Europa und die Türkei - ein unendliche Geschichte. Vor 25 Jahren beantragte das Land die EU-Mitgliedschaft. Wir hätten in Deutschland immer noch ein Bild von der Türkei, das der Realität vor Ort nicht gerecht wird, schätzt André Soudah im L-IZ-Interview ein. Der Leipziger hat Istanbul besucht, das von Leipzig aus direkt mit dem Flugzeug zu erreichen ist.

Herr Soudah, Sie haben Ende April Istanbul besucht. Wie kam es dazu?

Im Rahmen des Sächsischen Bildungszentrums e. V. wurde seitens der Leipziger Abteilung ein Angebot gestaltet, den Aufbau des türkischen Bildungssystems und dessen einzelne Bildungseinrichtungen vor Ort kennenzulernen. Da ich mich neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch für Land und Menschen interessiere, war die Teilnahme ein Muss für mich.

Istanbul begreift sich schon wegen seiner geographischen Lage als Brücke zwischen Europa und Asien. Wie spiegelt sich das im Lebensgefühl dieser Stadt wieder?

Schwer zu sagen, ob die Stadt sich wirklich so begreift oder ob es sich hierbei eher um eine Vermarktungsidee handelt. Ich nehme regelmäßig von dieser Betonung zwischen Europa und Asien nichts wahr.

Dennoch könnte man meinen, dass Istanbul noch auf der Suche nach einer Identität ist. Sie haben auf der einen Seite sehr angesagte Viertel wie beispielsweise Galata oder Taksim. Dem gegenüber stehen Stadtteile wie Fatih oder Eyup, die von jeher als eher konservative beziehungsweise religiöse Viertel gelten. Möglich auch, dass es bei der Größe und Vielfalt der Stadt die eine Identität gar nicht geben kann.

Was hat Sie besonders an Istanbul fasziniert?
Zunächst einmal setzen sie sich in dieser Megametropole mit circa 13 Millionen Einwohnern ständig einer unglaublich hohen Anzahl von neuen Eindrücken aus. Das fängt bei den Gerüchen beispielsweise bei den Speisen – ein Hochgenuss! – in Restaurants und den Basaren an.

Daneben haben sie eine unheimlich hohe Dynamik in dieser Stadt. Es ist zu spüren, dass die Türkei gegenwärtig hohe Wachstumsraten verzeichnet. Die Bauprojekte, die Sie dort vom Bosporus oder anderen Aussichtspunkten wahrnehmen können, haben teilweise gigantische Ausmaße – von den Herausforderungen im Verkehr einmal ganz abgesehen.

Ergänzt wird der Puls dieser Stadt aus Kulturgeschichte und der damit verbundenen wunderschönen Architektur auf der einen und kosmopolitischer Moderne auf der anderen Seite. Das ganze wird noch abgerundet durch ein weltoffenes Klima, die Nähe zum Wasser, einer angenehmen Brise und stetiger Sonnenschein. Kurzum: Ein einzigartiges Erlebnis.
Bildung stand im Mittelpunkt Ihrer Istanbul-Reise. Welche Eindrücke bringen Sie in dieser Hinsicht, nach Besuchen verschiedener Bildungseinrichtungen und einem Gespräch im türkischen Bildungsministerium, von Ihrer Reise mit?

Der Staat, aber auch private Initiatoren sind bereit, viel Geld in den Aufbau eines funktionierenden Bildungssystems zu investieren. Die entstandene Mittelschicht ist zudem bereit und in der Lage, viel Geld für die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren. Immer wieder muss ich auf meinen Reisen feststellen, dass tatsächlich die ganze Welt in Bewegung ist. Die Ausstattung der Schul- und Hochschulgebäude beispielsweise im Hinblick auf Mensen, Bibliotheken und Computerräumen steht denen in Deutschland um nichts nach. Ich vermute, da haben wir in Deutschland insgesamt immer noch ein Bild von der Türkei, welches der Realität vor Ort nicht gerecht wird.

Was mich auch fasziniert hat, ist die Tatsache, dass die Hochschulen beispielsweise in Istanbul ganz offensichtlich zudem eine hohe Anziehungskraft auf Studierende aus Osteuropa, Afrika und dem Kaukasus ausüben.
Wie schätzen Sie die Möglichkeiten wirtschaftlichen Austauschs zwischen Leipzig und der Türkei ein?

Ich unterhalte seit vielen Jahren Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen, Verbänden und organisiere Geschäftsreisen in die Türkei. Aus Leipziger Sicht schlummert hier noch ein erhebliches Potenzial, was von den hiesigen Akteuren erst noch erkannt werden muss. Türkische Investoren suchen – vermehrt auch in Deutschland – nach geeigneten Standorten und konzentrieren sich hierbei bei weitem nicht mehr nur auf Berlin, Köln oder Hamburg; Deutschland und deutsche Produkte haben zudem einen ausgezeichneten Ruf in der Türkei.

Umgekehrt bietet die Türkei mit fast annähernd so vielen Einwohnern wie in Deutschland einen riesigen Absatzmarkt.

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Möglich wäre das. Sie erreichen Istanbul innerhalb von zweieinhalb Stunden ab Leipzig. Ich hoffe, dass es nicht nur bei Urlaubern bleibt. Aber um Investoren für die Stadt zu gewinnen, müssten wir im Umfeld von türkischen Unternehmen und Verbänden auch auf Leipzig aufmerksam machen.

Zur Person:

Der Diplom-Kaufmann André Soudah, Jahrgang 1976, ist Geschäftsführer der André Soudah Strategie- und Managementberatungs GmbH und lebt in Leipzig.

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