Im Juni 2018 erinnerte das Leipziger Diakonissenhaus und das Diakonissenkrankenhaus mit einem Stolperstein an das tragische Schicksal der ehemaligen Diakonisse Marie Runkel. Sie wurde im Jahr 1941 aufgrund einer psychischen Erkrankung im Alter von 62 Jahren in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet. Unter dem Titel „Engagiert, erkrankt, ermordet“ ist soeben eine Gedenk-Broschüre erschienen, die sich mit dem Leben, beruflichen Wirken und mit dem Tod von Marie Runkel auseinandersetzt.

Die kostenlose Broschüre ist ab sofort am Diako-Standort und demnächst auch in weiteren Einrichtungen verfügbar, die sich kontinuierlich mit der Aufarbeitung von Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen. Zudem ist geplant, dass sie auch im Schulunterricht aktiv zum Einsatz kommt.

Geboren am 8. November 1878 in Merseburg, arbeitete Marie Runkel nach dem Besuch der Bürgerschule 13 Jahre lang als Dienstmädchen. Ab 1907 erlernte sie im Leipziger Diakonissenkrankenhaus den Krankenpflegeberuf. Am 29. November 1913 wurde sie zur Diakonisse eingesegnet. Fortan arbeitete sie als Krankenschwester an der Leipziger Augenklinik, in der Michaelisgemeinde und im Krankenhaus Döbeln. Im Jahr 1918 trat sie kurzzeitig aus dem Diakonissenhaus aus und 1921 wieder ein. Sie übernahm die Gemeindepflege in Böhlitz-Ehrenberg, wo sie bis zu ihrer psychischen Erkrankung im Jahr 1935 tätig blieb.

Im November 1935 wurde Marie Runkel in die Leipziger Universitätsnervenklinik eingewiesen. Von dort aus kam sie am 5. Dezember 1935 in die Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen. Hier wurde bei ihr Schizophrenie diagnostiziert. Am 21. Februar 1941 erfolgte „aufgrund einer Anordnung des zuständigen Herrn Reichsverteidigungskommissars“ eine Verlegung in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt nach Zschadraß, wo sie nur kurz blieb. Bereits am 17. März 1941 erfolgte eine erneute Verlegung, nunmehr in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet wurde – gemeinsam mit 81 weiteren aus Zschadraß deportierten Menschen, die allein an jenem Tag der nationalsozialistischen Mordaktion an psychisch kranken und behinderten Menschen („T4“) zum Opfer fielen. Ihre Asche wurde vermutlich hinter dem Tötungsgebäude einen Hang hinabgeschüttet.

Auf 42 Seiten dokumentiert die Publikation in Wort und Bild die Ereignisse der Stolpersteinverlegung des Vorjahres. Sie umfasst u. a. Ansprachen, Auszüge aus historischen Dokumenten und die Inhalte einer Gedenkandacht, die gemeinsam von der Diakonisse Schwester Maria Wermuth und Pfarrer Dr. Michael Kühne, Rektor des Diakonissenhauses Leipzig, ausgestaltet wurde.

In einem wissenschaftlich fundierten Beitrag zum Thema „Psychiatrie im Nationalsozialismus“ ordnet der Medizinhistoriker Dr. Florian Bruns zudem das persönliche Schicksal der ermordeten Leipziger Diakonisse in den Kontext des nationalsozialistischen Umgangs mit Psychiatrie-Patienten ein. Eine ausführliche Biografie und die vollständigen Inhalte einer Ausstellung über Schwester Marie Runkel sind weitere zentrale Bestandteile der Gedenk-Broschüre, die von der Historikerin Dr. Fruzsina Müller inhaltlich aufbereitet wurden.

Bei der Verteilung der kostenlosen Broschüre wird das Diakonissenhaus mit verschiedenen Institutionen kooperieren, die sich seit Jahren intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Leipzig und Sachsen beschäftigen  – so u. a. mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten – Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig, dem Sächsischen Psychiatriemuseum sowie mit dem Gesundheitsamt der Stadt Leipzig. Eine weitere enge Zusammenarbeit ist mit der Schule Georg-Schwarz-Straße verabredet, die zwei Klassensätze der Broschüre angefragt hat und diese als Unterrichtsmaterial verwenden möchte. Bereits bei der Stolpersteinverlegung im Vorjahr waren mehrere Schulklassen der im Stadtteil Leutzsch befindlichen Oberschule anwesend.

„Es ist uns ein ganz wichtiges Anliegen, dauerhaft an das Schicksal unserer Schwester Marie Runkel zu erinnern und ihr einen festen Platz in der Erinnerung möglichst vieler Menschen zu geben“, sagt Dr. Michael Kühne, Rektor des Leipziger Diakonissenhauses. „Denn wie bei den meisten Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde wurden, gibt es für sie bis heute weder einen Grabstein noch einen Ort, wo sie ihre letzte Ruhe fand.“

Bei Interesse ist die Broschüre „Engagiert, erkrankt, ermordet“ im Sekretariat der Geschäftsführung des Leipziger Diakonissenkrankenhauses erhältlich (Georg-Schwarz-Straße 49, 1. Etage im Mutterhaus, Telefon 0341 444-3511, E-Mail sekretariat-gf-leipzig@diako-leipzig.de).

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar