Fast 40 Jahre organisierte die Staatssicherheit in Leipzig aus dem monströsen Komplex als „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur die Überwachung, Verfolgung und Unterdrückung der Bürger der Stadt. Erst am 4. Dezember 1989 konnte deren Tätigkeit mit der Besetzung der Bezirksverwaltung während einer Montagsdemonstration gestoppt werden. Damit war während der Friedlichen Revolution eine zentrale Stütze der SED-Diktatur demontiert und ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gegangen.

Nicht nur über den weiteren Umgang mit der Stasi und den Prozess der Aufarbeitung, sondern auch über die Zukunft des Areals der ehemaligen Stasi-Zentrale wird nach wie vor emotional debattiert. Anlässlich des 34. Jahrestages der friedlichen Stasi-Besetzung lädt das Leipziger Bürgerkomitee zu einem Podiumsgespräch über die Bedeutung der steinernen Zeugen für die Vermittlung der SED-Diktatur ein.

Erhalt oder Abriss? – Zum Umgang mit einem unbequemen Ort mitten in der Stadt

Dieser authentische Ort ist es, der Besucher Leipzigs aus aller Welt anzieht. Noch ist der gesamte Stasi-Komplex auf dem früheren Matthäikirchhof wie eine „Zwingburg der SED-Diktatur“ mitten in der Stadt erlebbar.

Der Gesamtkomplex stellt in seiner Ambivalenz ein wichtiges architektonisches Zeitzeugnis für Diktatur, Revolution und Demokratie im 20. Jahrhundert dar: vom Verwaltungsneubau der Leipziger Feuerversicherungsanstalt 1913, über die Zerstörung der Matthäikirche und des gesamten angrenzenden Areals in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943, der Nutzung der „Runden Ecke“ nach dem Ende der NS-Diktatur unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung sowie schließlich als Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bis zur Besetzung während der Friedlichen Revolution am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung.

Der einst einschüchternde Ort der Diktatur mitten in der Stadt soll nun zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“. weiterentwickelt und ein Zentrum lebendiger Demokratie und des Austauschs von Generationen zu Zeitgeschichte, Gegenwart und Zukunft werden. Leipzig hat sich darüber hinaus für das Zukunftszentrum „Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ beworben, dass auf diesem Areal ideale Rahmenbedingungen vorfände, denn Zukunft braucht Erinnerung und Erinnerung braucht Erinnerungsorte.

Die Debatte um die Zukunft der architektonischen Zeitzeugnisse beschäftigt mittlerweile die Stadt und viele Institutionen, die sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit schon seit vielen Jahren beschäftigen: Wieviel historische Substanz ist zur Wahrung eines solchen Geschichtsortes notwendig? Muss sich zum Beispiel auch der Denkmalschutz für die unangenehmen Spuren einer Stadtepoche engagieren?

Seit dem Sommer 2023 läuft ein städtebaulicher Wettbewerb zur künftigen Gestaltung des gesamten Areals. Für die aktuelle zweite Wettbewerbsphase hat die Jury neun Entwürfe zur Weiterbearbeitung ausgewählt. Der überwiegende Teil dieser Entwürfe arbeitet mit einem Erhalt oder zumindest Teilerhalt der 1980erJahre-Neubauten von Staatssicherheit und Volkspolizei

Die Zukunft des Areals ist ungewiss: Erhalt, Abriss oder Teilabriss für die ins Auge fallenden Stasi-Bauten stehen zur Debatte.

Worum geht es eigentlich in der Diskussion? Sollten alle Spuren der DDR-Diktatur beseitigt werden oder braucht es am Ende doch Erinnerungshilfen in Form von diesen Gebäuden? Der fast totale Abriss der Berliner Mauer wird heute als ein durchaus schwerwiegender und nicht rückgängig zumachender Fehler gesehen. Auch viele andere Gedenkstätten kranken daran, dass die originalen Räume ihrer ursprünglichen Einbindung und damit ihres Funktionskontextes beraubt wurden. Dieser Fehler sollte in Leipzig aus dem Abstand von über 30 Jahren nicht wiederholt werden.

All diesen Themen und Fragen besprechen unter der Moderation von Sven-Felix Kellerhoff (Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, Die Welt):

  • Alf Furkert (Sächsischer Landeskonservator im Landesamt für Denkmalpflege Dresden)
  • Prof. Dipl.-Ing. Ronald Scherzer-Heidenberger (Freier Architekt)
  • Tobias Hollitzer (Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“)

Die Friedliche Revolution im Herbst 1989 in Leipzig

Wochenlang war die „Runde Ecke“ ein wichtiger Kristallisationspunkt der Leipziger Montagsdemonstrationen. Noch im September war die erste Demonstration unter der damaligen Fußgängerbrücke am Brühl umgekehrt und so der befürchteten Konfrontation mit der Stasi ausgewichen. Später, von Montag zu Montag mutiger geworden, artikulierten sie gerade vor der abgeschotteten und angsteinflößenden Bezirksverwaltung am Dittrichring ihre Forderung nach Abschaffung des „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur.

Der Zorn der Menschen war so groß, dass hier immer wieder die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation bestand. Um den weiteren gewaltlosen Verlauf der Proteste zu sichern, verhandelten am Nachmittag des 4. Dezember 1989 Vertreter der neuen demokratischen Gruppierungen mit dem Leipziger Stasi-Obristen über eine Kontrolle des Stasi-Gebäudes. Als Ergebnis dieser Verhandlung gelang es am Abend einer Gruppe von 30 Bürgern, das gesamte Areal zu besichtigen.

Eine der wesentlichen Forderungen der vorhergegangenen Wochen war nun in die Tat umgesetzt: die Macht der verhassten Staatssicherheit wurde endgültig gebrochen. Die Berichte der Journalisten, die die Demonstranten in das Gebäude begleitet hatten, gingen an diesem Abend um die ganze Welt. Millionen Zuschauer sahen die abgedunkelten Gänge, verschlossenen Türen und die Verunsicherung der einst Mächtigen, die kaum fähig waren, das auch für sie Unfassbare zu verstehen. Draußen vor den Toren standen die Leipziger Bürger und feierten singend ihren friedlichen Triumph: „So ein Tag, so wunderschön wie heute, …“

Das sich in dieser Nacht bildende Bürgerkomitee setzte nicht nur den sofortigen Stopp der seit Wochen laufenden Aktenvernichtung durch und sicherte alle vorgefundenen Unterlagen und Objekte. In den kommenden Wochen machte es die Arbeitsweise der kommunistischen Geheimpolizei transparent.

Damit begann die unumkehrbare Demontage des Unterdrückungsapparates, der jahrzehntelang die eigene Bevölkerung im Auftrag der SED überwacht, eingeschüchtert und seiner äußeren und inneren Freiheit beraubt hatte. Die weitblickende Forderung damaliger Demonstranten „Runde Ecke Schreckenshaus – Wann wird ein Museum draus?“ ist inzwischen seit mehr als drei Jahrzehnten am authentischen Ort Wirklichkeit.

Heute ist die „Runde Ecke“ und der gesamte Komplex der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale am früheren Matthäikirchhof ein herausragender international bekannter authentischer Ort der Aufarbeitung der SED-Diktatur aber auch der Vermittlung der Werte der Friedlichen Revolution von 1989.

https://www.runde-ecke-leipzig.de/

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