Die Mittagspause in der alljährlichen Veranstaltung zum Goerdeler-Preis am Freitag, 2. Februar, nutzte OBM Burkhard Jung, um feierlich die "Portrait-Galerie der Leipziger Oberbürgermeister" in der zweiten Etage des Neues Rathauses zu eröffnen. Sieben OBM kann man dort jetzt hängen sehen. Dabei hatte Leipzig viel mehr: 19, vielleicht sogar 20. Für das Auslassen gibt es Gründe.

Die Idee zu dieser Galerie ist schon uralt. Vor acht Jahren, so erinnert sich Jung, habe man im Ältestenrat des Stadtrats darüber diskutiert. Der Ältestenrat, das sind die Vorsitzenden der Fraktionen. Und berechtigterweise hatten sie ihre Bauchschmerzen bei der Auswahl der Oberbürgermeister, die würdig wären, in so einer Galerie zu hängen. Der Punkt, wo man sich völlig einig war, waren die NS-Bürgermeister. Die will niemand an den Wänden des Neuen Rathauses sehen. Und da ist man dann bei der Frage: Wie grenzt man so etwas sauber ab?

Die Formel, die man damals fand, lautete: Es werden nur alle demokratisch gewählten Oberbürgermeister gewürdigt. Damit sind die nach dem”Führerprinzip” ernannten Bürgermeister raus, damit sind aber auch alle von der SED ernannten Oberbürgermeister der DDR-Zeit raus, mit denen einige Fraktionen erklärlicherweise auch so ihre Bauchschmerzen haben.

Blieb nur ein kleines Problem, das auch postwendend einen deutlichen Kommentar der Linksfraktion bekam: Wie geht man mit den beiden ersten Oberbürgermeistern der Nachkriegszeit um? Mit Wilhelm Johannes Vierling, den die US-Amerikaner 1945 als OBM einsetzten. Und mit Erich Zeigner, dem einstigen sächsischen Ministerpräsidenten, der dann sein Nachfolger wurde, als die Sowjetarmee in Leipzig die Regie übernahm. Nicht nur aus Sicht der Linkspartei ein wichtiger Aufbaubürgermeister, der zwingend zu würdigen wäre.

Auch Burkhard Jung sieht hier eine diskussionswürdige Frage. Denn für seine Verdienste von 1945 bis 1949 sei Erich Zeigner (um dessen Vermächtnis sich in Leipzig der Erich Zeigner e.V. bemüht) unbedingt zu würdigen. Doch der SPD-Mann (der dann Mitglied der SED wurde) kam nun einmal nicht durch eine demokratische Wahl ins Amt, sondern wurde von der russischen Besatzungsmacht als OBM eingesetzt.

Und so hängen nur sieben Bilder Leipziger Oberbürgermeister im Flur.

Die Portrait-Galerie umfasst Darstellungen von sieben Oberbürgermeistern aus der Zeit von 1877 bis 1937 sowie von 1990 bis 2005, teilt die Stadt dazu mit. Die Fotos der Oberbürgermeister aus jüngerer Zeit, Hinrich Lehmann-Grube und Wolfgang Tiefensee, stammen vom Leipziger Fotografen Michael Bader, der auch die Gesamtgestaltung der Galerie übernommen hat. Die historischen Aufnahmen der älteren Stadtoberhäupter wurden mit Hilfe von Dr. Volker Rodekamp vom Stadtgeschichtlichen Museum zusammengetragen.

Die ältesten drei OBM in der Galerie: Dittrich, Tröndlin und Georgi. Foto: Ralf Julke
Die ältesten drei OBM in der Galerie: Dittrich, Tröndlin und Georgi. Foto: Ralf Julke

Von den älteren OBM zu sehen sind Otto Robert Georgi, der von 1876 bis 1899 regierte, genau in der Zeit, in der Leipzig zur blühenden Großstadt wurde. In seiner Amtszeit wuchs die Leipziger Bevölkerung von 127.000 auf 459.000. Das ist die Zeit, die auch Burkhard Jung, der heutige OBM, gern zum Vergleich nimmt, um die Rasanz des heutigen Bevölkerungswachstums historisch zu verorten.

Von 1899 bis 1908 folgte Carl Bruno Tröndlin auf Georgi. “Er stand fast immer im Schatten seines Vorgängers”, sagt Jung. Aber Tröndlin hat mit seiner Stimme auch das Alte Rathaus vor dem Abriss bewahrt. Dafür ist ihm heute noch Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp dankbar. Als Tröndlin aus dem Amt schied, hatte Leipzig schon 580.000 Einwohner und war “wahrscheinlich die reichste Stadt Deutschlands”, wie Burkhard Jung hochemotional zur Einweihung der Bildergalerie erzählte.

“Naja,vielleicht war Hamburg noch ein bisschen reicher.”

Den Reichtum könne man heute noch bewundern – nicht nur im eindrucksvollen Neuen Rathaus, sondern auch in den Schulbauten dieser Zeit. “Die sollten Eindruck machen. Und die machen Eindruck bis heute.”

