Eine berauschte Gesellschaft kennt viele Süchte. Nicht alle sind tabuisiert. So hat der brave Bürger in seinem Rausch immer jemanden, auf den er zeigen kann. Die Konsumenten von verbotenen Drogen zum Beispiel, die auch auffällig werden, weil sich ihre Sucht mit steigendem (Geld-)Bedarf verbindet. Beschaffungskriminalität ist das Ergebnis knapper Märkte. Aber nicht jeder Drogensüchtige lässt sich in den Abgrund treiben.

Viele finden auch den Weg in die Leipziger Suchtberatungsstellen, die 2012 so ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten, weil der zuständige Polizeipräsident glaubte, die Sozialarbeiter im Drogenmilieu würden gegen ihn und die Arbeit seiner Ermittler arbeiten und Aufklärung im Milieu verhindern. Die Wogen haben sich etwas geglättet. Das Problem bleibt, auch wenn Leipzigs Polizei 2012 einige sensationelle Erfolge beim Zugriff auf die Dealer hatte.

Aber wenn sie ehrlich sind, wissen sie: Mit den Mitteln, die ihnen der sächsische Innenminister zur Verfügung stellt, werden sie die Bosse und Kartelle niemals knacken. Die agieren international vernetzt. Und wenn ein Vertriebskanal blockiert ist, finden sich andere Kuriere, die die Touren übernehmen. Der Fisch, so ist das noch immer, stinkt vom Kopf.

Und dieser stinkende Fisch hat ein unerschöpfliches Geschäftsfeld: Die Flucht der Wohlstandsbürger in die Sucht. Harte Drogen sind nur eine davon.

Wohl jenen, die noch früh genug den Ausstieg schaffen. Und auch da zeigt sich: Sucht hat viele Spielarten. Zwei kann die Stadt Leipzig ein bisschen beleuchten, weil die Ratlosen zu ihr kommen.

Die beiden Hauptklientelgruppen der Suchtberatungsstellen sind Menschen mit abhängigem Alkohol- und/oder illegalem Drogenkonsum. Im vergangenen Jahr nahmen etwa zehn Prozent mehr drogenabhängige Menschen die Angebote von Beratungsstellen an. Auffallend ist – so betont die Stadt in ihrer Mitteilung zum “Sozialreport 2012” – eine Zunahme von Klienten, die Crystal konsumieren. Die neue, noch härtere Droge, die noch schneller als alle bisherigen den Süchtigen zerrüttet und zum Wrack macht. Und darum geht es eigentlich am Ende: Wer derart durch seine Sucht verbrannt ist, steht als Leistungserbringer in einer auf Leistung getrimmten Welt nicht mehr zur Verfügung. Und viele kommen auf die Droge, weil ihnen das Schneller, Härter, Größer tief eingepflanzt ist.

Ein bisschen Ehrlichkeit würde dazu gehören: Die Flucht in den Rausch ist die dunkle Seite einer von Leistung besessenen Gesellschaft. Wachstum – so wie wir es bis hierher verstehen – hat ihren Preis.”Problematisch ist hier das häufige Auftreten von psychiatrischen Begleiterkrankungen”, betont die Stadt die Problematik beim Crystal. Die Konsumenten dieser zusammengekochten Droge werden vom Süchtigen sehr schnell zum Pflegefall. Das wird teuer.

Im “Sozialreport” heißt es: “Drogenabhängige sind häufig zwischen 25 und 40 Jahre alt, wovon der Teil der zwischen 30- und 40-Jährigen gegenüber den Vorjahren deutlich zunahm. Dieser Trend setzte sich 2011 weiter fort. Unter 18-Jährige kamen kaum in Suchtberatungsstellen.”

Drogenkarrieren brauchen oft ihre Zeit, bis die Betroffenen ihre Sucht selbst als Problem anzuerkennen bereit sind, das sie allein nicht lösen können. Beim Alkohol merken es Viele erst spät, dass ihre Ration sich unaufhörlich steigert und der Körper seine Probleme bekommt. “Alkoholabhängige Klientinnen und Klienten sind deutlich älter. Sie sind in der Regel zwischen 30 bis über 60 Jahre alt”, heißt es im Report. “Häufig vertreten sind 40- bis 50-Jährige.” Aber auch: “Eine Zunahme der Aufnahmen von Jugendlichen in den Suchtberatungsstellen, die Alkohol missbrauchen, ist nicht feststellbar.”

Das alles ist im “Sozialreport” sehr kurz gehalten, denn die Stadt veröffentlicht ja jedes Jahr auch einen Suchtbericht.

Den Leipziger Suchtbericht von 2012 findet man hier: www.leipzig.de/imperia/md/content/53_gesundheitsamt/drogenreferat/suchtbericht_der_stadt_leipzig_stand_juni_2012.pdf

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Wo der “Sozialreport” gut ist, da zeigt er Dinge im Zusammenhang. Sichtbar macht er auch, wie den Suchtkranken (denn am Ende ist es eine Krankheit) geholfen wird, aus den Kreisläufen herauszukommen. Ein psychosoziales Thema, wie so viele. Es ist dieses seltsame Gehirn auf unseren Schultern, das – falsch programmiert – immer wieder dieselben Muster sucht.

Aber die Zahlen zeigen auch, dass sich die Drogenproblematik in den letzten Jahren in Leipzig nicht wirklich verschärft hat. Problematischer wurde die Lage tatsächlich nur durch das Auftauchen von Crystal.

Ob man das mit mehr Druck auf die Szene lösen kann, darf man wohl bezweifeln. Jede Sucht ist eine Flucht. Auch vor den Anforderungen einer Gesellschaft. Es gehört ein gewisses Potenzial dazu, sich einen Ruck zu geben und sich einzubringen, Teilhabe einzufordern. Ein Thema für Alte und Junge.

Also geht’s morgen an dieser Stelle um Engagement.

Die Leipziger “Sozialreports” findet man hier: www.leipzig.de/de/buerger/aemterhome/jugendamt/publik/Sozialreport-der-Stadt-Leipzig-19926.shtml

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