Sie sind kaum zu ertragen – die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine, das unendliche Leiden der Menschen, die dem Bombenterror der russischen Armee hilflos ausgeliefert sind, die körperliche Gewalt und brutale Vergewaltigungen über sich ergehen lassen müssen, die dabei einen qualvollen Tod finden: Kinder, junge Frauen, Alte. Ein Leiden, das – Gott sei es geklagt – nicht auf die Ukraine beschränkt ist. Überall, wo Krieg geführt wird, steht das Verbrechen auf der Tagesordnung.

Im Vergleich dazu wirken diplomatische Verwerfungen geradezu lächerlich, eigentlich nicht der Rede wert. Und doch gehört das Banale offensichtlich zur Passion – wie damals in Jerusalem, als Lügen, Folter, Terror auf Jesus niederprasselten, ihn zu entmenschlichen versuchten … und die Herrschenden waren damit beschäftigt, sich nur ja nicht die Finger schmutzig zu machen, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, um am Schluss ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Ja, die Passion Jesu kann als Blaupause für das gelten, was wir Menschen uns gegenseitig zuzufügen bereit sind, wozu wir uns propagandieren lassen, was wir an Leid hinnehmen – nicht nur im Krieg.

Bleibt die Frage: warum dieses immer wiederkehrende, elende Muster von Macht, Leiden, Unterdrückung, gewaltsamen Sterben? Warum können wir Menschen offensichtlich nicht davon ablassen, uns über andere zu erheben – über Völker, Nationen, Menschen mit anderen Lebensentwürfen? Warum fallen wir immer wieder auf Autokraten herein, die für sich beanspruchen, der eigentliche „Gott“ zu sein? Warum fühlen wir uns vor allem von denen bedroht, die keine Gewalt ausüben wollen, die dazu Alternativen aufzeigen?

Warum sind wir panisch darauf bedacht, dass sich vor allem in Kriegszeiten alle auf die Ebene der Gewalt zu begeben haben? Warum können so viele kaum ertragen, wenn sich jemand den scheinbaren Zwangsläufigkeiten von Gewalt und Gegengewalt zu entziehen versucht, die eigene Würde und die des Nächsten höher schätzt als die Huldigung von Autokraten und Verlockungen nationalistischer Träume?

Wer sich mit der biblischen Geschichte von der Geburt und dem Leiden und Sterben Jesu beschäftigt, der wird sehr schnell feststellen können: Beides hat sich in einem Umfeld abgespielt, das viele Parallelen zu unserer Wirklichkeit aufweist. Eine Welt, in der kleine Eliten mit bombastischem Machtapparat die Herrschaft für sich beanspruchen.

Sie sehen sich dazu auserkoren, Menschen nach Belieben auf dem Spielbrett Erde hin- und herzuschieben, Gesellschaften hochzupeppeln und fallenzulassen, Grenzen zu überschreiten und zu verschieben. Sie können sich der Unbequemen jederzeit entledigen. Eine Welt also, die alle Verschwörungsphantasien zu bedienen scheint.

Jedoch: Ein paar Menschen wie die Eltern von Jesus, also Maria und Josef, folgen anderen Verheißungen. Sie entziehen sich dem maßlosen Diktat der Machthaber, halten ihre Wut und Ängste im Zaum und entdecken eine Lebensspur jenseits des Oben und Unten, jenseits von Krieg und Unterdrückung. Sie entdecken die Kraft des lebendigen Gottes, die im Schwachen mächtig ist.

Dieser Spur folgt Jesus in seinem Leben – und taucht mit seinen Hoffnungszeichen ein in die dunkle Welt des Hauens und des Stechens, der Überfälle und Kriege, in die Welt von Tod und Verderben. Er setzt sich all dem aus, was uns gleichermaßen empört und fassungslos macht, woran wir dennoch beteiligt sind … und scheitert zunächst, auch an seinen engsten Freunden.

Die Mächtigen beseitigen ihn am Kreuz, entledigen sich seines Leibes im schwer bewachten Grab, wollen alle Spuren des grausamen Spektakels beseitigen. Niemand will es gewesen sein. Dennoch wähnen sie sich als Sieger.

Jedoch – und da wiederholt sich die Geschichte von Bethlehem und Jerusalem: Weder die Volkszählung des Kaiser Augustus, noch Kindermord des Herodes, noch das Wegsperren der sterblichen Überreste Jesu, noch das Verscharren der Leichen von Butscha in Massengräbern, können verhindern, dass das Blut der Geschundenen über Generationen zum Himmel schreit.

Aber die Schreie rufen nicht nach Rache. Sie rufen nach Lösung, nach Erlösung – also nach dem, was jenseits der Gräber, des Krieges möglich ist. Diese Rufe werden an Ostern erhört. Denn da öffnen sich die Gräben, werden die Geschichte Jesu, seine Verkündigung, sein Frieden, seine Liebe neu ins Recht gesetzt – gegen alle politische Opportunität, gegen Naturgesetzlichkeiten, gegen die angebliche Unabänderlichkeit von Gewalt und Gegengewalt.

Darum gilt: Nicht die Tatsache, dass wir Menschen uns permanent in Gewalt und Krieg verstricken, macht die Friedensbotschaft Jesu zunichte. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Jesu Botschaft wird durch seine Auferstehung neu ins Leben gerufen, wiedergeboren und bekräftigt. Dadurch bleibt alles, wofür der Name Jesus Christus steht, gegenwärtig, lebendig und menschennah: die Nächsten- und Feindesliebe, die Ehrfurcht vor dem Leben, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, die Gewaltlosigkeit.

Wenn es anders wäre – der Karfreitag würde nie enden. So aber können und sollen wir davon ausgehen: Nicht der Krieg, der Frieden ist der Ernstfall des Lebens (Gustav Heinemann). Ihm müssen unsere Anstrengungen, der Einsatz aller Ressourcen, die nächsten 100-Milliarden-Programme dienen. Diese Perspektive sollten wir uns von niemandem ausreden lassen. Drei Tage nach Karfreitag ist es so weit: Frohe und gesegnete Ostern.

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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