Nicht nur die angekündigten Baumfällungen in der geplanten Parkstadt Dösen beschäftigen die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Immerhin ist mit dem einstigen Parkkrankenhaus auch ein ganz dunkles Kapitel der Leipziger Geschichte verknüpft. Bislang erinnert vor Ort nur eine Stolperschwelle an die Tötungen von Kindern. Aber das müsste deutlich sichtbarer werden im Gelände, beantragen die Grünen.

„Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Dösen in Leipzig soll in angemessener aber deutlich sichtbarer Form an die Geschichte der Nervenheilanstalt unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit und den Opfern der Kindereuthanasie gedacht werden“, lautet jetzt ihr Antrag zum Thema. „Hierbei ist unter anderem auch die Errichtung einer Tafel, die an die Geschichte erinnert, zu prüfen.“Der Antrag greift eine bereits vielfach im Stadtbezirksbeirat Südost besprochene Initiative zum angemessenen Umgang mit dem Gedenken an die Opfer der „Euthanasie“ in Leipzig auf, betonen die Grünen. „Die im städtebaulichen Vertrag mit dem Investor zur Parkstadt Dösen getroffenen Vereinbarungen reichen dazu nicht aus und sind vor diesem Hintergrund nicht nur zu unbestimmt, sondern finanziell auch nicht untersetzt.“

Zwischen 1918 und 1928 und nochmals von Januar bis April 1940 leitete Hermann Paul Nitsche die Klinik. Zum 1. Januar 1940 kam Direktor Hermann Paul Nitsche von Pirna-Sonnenstein für vier Monate wieder nach Leipzig-Dösen zurück und übernahm am 1. Februar 1940 die dortigen Amtsgeschäfte.

Nitsche entwickelte und „erprobte“ im Vorfeld der nationalsozialistischen Kinder-„Euthanasie“ mit Assistenz der Oberärzte Georg Renno und Herbert Schulze in Dösen ein Vergiftungsschema mit Luminal, wonach den Kindern über mehrere Tage leicht überdosierte Luminalgaben in Tablettenform oder intravenös verabreicht wurden. In Verbindung mit einer zeitgleich stattfindenden systematischen Unterernährung führte dies in kurzer Zeit zum Tod der Kinder durch Lungenentzündung.

Ein Thema, das ja gerade Francis Nenik in seinem Roman „E. oder Die Insel“ auf durchaus verstörende Weise thematisiert hat. Verstörend deshalb, weil er durch seine ungewöhnliche Annäherung an einen der Mittäter sichtbar macht, wie leicht die inhumanen Machenschaften auch von den Handelnden verklärt wurden und damit auch jahrzehntelang in der Aufarbeitung der NS-Zeit fehlten. Etliche der Täter machten in Westdeutschland unbehelligt Karriere.

Nitsches Nachfolger als Direktor war Emil Eichler (1875–1949), der das Amt bis zu seiner Pensionierung 1943 kommissarisch führte. Unter seiner Leitung wurde auf Initiative des Pädiaters Werner Catel (Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universitätskinderklinik/ Städtisches Kinderkrankenhaus Leipzig) im Oktober 1940 eine kinderpsychiatrische Abteilung eingerichtet.

In dieser vom Arzt Arthur Mittag geleiteten „Kinderfachabteilung“ wurden zwischen November 1940 und 7. Dezember 1943 (dem Tag der Verlegung der Kinderfachabteilung in die Landesanstalt Großschweidnitz bei Löbau) 551 Kinder und Jugendliche nach Nitsches „Luminal-Schema“ systematisch ermordet.

Der Anstaltsleiter Nitsche wurde im Dresdner Euthanasie Prozess 1947 schließlich zum Tode verurteilt.

„Gerade vor dem Hintergrund der systematischen Ermordung psychisch kranker Kinder, die mit dem Ort untrennbar verbunden ist, ist es unabdingbar, dies in die Erinnerungskultur der Stadt mit einfließen zu lassen und in angemessener Form daran zu gedenken“, begründen die Grünen ihren Vorstoß.

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Es gibt 3 Kommentare

Danke für die kritische Ergänzung. Dass sich die DDR komplett entnazifiziert hätte, ist ein immer wieder heiß geliebtes Gerücht. Es ist vor dem Ausmaß des damaligen “Fachkräftemangels” in den ersten zehn Jahren nach Kriegsende aber völlig unplausibel, dass man diese Leute trotzdem konsequent abgelehnt hätte. Vor Ort im Einzelfall hat man eben Augen, Ohren und das ganze Gesicht zusammengekniffen, wenn man diese Unperson dennoch haben wollte.

Guter Vorschlag – und eine kleine Ergänzung: Der Satz “Etliche der Täter machten in Westdeutschland unbehelligt Karriere” stimmt natürlich, aber als gebürtiger Thüringer muss ich leider sagen, dass auch in der DDR nach 1945 bzw. 1949 mehrere ehemalige Euthanasie-Ärzte Karriere gemacht haben, so etwa der Kinderarzt Jussuf Ibrahim, der in Stadtroda bzw. Jena wirkte und trotz seiner Vergangenheit als Euthanasie-Arzt sogar zu Ehrenbürgerwürden kam.

Meine volle Zustimmung zum Vorschlag.👍
Auch wenn vielleicht kein Zeitzeuge mehr lebt ist Erinnerung sehr wichtig.

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