Dumme Ideen, die ein Grundproblem nicht wirklich lösen, ploppen in der bundesdeutschen Politik immer wieder auf. Man lernt nichts draus, verkauft das Thema aber immer wieder neu. Denn dass angehende Ärzte keine Lust mehr haben, aufs Land zu gehen, hat ja eher weniger mit ihrer Großstadtverbundenheit zu tun, dafür viel mit einer verkorksten Gesundheitspolitik.

Denn Ärzte sind nach all den Gesundheitsreformen seit den 1980er Jahren zu Unternehmern geworden. Sie sind sogar gezwungen, unternehmerisch zu denken, wenn die Praxis funktionieren soll: Sie brauchen eine Mindestzahl von Klienten, die auch höherpreisige Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die der Arzt bei der Kasse abrechnen kann, die auch noch Geld haben für die freiwilligen zusätzlichen Leistungen, mit denen Ärzte ihr Budget aufbessern. Aber es dürfen auch nicht zu viele zu kranke Patienten sein, sonst verwandelt sich die Praxis in einen Fließbandbetrieb, in dem der Arzt keine Zeit mehr hat für seine Patienten – und trotzdem nicht genug verdient.

Das hätte eigentlich so nie passieren dürfen. Aber es sind nicht die wichtigen Hausärzte, die in den diversen Kammern und Verbänden das Sagen haben, wenn mal wieder über neue Verteilungsregeln im Gesundheitssystem diskutiert wird, sondern die Fachärzte und Spezialisten.

So hat sich die Bundesrepublik in einen Flickenteppich verwandelt mit lukrativen Hausarztpraxen im Süden, überlaufenen Praxen in den Großstädten und überlasteten Hausärzten im flachen Land, die trotzdem keine Nachfolger für die Praxis finden, weil sich kaum ein junger Mensch auf diese lebenslange Arbeit im Laufrad einlassen will. Da helfen auch keine staatlichen Zuschüsse fürs Studium, über die jetzt auch im Süden der Republik  nachgedacht wird. Worüber die „Süddeutsche Zeitung“ am 24. Januar berichtete: „Landarzt auf Rezept“.

Es wird auch in Bayern nicht funktionieren, wie die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper, feststellt: „Die Idee, am Arztberuf interessierte junge Menschen schon vor Studienbeginn für eine Tätigkeit als Landarzt verpflichten zu wollen, wird in Sachsen bereits praktiziert. Mit mäßigem Erfolg, wie die Zahlen zeigen. Obwohl Studierende Studienbeihilfe in Höhe von bis zu insgesamt 19.200 Euro erhalten konnten, waren bei den ersten Förderprogrammen immer wieder Plätze frei.“

Bei dem neuen Programm „Ausbildungsbeihilfe“ beträgt die monatliche Beihilfe nun 1.000 Euro, was zu einer vollen Auslastung der Förderplätze führte. Aber ist das Instrument wirklich zielführend, wenn die übernommene Landarztpraxis dann trotzdem nicht funktioniert?

„Neben Fragen zur Wirksamkeit solcher Programme muss außerdem beantwortet werden, ob man Studierende überhaupt zusätzlich zur Rückforderung der Beihilfe rechtlich belangen kann, wenn sie sich nach dem Studium doch für eine andere Tätigkeit entscheiden oder ihr Studium nicht abschließen“, meint Schaper und empfiehlt dem Freistaat tatsächlich, die Nutznießer der Beihilfe zur Praxisübernahme zu verpflichten: „Was für private Unternehmen bei der Auswahl ihrer Auszubildenden nicht durchsetzbar ist, sollte auch für den Staat gelten. Aus gutem Grund sind solche Verpflichtungsklauseln in Ausbildungsverträgen nichtig.“

Bestimmt findet das die sächsische Regierung als Vorschlag prima und wird es so auch umsetzen.

Aber das ändert eigentlich nichts daran, dass das System so nicht funktioniert.

„Wichtiger als Studienbeihilfe bei vorliegenden Verpflichtungserklärungen zu zahlen, wäre es für attraktivere Arbeits- und Lebensbedingungen im ländlichen Raum zu sorgen, die die Niederlassung von Ärzten befördert“, schlägt Susanne Schaper vor. „So sollten mehr Medizinische Versorgungszentren an Krankenhäuser angegliedert werden und über flexiblere Vergütungsmodelle für Ärzte in ländlichen Regionen nachgedacht werden. Nicht jeder junge Mensch, der Arzt werden möchte, will zugleich ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen in Form einer Arztpraxis leiten; viele ziehen allein schon wegen der besseren Vereinbarkeit mit dem Familienleben die Arbeit als Angestellte im Gesundheitsbereich vor.“

Die „schöne neue Arbeitswelt“ macht nicht nur Krankenschwestern und Pflegern das Leben sauer und hat „effiziente“ Krankenhäuser in Fließbandproduktionen verwandelt, in denen die Angestellten nach Stücklohn im Akkord arbeiten. Sie hat auch den einstmals attraktiven Berufsstand des Haus- und Landarztes demoliert.

Nur an den Hochschulen tut man noch so, als würde man lauter medizinische Genies ausbilden, die hinterher ihre Praxis mit goldenen Türklinken ausstatten. Es drängeln sich auch nicht wirklich Studierende in den medizinischen Studienzweigen, die wirklich den „Dienst am Menschen“ als ihr Lebensmotto gewählt haben. Denn der steckt nicht im Einser-Abitur, auch wenn das deutsche Kultusminister immer noch glauben.

Susanne Schaper: „Vielleicht sollte man auch überlegen, ob ein Numerus clausus von 1,0 noch zeitgemäß ist oder nicht viel mehr auch soziale Kompetenzen für einen Mediziner ausschlaggebend sind.“

Susanne Schapers Anfrage zum Förderprogramm für Medizinstudenten von 2015. Drs. 1609

Susanne Schapers Nachfrage zum Förderprogramm für Medizinstudenten von 2015. Drs. 2081

Susanne Schapers Anfrage zum Förderprogramm für Medizinstudenten von 2016. Drs. 4919

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