Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen fordert die BARMER von der künftigen Regierungskoalition eine stärkere Gewichtung von gesundheitspolitischen Themen. Das sächsische Gesundheitswesen gibt über vier Millionen Einwohnern und rund 295.000 Erwerbstätigen medizinische und pflegerische Sicherheit. Dieses zentrale Gut gilt es auch in Zukunft zu garantieren.

Insbesondere die Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf dem Land stellt den Freistaat vor große Herausforderungen. Diese können nur mit Mut und Verantwortungs-bewusstsein angegangen werden. „Insbesondere die ambulante Versorgung im ländlichen Raum, die Notfallversorgung, aber auch die Zukunft der Krankenhäuser verlangen einen starken politischen Gestaltungswillen“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen.

Versorgung aus Patientensicht betrachten

„Wir müssen die Gesundheit stärker aus der Sicht der Patientinnen und Patienten denken“, so Magerl. Immer größer werdende strukturelle Versorgungsunterschiede, besonders zwischen Stadt und Land, können nicht mehr allein mit mehr Geld ausgeglichen werden. Die demografische Entwicklung bedingt dringend strukturelle Anpassungen und diese zeitnah.

Eines der größten Probleme im Gesundheitswesen sind die unzureichende Vernetzung und Koordinierung von Leistungserbringern. So sind zumeist einzelne, regional bezogene Projekte angeschoben, die Potential haben, den Austausch, beispielsweise zwischen Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern, Einrichtungen der Rehabilitation und auch Apotheken zu verbessern.

„Angesichts der demografischen Entwicklung, jedoch läuft uns die Zeit davon. Schon längst ist das Denken in den abgeschlossenen Sektoren – ambulant und stationär – überfällig. Diese Mauer muss endlich fallen“, fordert Magerl. Rasante medizinische Fortschritte und neue digitale Anwendungen eröffnen bereits jetzt schon vollkommen neue Möglichkeiten der medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten. „Neue Versorgungswege müssen zugelassen und Anreize für deren Umsetzung geschaffen werden. Dafür gilt es endlich klare Rahmenbedingungen zu schaffen“, so Magerl.

Ärzte stärker durch nichtärztliche Praxisassistenz entlasten

Die personellen Ressourcen in der Ärzteschaft, aber auch beim Pflegepersonal sind begrenzt. Umso wichtiger ist es die ausgetretenen Pfade zu verlassen und in der Versorgung neue Wege zu gehen. Ein Arzt sollte nicht mehr alles allein machen, ausgebildete Praxisassistenten sollten ihn in der Patientenbetreuung regelhaft unterstützen.

„Rahmenbedingungen, die eine flächendeckende Delegation von ärztlichen Leistungen an nichtärztliches, qualifiziertes Personal zulassen, werden die Ärzteschaft erheblich entlasten“, beschreibt Magerl. Seit 2015 können sächsische Hausärzte nichtärztliche Praxisassistenzen (NäPA) mit entsprechender Qualifizierung anstellen und deren Hilfeleistungen abrechnen. Erprobungen haben gezeigt, dass NäPAs rund 1.200 Hausbesuche pro Jahr übernehmen können.

Eine Hausarztpraxis kann somit jährlich durch die Übernahme von rund. 2.200 zusätzliche Patientenkontakte stark entlastet werden. Ein ähnliches Modell trägt den Namen VERAH – Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis. So kann ein Arzt seine Praxisorganisation um eine Telesprechstunde erweitern und speziell qualifiziertes Personal erste Befunde erheben lassen. Der Arzt selbst wird dadurch entlastet. Das schafft Freiräume und sorgt für eine schnellere Terminvergabe. Nach einem vorangegangenen persönlichen Kontakt mit dem Patienten kann der Arzt unabhängig von Ort und Zeit auf die verschlüsselten Befunde zugreifen und sie bewertet. Der Patient erhält die Information dann in Schriftform.

„Dieses Potential müssen wir nutzen, wenn wir die Wartezeiten und Anfahrtswege gerade für Patienten in ländlichen Regionen verkürzen und eine flächendeckende Versorgung sicherstellen wollen. Leider ist der Katalog der delegationsfähigen Leistungen derzeit zu stark begrenzt. Das muss sich ändern. Eine Ausdehnung auf weitere Versorgungsbereiche ist dringend notwendig, beispielsweise auf die unterstützende ärztliche Versorgung in Pflegeeinrichtungen oder in der Palliativversorgung aber auch in der ärztlichen Praxis selbst“, sagt Magerl.

Einheitliche Notrufnummer

Verschiedene Akteure, sektorale Trennung, lückenhafte oder unattraktiv organisierte vertragsärztliche Strukturen führen dazu, dass die Patientenzahlen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser drastisch steigen. Dieser Anstieg geht nicht nur einher mit längeren Wartezeiten für die Patienten, sondern auch mit einer Überlastung des, auf lebensbedrohliche Notfälle spezialisierten, ärztlichen und rettungsdienstlichen Fachpersonals.

“In Notfällen braucht jeder Mensch einen verlässlichen Ansprechpartner. Es muss eine einheitliche Notrufnummer geben, unter der man Hilfe bekommt. Diese prägt man sich bestenfalls bereits im Kindesalter ein. Im Ernstfall hat niemand die Nerven unter verschiedenen Nummern die richtige herauszusuchen“, sagt Magerl. Eine optimale Notfallversorgung in Sachsen erfordert transparente und einheitliche Strukturen. Magerl: Die BARMER befürwortet daher eine verpflichtende gemeinsame Vermittlung der beiden Notrufnummern 112 und 116117 durch Integrierten Leitstellen.

