Ich liege im Bett und schlage die Augen auf. Es ist noch dunkel im Zimmer, durch die geschlossenen Fensterläden kommt ein bisschen kühle Luft. Wo bin ich? Wie spät ist es? Der Blick durch das noch halbdunkle Zimmer bringt mich in die Realität: Du bist in Frankreich, im Urlaub! Bonjour Paris! Bonjour Montmartre! Ein Blick auf mein Handy neben dem Bett beantwortet die zweite Frage. 6:15 Uhr. Oje, so früh. Dabei ist doch heute der erste Urlaubstag.

Und an dem könnte – und wollte – man doch gern so ein bisschen länger schlafen. Von lange Ausschlafen ist ja hier im Urlaub eh keine Rede. Wie ich immer so gern in allen möglichen Situationen sage: “Das wird überbewertet.” Schließlich ist man ja nicht zum Schlafen extra nach Paris gereist. Draußen vor dem offenen Fenster hört sich alles anders an, anders als zu Hause. Ein piependes Geräusch, dann wird ein Motorroller gestartet. Oh Mann! Nochmal umdrehen. Ein Fahrzeug mit Sirene jagt durch die Straßen, irgendwo in weiter Ferne ist das gleichmäßige Rattern von Zugrädern auf den Gleisen zu hören. So also klingt ein Morgen in der Nähe des Pariser Nordbahnhofs, dem Gare du Nord. Nochmal andersrum drehen. Augen zu.

Ein neues Geräusch kommt hinzu. Regen. Regen? Augen auf! Ich gehe zum Fenster und öffne nun auch die Fensterläden, um noch mehr von der schön kühlen, frischen Luft ins Zimmer zu lassen. Die Straßenlaterne vor dem Haus leuchtet matt. Unten auf der Straße laufen, laut miteinander redend, drei Leute vorbei. Ganz langsam werden die Stimmen leiser. Französisch ist das nicht, was die sprechen. Irgendwas arabisch klingendes. Ein Blick nach unten lässt mich wundern: Die Straße ist trocken. Es regnet gar nicht. In dem kleinen Park gegenüber unserem Haus wurde eine Beregnungsanlage gestartet, die den Blumen, Sträuchern und Bäumen hinterm Zaun ihr überlebenswichtiges Nass bringt.

Auf der anderen Seite des Parks sehe ich zwei Männer an einem Auto stehen. Die geöffnete Motorhaube vor sich. Die lauten Stimmen lassen mich vermuten, dass irgendwas nicht so ist, wie es sein soll. Ich schließe das Fenster, da ich bei dem ungewohnten Lärm hier draußen sonst kein Auge mehr zu kriege. 6:20 Uhr, noch ein Versuch.

Kurz nach halb sieben. Nach mehreren Drehungen im Bett entscheide ich mich fürs Aufstehen. Eine knappe halbe Stunde später steht ein herrlich duftender Espresso vor mir. Ich schneide mir noch ein Stück von dem Baguette ab, das wir gestern Abend bei unserem Spaziergang durch Montmartre in einer Boulangerie in einer winzigen Nebenstraße gekauft haben – zwei Stangenbrote für zusammen 1,80 Euro. Unvorstellbar französisch. Ein bisschen Butter und ein Klecks Orangenkonfitüre drauf (von Cecile „geliehen“, denn unsere eigenen Vorräte sind ja noch im Supermarché), dann noch ein Schwaps „Lait“ in den „Café“ – perfekt. Leben wie Gott in Frankreich!

Meinung des Autors: Es gibt schlimmere Arten, einen Tag zu beginnen.

Baguette, Butter und Konfitüre, dazu einen Café mit Milch - französischer geht's kaum. Foto: Patrick Kulow
Baguette, Butter und Konfitüre, dazu einen “Café” mit einem Schuss Milch – französischer geht’s kaum. Foto: Patrick Kulow

Von den beiden Weißbrotstangen, die wir für uns acht mitgenommen haben, hat es nicht einmal die Hälfte bis zurück in unsere Wohnung geschafft. Keiner konnte widerstehen und wollte immer mal wieder nur ein klitzekleines Stück vom Baguette abbrechen. Das Zeug ist echt jeden Cent wert. Und so blieb nur ein kleiner Rest übrig. Fürs Frühstück wird das nicht mehr reichen, also hole ich einfach neues.

