In intensiver Diskussion mit dem Drogenbeirat der Stadt Leipzig hat das Gesundheitsamt jetzt ein Konzept der Leipziger Sucht- und Drogenpolitik erstellt, teilt das Gesundheitsamt der Stadt mit. 64 Seiten dick ist das Konzept, mit dem diesem schwer zu packenden Thema beigekommen werden soll. Denn: "Sucht ist ein komplexes und umfassendes Krankheitsbild, das mit Störungen auf der psychischen, somatischen und sozialen Ebene einhergeht und der Behandlung bedarf."

So steht es im Papier. Das ist nicht neu. Aber in der zum Teil emotional geführten Stadtdiskussion wird das gern vergessen, da werden die Betroffenen gern als Kriminelle abgewatscht und die Stadt wird zum Polizeidienst befohlen. In der Regel verschärft so eine Vorgehensweise aber nur die Konflikte und löst nicht die zu Grunde liegenden Probleme.

Die werden gern ignoriert, auch von braven Bürgern, die es eigentlich besser wissen müssten. Sucht ist ein elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Drogen aller Art sind allerorten verfügbar – legale noch viel leichter als illegale. Und die Grenzen sind fließend – von den ganz legalen Aufputsch- und Beruhigungsmitteln über die (legalen) leichten Suchtmittel wie Tabak und Alkohol (die beide genauso schwere gesundheitliche Folgen haben können) bis zu den per Gesetz verbotenen und damit strafrechtlich verfolgten Drogen.

Es ist eines der vielen Felder, auf dem die moderne Gesellschaft sehr verbissen über das Thema “Freiheit” diskutiert: Darf man die Freiheit zum Drogengebrauch einschränken? Darf man Menschen dazu zwingen, ein Leben frei von Suchtmitteln zu führen? Oder ist es ihre eigene Entscheidung, wie sie sich fit machen für das von ihnen gewählte Leben? Oder ihnen gar “den Spaß” verbieten? Gerade dann, wenn die Folgen für die Gesellschaft teuer werden.

Das nun vorgelegte Konzept, das von der Ratsversammlung am 16. Juli “zur Kenntnis genommen” werden soll, beschreibt auf Grundlage der 2013 von der Ratsversammlung beschlossenen Sucht- und drogenpolitischen Leitlinien die fachlichen Grundlagen der bestehenden Angebote in den vier Säulen Prävention, Beratung und Behandlung, Schadensminimierung sowie Repression.

Daraus folgen dann die Ziele und Handlungsschwerpunkte für die nächsten Jahre.

“Wir wollen ein von Sucht freies Leben fördern”, so Bürgermeister Thomas Fabian. “Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, gemeinsam mit unseren Partnern der Suchthilfe, Jugendhilfe und Polizei ein Konzept der Leipziger Sucht- und Drogenpolitik zu erarbeiten. Zusammen mit den Sucht- und drogenpolitischen Leitlinien haben wir so eine gute strategische Grundlage für unser Handeln geschaffen.”

In Leipzig gibt es vielfältige und miteinander vernetzte Hilfsangebote, die Suchtgefährdeten und Suchtabhängigen Unterstützung ermöglichen, zur Behandlung motivieren und vorbeugend wirken.

Im Konzept der Leipziger Sucht- und Drogenpolitik werden einleitend die gesetzlichen Grundlagen und die Ziele der Sucht- und Drogenpolitik der Stadt Leipzig beschrieben. Danach werden für die vier Säulen Prävention, Beratung und Behandlung, Schadensminimierung sowie Repression bestehende Angebote benannt und hinsichtlich ihrer Wirkungsweise bewertet. Im Ergebnis sind jeweils Handlungsschwerpunkte für die nächsten Jahre formuliert, die im Maßnahmeplan konkret untersetzt sind.

Das Sucht- und Drogenkonzept soll gemeinsam mit den Akteuren und Trägern umgesetzt und fortgeschrieben werden. Das Konzept ist für den Zeitraum von 2014 bis 2019 erarbeitet. Jeweils zum Ablauf der Wahlperioden der Ratsversammlung soll es abgerechnet und fortgeschrieben werden.Prävention heißt dann zum Beispiel auch, frühzeitig zum Beispiel Elternarbeit zu fördern und zu stärken, gefährdete oder bereits riskant konsumierende Jugendliche frühzeitig anzusprechen, bevor sie endgültig in eine Sucht abgleiten, oder auch Maßnahmen verhaltenswirksamer Prävention zu forcieren.