Aus einer Hand – Gemeinsame Notfallleitstellen

Geht ein Notruf ein, muss ein speziell medizinisch qualifiziertes Personal auf Basis einer standardisierten Leitlinie die Entscheidung für die akute mobile Notfallversorgung treffen und den Patienten in die medizinisch notwendige Versorgungsform leiten. In lebensbedrohlichen Notfällen wird der Rettungsdienst, in anderen Fällen der aufsuchende Bereitschaftsdienst der niedergelassenen Ärzte den Patienten am Notfallort versorgen. Damit wird die eigentliche Rettungsrufnummer 112 entlastet und der Patient gleichzeitig in die medizinisch passende Versorgung gelenkt.

Zeitnah muss auch die Zahl der Portalpraxen an Krankenhäusern – der gemeinsame ‚Tresen‘, als Anlaufstellen für Notfallpatienten – deutlich ausgebaut werden. Das wiederum bedarf einheitlicher Kriterien zur Standortauswahl für Portalpraxen sowie einer engen Abstimmung zwischen Sozialministerium und Innenministerium. Erst dann ist eine gemeinsame und sektorenübergreifende Planung des Rettungsdienstes und Notfallversorgung möglich. Die BARMER begrüßt die Initiative der Bundesregierung, den Rettungsdienst als eigenständigen medizinischen Bereich im Sozialgesetzbuch zu regeln.

Alle Forderungen im Überblick – Gesundheitspolitische Positionierung der BARMER Sachsen zur Landtagswahl 2019 in Sachsen

Broschüre – Gesundheitspolitische Forderungen der BARMER 2019 zum Herunterladen:  www.barmer.de/p011370

Medizinische Versorgung in strukturschwachen Räumen sichern

·  Einsatz von Maßnahmenmix der Gewinnung und Entwicklung hausärztlichen Nachwuchses in unterdurchschnittlich versorgten ländlichen Gebieten

·  Berücksichtigung regionalspezifischen Besonderheiten, Verkleinerung der Planungsbereiche sowie Erstellung einer neuen Bedarfsplanungsrichtlinie

·  Entlastung von Ärzte durch Zulassen der Delegation von deutlich mehr nichtärztlichen Leistungen

·  Vereinbarung einer Quote von Ärzten mit Weiterbildungsbefugnis

Sektorenübergreifende Versorgung

·  Einheitliche Vergütung: Gleiches Geld für gleiche Leistung

·  Organisation einer sektorenübergreifenden Bedarfsplanung

·  Bildung von regionalen, ambulanten Arztnetzen und Gesundheitszentren

Notfallversorgung neu justieren

·  Steuerung von Notfällen über einheitlichen Leitstellen – einheitliche Notrufnummer

·  Ausbau der Anzahl von Portalpraxen

Pflege: Fachpersonal und Kapazitäten

·  Unterstützung von pflegenden Angehörigen: Einrichtung einer Interessenvertretung von und für pflegende Angehörige

·  Empfehlungen der Enquete-Kommission umsetzen, bspw. Ausbau von Angeboten zur Alltagsbegleitung und Nachbarschaftshilfe, Pflegedialog als Austauschplattform

·  Vernetzte Pflegeberatung stärken

·  Freistaatliche Investitionskostenförderung in der stationären Pflege und Kurzzeitpflege

·  Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, Personalschlüssel, Vergütung

·  automatische Dynamisierung der Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung

Umgang mit Fachkräftemangel in Medizin und Pflege

·  Maßnahmenmix: mehr Studienplätze für Mediziner durch modifiziertes Zulassungsverfahren und Sondervereinbarungen mit Universitäten sowie zusätzliche Ausbildungsorte (Chemnitz)

·  Vergütungsanreize für Ärzte im Praktischen Jahr in Lehrkrankenhäusern nutzen

·  Stärkung von Weiterentwicklungs- und Entwicklungschancen durch Weiterbildungsverbünde und Ausbau von akademischen Lehrpraxen

·  Anwerbung von Pflegepersonal, Aus- und Weiterbildungsangebote schaffen

·  Neue Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Pflege

Am Ende des Lebens: Hospiz- und Palliativstrukturen stärken

·  Mehr Versorgungsangebote in ländlichen Regionen schaffen

·  Förderung von Zusatzweiterbildungsangeboten Palliativmedizin für medizinisches und pflegerisches Personal

Neue Wege für Sachsens Krankenhäuser

·  Qualitätsoffensive: stärkere Qualitätsorientierung in der Krankenhausplanung – spezialisierte Krankenhäuser mit Spitzenmedizin, Qualität und Sicherheit durch Nachweis von Mindestmengen für medizinische Eingriffe

·  gesetzliche Mitentscheidungsbefugnis der Krankenkassen bei der sektorenübergreifenden Bedarfsplanung

·  Investitionsquote des Freistaates von mind. 8 Prozent

Fairer Wettbewerb durch Finanzreform

·  Angleichung der Kassenaufsicht

·  Einführung einer Regionalkomponente

·  Hochrisikopool für Patienten mit seltenen und schwerwiegenden Erkrankungen

Prävention

·  gesamtgesellschaftliche ressortübergreifende Aufgabe

·  in allen Bereichen Kita, Schule Kommune, Betrieb, Alter

·  Finanzierung nicht mehr nur ausschließlich durch Pflege- und Krankenkassen

Digitalisierung

·  Breitbandausbau

·  Nutzung der Fernbehandlungsmöglichkeiten

·  Gesamtstrategie Telemedizin in Sachsen

Organspendenbereitschaft und Transplantation

·  Verstärkte Maßnahmen zu Aufklärung

·  Stärkung der Transplantationszentren

·  Aufwertung der Arbeit von Transplantationsbeauftragten

 

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