So langsam erwacht das Pariser Leben zum Leben

7:15 Uhr: Ein Montagmorgen in Paris. Ich streife durch unsere Wohnung und lausche an den Türen. Außer friedlichen Schlaf- und sägenden Schnief- und Schnarchgeräuschen ist nichts zu hören. Es ist noch niemand wach. Also gehe ich allein zum Bäcker. Eigentlich sind es nur wenige 100 Meter, aber so ein morgendlicher Spaziergang durch das noch verschlafene Montmartre hat ja auch was. Ein kleiner Umweg kann nicht schaden. Und bis zum Frühstück um neun ist ja auch noch genügend Zeit.

Die Kirche Sacré-Coeur sitzt omnipräsent oben auf ihrem Hügel. Die Bergbesteigung steht uns erst in einigen Tagen bevor. Mal sehen, ob der Hügel seinem Namen alle Ehre macht und wie groß das Martyrium wirklich wird. Bilder von ewig emporsteigenden steilen Treppen tauchen in Gedanken auf.

Morgendliche Straße in Montmarte. Noch ist nichts los. Foto: Patrick Kulow
Morgendliche Straße in Montmarte. Noch ist nichts los. Foto: Patrick Kulow

Die Sonnenstrahlen erreichen jetzt gerade so die Kuppel der Basilika, die weißen Steine leuchten richtig. Es ist im Moment nur wenig Verkehr, die meisten Straßen sind nur sehr schmal und daher Einbahnstraßen. Die bekannten roten Verkehrszeichen mit dem weißen Balken tragen unten drunter lustige Zusatzschilder – zumindest für Nicht-Französisch-Sprechende. “Sauf bicyclettes” steht drauf – “Außer Fahrräder”. Meine beiden Söhne haben dafür natürlich – voller Freude – eine Eigeninterpretation geschaffen: „Betrunkene Fahrradfahrer dürfen hier fahren!“

PS: Irgendwo begegnet uns einige Tage später auch ein Schild „Sauf Police“. Leider hat in diesem Moment niemand dran gedacht, ein Foto zu machen.

Auf den größeren Boulevards ist schon etwas mehr los. Autos versuchen sich den Weg freizuhupen. Auch ein Radfahrer quält sich den Montmartre hoch. Der Arme!

Hier wird die Straße geflutet, das Wasser strömt bergab - Straßenreinigung auf Pariserisch. Foto: Patrick Kulow
Hier wird die Straße geflutet, das Wasser strömt bergab – Straßenreinigung auf Pariserisch. Foto: Patrick Kulow

Straßenreinigung auf Pariserisch

Als ich um die Ecke biege, stoße ich auf einen ungewöhnlichen Anblick. Am Straßenrand kommt mir auf beiden Seiten ein breiter Wasserstrom entgegen. Ein Wasserrohrbruch? Nein, ein kleines Stückchen weiter bergaufwärts begegne ich einem besenschwingenden Herrn, der die Straße reinigt und die auf den Gehwegen hingeworfenen Abfälle in den entstandenen Bach schiebt. Ein großer Schritt bringt mich trockenen Fußes auf die andere Straßenseite. Das muss ich mir genauer anschauen.

Ich bleibe stehen und gucke auf mein Handy. Eigentlich schiele ich am Display vorbei und will herausfinden, was der lustlos dreinblickende Typ da macht. Der beobachtet mich auch schon und denkt sich wahrscheinlich auch seinen Teil, warum irgend so ein Tourist, der zu früh aus dem Bett gefallen ist, ihm bei seiner Arbeit zuguckt. Einmal seitwärts fegen, ein Schritt vor, einmal fegen, einmal vor. Monotoner geht es kaum. Mit seinem merkwürdig aussehenden Besen – der so ein wenig an Omas Reisigbesen von früher erinnert – erwischt er mit den schräg geschnittenen, leuchtend grünen Kunststoffborsten bei weitem nicht soviel Dreck vom Gehweg, dass ich den Zustand des schmalen Asphaltweges hinterher als “sauber” bezeichnen würde. Für mich irgendwie eine ineffektive Methode der Straßenreinigung. Was für Unmengen Wasser müssen hier jedes Jahr die Straßen entlang bis zum nächsten Gulli fließen? Wenn ich wieder zu Hause bin, muss ich das mal herausfinden.

