Zugegeben: Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, die seit acht Wochen andauernde, unvorstellbare Zerstörungswut, mit der die russische Armee die Befehle Putins umsetzt, das grenzenlose Leid und die brutale Gewalt, die über die Menschen hereingebrochen sind – das alles macht fassungslos, wütend und lähmt die Gedanken. Einen Sinn kann und darf darin niemand erkennen – außer dass wir mit Furcht und Zittern gewahr werden, zu welchen Verbrechen Menschen in der Lage sind.

Letzteres gilt nicht nur für Putin und seine Vasallen. Das trifft für all diejenigen zu, die mit rücksichtsloser, kriegerischer Gewalt gegen Menschen ihre nationalistisch-ideologischen Interessen durchzusetzen versuchen.

Bleibt die Frage: Wie kann diesem Treiben Einhalt geboten werden? Darüber ist in Deutschland eine merkwürdige Debatte entbrannt. Deutschland müsse „schwere Waffen“ an die Ukraine liefern, sofort und umfangreich, heißt es seit Tagen und fast unisono in vielen Medien, Kommentaren und politischen Stellungnahmen. Deutschland sei zu zögerlich in der Unterstützung der Ukraine. Deutschland stehe isoliert da mit seiner Zurückhaltung.

Jeden Tag werden die inzwischen zum Narrativ gewordenen Behauptungen neu belebt – insbesondere durch den Botschafter der Ukraine Andrij Melnyk. Man hat den Eindruck, dass er der Taktgeber für die Orchestrierung des Narrativs in den Medien und auf der politischen Bühne ist: Jede Maßnahme der Bundesregierung wird von ihm entweder als zu spät, nicht ausreichend oder deplatziert erklärt – garniert mit dem Vorwurf, diejenigen, die jetzt in Regierungsverantwortung sind, hätten diesen Krieg mit befördert und trügen persönliche Verantwortung für die Gräueltaten von Putins Truppen.

Das ist ziemlich unerträglich – zumal Botschafter Melnyk inzwischen kritisiert, dass es in Deutschland kontroverse Debatten gibt. So twitterte er zur Diskussion bei Maybrit Illner am 21. April 2022:

„Was mich sehr bedrückt, dass solche erbärmliche Loser wie Vad (gemeint ist der ehemalige Brigade-General Erich Vad), die keine Ahnung vom Krieg haben … immer wieder die große Bühne kriegen, statt mal fischen zu gehen. Das ist nicht in Ordnung.“

Doch letztlich ist das, was Botschafter Melnyk treibt, eher eine ärgerliche Randerscheinung des Krieges, Unterhaltung auf Lanz-Niveau.

Viel gravierender sind die Fragen, die in der gegenwärtigen Diskussion kaum Erwähnung finden: Welches Ziel soll denn mit der von Russland erzwungenen militärischen Auseinandersetzung verfolgt werden? Mit welchem Ziel sollen denn die „schweren Waffen“ eingesetzt werden? Stattdessen treten seit Tagen die immer gleichen Gesichter auf, um die Lieferung von schweren Waffen zu fordern. Was aber könnten, sollten die Ziele sein?

Ich nenne drei:

Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Denn das würde bedeuten, dass Russland faktisch über die Ukraine verfügt.

Der Krieg und damit die unvorstellbaren Zerstörungen von Städten, Menschen und menschlichen Werten müssen so schnell wie möglich beendet werden.

Russland muss dazu gedrängt werden, dass es zu Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und der Europäischen Union über eine neue Friedensordnung kommen kann. Das setzt voraus, dass die Ukraine ein souveräner Staat bleibt.

Erst auf dem Hintergrund solcher Zielvorstellungen machen Diskussionen über die Art der aktuellen Kriegführung und über Waffenlieferungen Sinn. So richtig es ist, dass die Ukrainer/-innen durch den militärischen und zivilpolitischen Abwehr- und Widerstandskampf Freiheit und Demokratie gegen den Putinschen nationalistisch-faschistischen Autokratismus verteidigen, so kann davon nicht abgeleitet werden, dass deswegen die Staaten der EU und der NATO jetzt in den kriegerischen Teil der Auseinandersetzung eintreten.

Denn eines müssen wir in aller Nüchternheit sehen: In diesem Krieg werden von allen Seiten die Werte, die ein menschliches Miteinander und friedliches Zusammenleben ermöglichen, mit Füßen getreten. Das liegt in der Natur der Sache. Mit Krieg kann kein Frieden geschaffen werden. Daraus kann auch keine Freiheit und Demokratie erwachsen. Das ist das große politische Dilemma, in dem wir derzeit stecken.

Dieses nicht zu thematisieren und darüber nicht kontrovers zu debattieren, wäre ein unentschuldbares Versäumnis und eine Kapitulation vor jeder Art von Kriegsrhetorik. Wir sollten hier in Deutschland nicht so tun, als läge es in unserer Hand, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen.

Wir können höchstens Bedingungen schaffen, die friedliche Lösungen befördern. Wir sollten also aus dem Scheitern der politischen Ansätze, Russland in eine europäische Friedensordnung einzubinden, die richtigen Konsequenzen ziehen, um nicht blindlings in die nächste Sackgasse zu rennen.

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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