Wenn es dann um Beratung, Behandlung und soziale (Re-)Integration geht, hat man es sowieso schon mit einem breiten Feld von Betroffenen zu tun: konsumierende Kinder und Jugendliche, suchtkranke und konsumierende Schwangere, Eltern und deren Kinder, politoxikoman Konsumierende (Mischkonsumenten), Crystalkonsumenten, Konsumierende mit einer psychiatrischen Begleiterkrankung, Konsumierende bzw. suchtkranke ältere Menschen, suchtkranke und konsumierende Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit stoffungebundenen Störungen.

Die Suchtberatungs- und behandlungsstellen sollen dabei eine qualitäts- und bedarfsgerechte Behandlung und Begleitung von Substituierten gewährleisten. Die Selbsthilfe soll stärker in Gestaltungsprozesse der Suchthilfe einbezogen werden. Neue Wege zur frühzeitigen Entwöhnungsbehandlung sollen geschaffen werden. Aber auch der Zugang von Suchtkranken zu Beschäftigung und Arbeit soll verbessert werden. Der Erwerb von Abschlüssen soll weiterhin unterstützt werden. Um den Wegfall von Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes zu kompensieren, sollen Konzepte für alternative Maßnahmen der Tagesstrukturierung entwickelt werden. Ein ganz wichtiges Thema, denn wenn erst einmal die Droge das Leben bestimmt, gerät alles aus dem Lot, dann kann von einem planbaren und strukturierten Leben keine Rede mehr sein.

Aber auch dieses Thema wird gern verdrängt: Der Beratungs- und Behandlungsbedarf von Essgestörten und Medienabhängigen soll ermittelt werden. Bei zunehmendem Bedarf sollen in Abstimmung mit Kostenträgern entsprechende Angebote entwickelt werden.

Wenn das Leben erst mal aus dem Gleis ist, heißt das Thema dann “Schadensminimierung” – für die Betroffenen zuallererst, denn das erste, was sie zerstören, sind ihr eigenes Lebensumfeld und ihre Gesundheit. Also sollen aufsuchende Angebote ausgebaut werden, sollen Maßnahmen bereit gestellt werden, die der Verbesserung der gesundheitlichen Situation suchtkranker Menschen und der Verringerung von Infektionsrisiken dienen. Und niederschwellige Notübernachtungsangebote und Wohnprojekte für suchtkranke Menschen sollen bedarfsgerecht weiter entwickelt werden.

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Der vierte Bereich, die Repression, ist dann das Handlungsfeld der Polizei.

Ihre Aufgaben sind eigentlich vom Gesetzgeber klar geregelt: Die Betäubungsmittelkriminalität im Sinne der Angebotsreduzierung im Bereich des Handels und der Herstellung sowie der Einfuhr und des Schmuggels illegaler Betäubungsmittel sollen weiter aktiv bekämpft werden. Das war zwar schon immer so. Aber wenn eine Polizei wie in Sachsen personell dauerhaft unterbesetzt ist, ist natürlich das Verfolgungsnetz entsprechend löchrig. Da braucht es immer mal wieder einen Kraftakt, um mal kurzzeitig den Markt zu beräumen.

Durch geeignete Maßnahmen soll die Etablierung von öffentlichen Räumen, an denen offen erkennbarer illegale Betäubungsmittel gehandelt oder konsumiert werden, verhindert werden. Die Kontrolle und Durchsetzung des Kinder- und Jugendschutzes, insbesondere zum Schutz vor Konsum gesundheitsschädigender Substanzen, Konsum von Medien mit entsprechender Altersbeschränkung sowie sonst suchtförderlicher Bedingungen soll konsequent fortgeführt werden. Und die Verkehrssicherheit, Überwachung und Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit von Fahrzeugführern und Radfahrern bzgl. des Konsums von beeinflussenden Substanzen soll weiter gewährleistet werden.

Wobei “gewährleistet” schon ein bisschen geschönt ist. Denn auch für wirklich regelmäßige Verkehrskontrollen fehlt der Leipziger Polizei das Personal. Wenn dann mal wieder eine große Kontrolle gestartet wird, werden in der Regel auch etliche Fahrzeugführer ertappt, die unter Drogeneinfluss stehen.

Das Konzept kann unter www.leipzig.de/suchthilfe nachgelesen werden.

Das Konzept zur Sucht- und Drogenpolitik 2014 bis 2019 als PDF zum Download.

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