Jetzt guckt er sehr auffällig – und ein bisschen böse (oder glaube ich das nur?) – zu mir rüber. So böse, dass es mir unangenehm ist und ich lieber schnell weitergehe – auch wenn ich jetzt kein Foto machen konnte.

Hier die Hochdruck-Variante einer Gehwegreinigung. Das Ergebnis überzeugt, der Gehweg ist blitzblank. Foto: Patrick Kulow
Hier die Hochdruck-Variante einer Gehwegreinigung. Das Ergebnis überzeugt, der Gehweg ist blitzblank. Foto: Patrick Kulow

Während ich noch diesen Gedanken nachhänge und weitergehe, wird mir etwa 200 Meter weiter vorn in einer Straße mit breiteren Gehwegen eine weitere Methode der Pariser Stadtreinigung vorgeführt. Hier will man den Schmutz mit Wasserhochdruck bekämpfen. Ein grünes Fahrzeug mit einem großen Tank fährt im Schritttempo auf der Straße. Oben schaut ein langes Rohr heraus, daran hängt ein Schlauch. Neben dem Fahrzeug, auf dem Gehweg, läuft ein weiterer Mitarbeiter, der den Schlauch mit einer Düse an der Spitze in der Hand hält. Diesen schwenkt er hin und her, lässt Papierfetzen, leere Blechdosen und sonstige Abfälle – man will es gar nicht genauer wissen! – durch die Luft und vor sich her fliegen. In meinen Augen nicht die beste, aber wohl die am wenigsten uneffektivste Methode, die Hinterlassenschaften von tausenden Menschen (und Hunden – Brrr!) zu beseitigen.

Ein Traum für Süßmäuler

Nur wenige Minuten später entdecke ich eine Bäckerei, die „Boulangerie“. Zwar nicht die, die wir gestern Abend entdeckt hatten, aber das dürfte wohl egal sein. Baguette ist Baguette, oder? Am Montagmorgen ist das Angebot zumindest weitaus größer. Nicht nur frische Baguettes sind im Regal zu sehen, sondern auch wunderbar in der Auslage präsentierte süße Teilchen. “Kauf mich, kauf mich!”, rufen sie mir zu. Und so kann ich nicht widerstehen und habe zusätzlich zur doppelt gefüllten Baguettetüte drei weitere Papiertüten mit Croissants verschiedener Sorten im Gepäck: Buttercroissants, Nuss-Nugat-Croissants und fluffig-luftige Blätterteigteilchen, die herrlich nach Vanille duften und Schokostückchen in sich verstecken. Das war eine erfolgreiche Jagd!

Fazit des Autors: Lecker! Absolut lecker! (Fanden die anderen übrigens auch beim darauffolgenden ausgiebigen Frühstück.)

Die Jagdbeute: Croissants und Baguettes. Foto: Patrick Kulow
Die Jagdbeute: Croissants und Baguettes. Sehr französisch! Foto: Patrick Kulow

Unser erster Ausflug zu einem touristischen Highlight steht kurz bevor: Der nächste Tagebucheintrag trägt den Titel „Mit Maschinengewehr am Eiffelturm“. Wir werden also DAS Wahrzeichen der Stadt Paris schlechthin besuchen und anschließend vor allem denen, die selbst noch nie in Paris waren, einen Überblick verschaffen, was man in Paris alles so unternehmen kann. Ein bisschen Reiseführer also. Ich hoffe und denke aber, dass ich auch einige bisher unbekannte Informationen und Orte gefunden habe, über die sich auch der Paris-erfahrene Leser wundert.

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