Auf Tröndlin folgte Rudolph Bernhard August Dittrich (1908 bis 1917), der erleben musste, wie der Krieg die schöne Stadt an die Grenzen ihrer Belastbarkeit brachte. Mitten im Krieg musste er aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten. Sein Nachfolger war von 1918 bis 1930 Karl Wilhelm August Rothe, der eben nicht nur die “Goldenen Zwanziger” durchregierte (die in eindrucksvollen Filmsequenzen bis heute erlebbar sind), sondern auch Inflation, Hyperarbeitsarbeitslosigkeit und das Aufkommen der Extremisten erlebte.

Aber 1930 kam in Leipzig mit Carl Friedrich Goerdeler noch einmal ein Nationalliberaler ins Amt, der bis 1936 versuchte, gegen die Nazis Kurs zu halten, 1936 aber zurücktat, als die Nazis in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Denkmal von Felix Mendelssohn Bartholdy entfernten. Die Verschwörer des 20. Juni sahen Goerdeler nach dem Sturz Hitlers als neuen Reichskanzler vor. Doch das Attentat ging ja bekanntlich schief, am 2. Februar 1945 wurde Goerdeler von den Nazis hingerichtet.

Aber ein Satz von ihm hat es Burkhard Jung angetan: “Das größte Problem ist die Wiederherstellung des einfachen, menschlichen Anstands.” Das gelte auch heute wieder, so Jung. Das Goerdeler-Denkmal liegt genau unter den Fenstern des OBM-Büros. Zwei mal am Tag hört er die kleine Glocke, die an den 1945 ermordeten Oberbürgermeister erinnert.

Das Porträt von Hinrich Lehmann-Grube - hier mit Burkhard Jung, Ursula Lehmann-Grube, dem Fotografen MichaelBader und Museumsdirektor Volker Rodekamp. Foto: Ralf Julke
Das Porträt von Hinrich Lehmann-Grube – hier mit Burkhard Jung, Ursula Lehmann-Grube, dem Fotografen MichaelBader und Museumsdirektor Volker Rodekamp. Foto: Ralf Julke

In der Galerie gibt es an dieser Stelle eine Zäsur: ein Wandfeld zwischen den Fenstern, das bewusst frei gehalten wurde. Damit wolle man die Lücke deutlich machen, so Jung, die zwischen dem letzten demokratisch gewählten OBM (Goerdeler) und dem ersten nach der Friedlichen Revolution, Hinrich Lehmann Grube (1990 bis 1998) liegt. Der Hannoveraner Lehmann-Grube hatte sich 1990 extra noch als DDR-Bürger registrieren lassen, um zur ersten demokratischen Wahl nach der “Wende” antreten zu können.

Er hat den schwierigen Transformationsprozess Leipzigs gestaltet, bis 1998 Wolfgang Tiefensee sein Nachfolger wurde und mit der Ansiedlung von Porsche und BMW und der Olympiabewerbung Akzente setzte, bevor er 2005 als Bundesminister nach Berlin ging und Burkhard Jung in Leipzig nachfolgte.

Burkhard Jung ist in der Galerie noch nicht vertreten. Und noch einer fehle, sagte er: der erste Bürgermeister der Stadt, der sich eigentlich rechtmäßig hätte Oberbürgermeister nennen dürfen. Das war Karl Wilhelm Otto Koch, der von 1849 bis 1876 die Geschicke Leipzig lenkte und 1870 den Sprung zur 100.000-Einwohner-Stadt erlebte. Aber den Titel Oberbürgermeister wollte er wohl nicht tragen. Trotzdem will Jung prüfen lassen, ob Koch nicht doch noch Platz in der Galerie findet.

Die Einweihung der kleinen Galerie erlebte praktisch das Festpublikum des Goerdeler-Preises mit. Darunter auch etliche emsige Stadträtinnen und Stadträte. Und dass Erich Zeigner in der Galerie fehlt, machte Linke-Stadträtin Margitta Hollick gleich mal zu Thema.

Dazu kommen wir noch.

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Es gibt 2 Kommentare

@Alexander: Ihre Meinung ist so nicht stimmig. Der Goerdeler war sicher komplexer wie Sie es darstellen. Literatur und Quellen findet man leicht. Wie ihn der Verfasser des Texts dagegen als Liberalen hinstellt ist eher Mythos, durch und durch konservativ wäre wohl passender. Ein Preuße wier er im Buche stehen könnte. Das sollte man klar trennen von seiner Wirtschaftspolitik zu seiner Zeit. Trotzdem schöner Artikel, gefällt.

“Aber 1930 kam in Leipzig mit Carl Friedrich Goerdeler noch einmal ein Nationalliberaler ins Amt, der bis 1936 versuchte, gegen die Nazis Kurs zu halten, 1936 aber zurücktat, als die Nazis in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Denkmal von Felix Mendelssohn Bartholdy entfernten.”
Sein “Widerstand” begann erst 1936, mindestens bis Ende 1934 war er Sympathisant und war der NS-Ideologie positiv aufgeschlossen.

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