nicht mit irgendeinem Kaffee zufrieden geben will.

Das dunkle Heißgetränk hat – vergleicht man es mit der oftmals zermürbenden Akquise eines potentiellen Beischlaf- und Lebenspartners oder der schwierigen Auswahl des richtigen Klingeltons – einen klaren Vorteil. Es existiert eine deutliche Qualitätsrichtlinie wie ein guter Kaffee beschaffen zu sein hat. Klar deklariert es das arabische Sprichwort: „Heiß wie die Küsse eines Mädchen am ersten Tag, süß wie die Nächte in ihren Armen und schwarz wie die Flüche der Mutter, wenn sie es erfährt.“

Aber das ist eigentlich schon ein bisschen sexistisch.

Deswegen kommt jetzt auch noch der frischverliebte Justizminister um die Ecke und will den Männern den letzten Lichtblick in ihrem ohnehin stark angedüsterten Dasein versauen. Heiko Maas missgönnt Deutschlands Mannen den freien Blick auf den werbenden Busen. Aber ist das tatsächlich so?

Besieht man sich den Vorstoß des eleganten Sozialdemokraten genauer, findet man noch gar nicht so furchtbar viel. Der Gesetzesentwurf ist nämlich noch gar nicht unters Volk gelassen worden. Man weiß so ungefähr, Maas wolle Werbung eindämmen, die Personen auf ihre Sexualität reduziert, Nacktheit übertrieben darstellt und keinen akzeptablen Zusammenhang darstellt zwischen Präsentation und Produkt.

So weit, so gut. Man muss sich fragen, was eigentlich verloren ginge, wenn die Bereitschaft zur Unterbodenwäsche des Kraftfahrzeugs nicht mehr von zwei Popobacken in Hotpants forciert würde. Einigen würde sicher was fehlen. Bösartige Kolumnisten würden vielleicht behaupten, wer schon selber keinen Arsch in der Hose hat, der wolle wenigstens einen anderen sehen.

Aber das ist zu eng gedacht.

Gehen wir mal von der folgenden Prämisse aus: Viele Menschen reagieren irgendwie auf optische Reize, Männer vermutlich stärker als Frauen. Sie erfreuen sich an gut gewachsener Anatomie, wollen Holz vor der Hütte sehen, irgendwelche Kurven, viele wollens rund, andere eher eckig. Die Urtriebe lassen sich auch im Zeitalter von SANIFER, Helm-Fetischismus, EU-Gurkenrichtlinien und linguistischem Genderzirkus nicht recht zurückdrängen. Warum auch?

Die Frage ist allerdings: In welchem Maße sollte man dies ständig in den Fokus der Öffentlichkeit rücken? Die Leute denken doch ohnehin an Sex, viele gehen sogar soweit, ihn selbständig und ohne staatliche Hilfestellung zu praktizieren – unerschrocken und mit einem gewissen anhaltenden Amüsemang.

Vielleicht wollen wir das nur ganz gern rumzeigen. Soll die ständige Präsenz von entblößten Extremitäten eventuell nur beweisen, wie offen und wie wenig bigott wir durch die Welt gehen? Wie wir die Prüderie der vergangenen Jahrhunderte aufs Lässigste abgeworfen haben, lachend darüber, dass es Zeiten gab, in denen sogar Stuhlbeine verhüllt werden mussten?

Bei allem Verständnis darüber, dass eine weitere Reglementierung, ein weiteres Verbot offenbar vielen gerade besonders bitter aufzustoßen scheint: Aber ist der stets präsente „public Busen“ tatsächlich ein Zeichen von besonderer Aufgeklärt- und Offenheit oder gar Zeugnis ausgeprägter Phantasie einer Gesellschaft? Ein Beweis dafür, dass wir wenigstens das so richtig drauf haben? Eher nicht, oder?

Wenn wir das Recht auf kontinuierlichen Zugang zu nacktem Bildmaterial außerhalb der eigenen vier Wände als Freiheit bezeichnen, dann ist es ein bisschen wenig Rest-Freiheit.

Traurig, aber wahr

Wir hätten in diesem Punkte schon ein bisschen eher aufschreien müssen und nicht erst jetzt, wenn uns Heiko Maas eventuell die Brustwarzen überkleben will. Falls er das überhaupt will.

Hätten wir nicht längst laut aufschreien müssen gegen das bescheuerte Rauchergesetz, GEZ und die Wildecker Herzbuben? Hätten wir nicht längst gegen den Wahnsinn der Existenz von 176 Krankenkassen protestieren müssen? Gegen das Brauchtum der Finanz-Elite, in der Unübersichtlichkeit unseres Systems ihr Vermögen lässig, still und leise den öffentlichen Bahnen zu entziehen?

Nein, den Busen lassen wir uns nicht auch noch verbieten. Den Busen nicht und auch die Fröhlichkeit. Die gute Laune muss der Mensch behüten. Ein Busen heißt doch nur ein bisschen Freud. Und ja, kein Zweifel, „ein bisschen Schinderassassa und Bums-Faldera gehörte doch schon allezeit zum Leben“, sehr einverstanden damit! Aber wenn man pausenlos damit konfrontiert wird, kann es durchaus passieren, dass einige a.) davon außerordentlich gelangweilt sind, b.) andere wiederum davon außerordentlich animiert und c.) die meisten gar nicht umhin können, als ihre Sehgewohnheiten daran zu entwickeln.

Das muss man dann aber auch weiterhin hinnehmen. Mit allen Begleiterscheinungen, die eben doch dranhängen.

Erneut sehen wir einzig mit ziemlicher Sicherheit: Männer und Frauen können einander getrost noch auf viele weitere Kaffees nach oben bitten, um sich gemeinsamen Herausforderungen zu stellen. Ob mit Milch, Zucker und Zuneigung kann kein Gesetz vorschreiben. Schön wäre es, wenn wir all das ohne hinkriegten. Weil wir einfach gut sind. 🙂

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