Ist die Karl-Liebknecht-Straße unsanierbar? - Vieles deutet darauf hin, dass sie es in der von den Leipzigern gewünschten Form nicht ist. Beharrlich protestieren gerade die Umweltvereine Ökolöwe, ADFC und FUSS e.V. gegen ein separates Gleis der Straßenbahn zwischen Riemannstraße und Hohe Straße. Ein Grund, so stellte Torsten Schönebaum auch in einem Leserbrief an die L-IZ Redaktion fest, seien die viel zu schmal geplanten Radfahrstreifen.

In einer Straße mit 14.000 Kfz Verkaufsaufkommen am Tag und den gewünschten höheren Geschwindigkeiten müssten Radfahrstreifen 2 Meter breit sein. Die von den Stadtplanern vorgesehenen 1,85 Meter seien zu wenig. Das kollidiere mit den Empfehlungen für solche Radanlagen.

Doch nicht nur bei den Radfahrstreifen stellen bundesdeutsche Regelungen die Planungen von Stadt und LVB in Frage. Oder machen den gewünschten Mix aus rollendem, ruhendem und Fußgängerverkehr gerade im interessantesten Straßenabschnitt der “KARLI” fast unmöglich. Die L-IZ hatte dezidiert das Problem des Parkens in der Karl-Liebknecht-Straße in den Fokus gerückt. Denn alle Visualisierungen zeigen: Der Straßenraum geht nicht verloren, weil Radfahrer, Kfz, Straßenbahn und Fußgänger ihre separaten Abschnitte im Straßenabschnitt bekommen – sondern weil zusätzlich auf jeder Seite Parkbuchten eingeplant werden.

Das überfordert den vorhandenen Straßenquerschnitt in der Karl-Liebknecht-Straße überall. Torsten Schönebaum verweist auch auf einen Zwang, der in der Verwaltungsvorschrift zur StVO angelegt sei. Diese fordere als Voraussetzung für die Anordnung von Radfahrstreifen glasklar, dass “die Verkehrsbelastung und Verkehrsstruktur auf der Fahrbahn sowie im Umfeld die örtlichen Nutzungsansprüche auch für den ruhenden Verkehr nicht entgegenstehen.”

So kommt das Auto, ohne dass auch nur ein Federstrich in der Planung passiert ist, zu seinem, Primat: Kein Radfahrstreifen ohne Parkplätze.

Aber wohin mit den Parkplätzen? War deutsche Straßenpolitik da nicht schon einmal weiter? Sind Stadtplaner andernorts dümmer als die Leipziger und sehen nicht, wie man mit dem Zwang zum Bau von Parkraum eine lebendige Hauptstraße nach der anderen kaputt macht?Genau das ist für Alexander John, Vorsitzender des ADFC, der Knackpunkt dafür, warum die Umweltverbände gegen das separate Gleis der Straßenbahn argumentieren. Denn eigentlich ginge es in der Karl-Liebknecht-Straße um die Bewahrung einer Qualität. “Es ist aber faktisch so, dass die KarLi eine Hauptgeschäftsstraße ist, für die es in der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 2006) eine Prioritätensetzung der Planung gibt: 1. Priorität hat die Aufenthaltsqualtiät, 2. Priorität hat das Liefern und Parken, 3. Priorität hat die Verkehrsfunktion.”

Für Alexander John ein klarer Fall: “Die Vorzugsvariante der LVB/Stadt verdreht die Prioritäten zu ungunsten der Seitenräume.”

Für ihn gehört der ruhende Verkehr nicht in den jetzigen Fußgängerbereich. Sondern auf die Straße.

“Die Stadt und die LVB definieren den Seitenraum für sich neu, in dem sie den ruhenden Kfz-Verkehr zum Seitenraum zählen. In der Fachdefinition (also in den Richtlinien) gehört der ruhende Verkehr jedoch ausdrücklich nicht zum Seitenraum. Die Neudefinition durch Stadt/LVB hat auch einen triftigen Grund: In Hauptgeschäftsstraßen hat der Seitenraum eine Mindestbreite von 6,50 m. Bei hohem Fußverkehrsaufkommen (ab 100 Personen in der Spitzenstunde) muss der Seitenraum noch breiter werden. Gibt es einen Baumbestand, erfolgen weitere Breitenzuschläge.”

Ähnlich sieht es auch der FUSS e.V., der die 2006 veröffentlichte Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) als Revolution in der deutschen Straßenplanung begreift. Eine Revolution, die erstmals auch den Fußgängern eine Mindestaufenthaltsqualität zubilligt und Mindeststandards für den Ausbau von Fußwegen definiert. Und damit auch neue Qualitäten für Hauptverkehrsstraßen.

Wenn die Stadt den ruhenden Verkehr in die jetzigen Fußwegbreiten hinein verschiebt, mindert sie diese Qualitäten. Macht sie es nicht, sorgt der ruhende Verkehr – genau wie jetzt – für eine Überschneidung von Straßenbahn-, Kfz- und Radverkehr.”Unabhängig des ‘Parkproblems’ ist für den Seitenraum also eine Breite in der KarLi vorzusehen, die es heute noch gar nicht gibt. Von einer Verschmälerung darf also gar keine Rede sein. Die Verschmälerung erfolgt jedoch zwangsweise, wenn die Straßenbahn auf einem separaten Gleiskörper durch die KarLi geführt wird”, beschreibt Alexander John das Dilemma. “Wir diskutieren über eine Planung mit einem separaten Gleiskörper, für den die Stadt/LVB kein Baurecht erhalten dürfen, wenn die Richtlinien stringent ausgelegt werden. Wenn LVB und Stadt also nicht bald die Kurve bekommen, werden die LVB wohl die Gleise flicken müssen und erhalten überhaupt keine Fördermittel.”

Andererseits gäbe es dann wenigstens Fördermittel für den behindertengerechten Ausbau der Haltestellen.

Er sieht auch in der Separierung der einzelnen Verkehrsarten kein sinnvolles Ziel. “Die Vollseparierung aller Verkehrsarten wünscht sich weder der Gesetzgeber noch befürwortet das die Verkehrsunfallwissenschaft. Viele Unfälle – vor allem die schweren – passieren bei Vollseparierung wie beispielsweise in der südlichen KarLi. Allein im letzten Jahr starb dort durch einen Unfall mit der Straßenbahn eine Radfahrerin, eine andere wurde schwer verletzt. Diese Probleme gibt es in der nördlichen KarLi (zum Glück noch) nicht. Dort können auch Personen mit Rollator jederzeit die Straße queren – so wie es in einer Hauptgeschäftsstraße auch vom Gesetzgeber gewünscht ist.”

Womit man wieder beim Geld wäre. Für den Umbau des kompletten Straßenabschnitts vom Peterssteinweg bis zum Südplatz kalkuliert die Stadt mit rund 10,5 Millionen Euro. Viele Teile der Planungsvarianten unterliegen – so bestätigen es auch die Planer – den Zwängen vor allem der Bundesförderkriterien. Nur wenn diese Kriterien eingehalten werden, gibt es die so dringend erforderliche Förderung.

Was – neben den aktuellen Diskussionen um den massiven Investitionsstau bei Schulen, Kindertagesstätten, Kulturbauten und vielen Brücken – auch ein grelles Licht auf den Investitionsstau bei Leipzigs Straßen wirft. Auch 22 Jahre nach der “Einheit” hat Leipzig den Investitionsstau aus DDR-Zeiten nicht abgebaut. Und das liegt nicht nur am dauerhaft klammen Haushalt der Stadt, denn die derzeit 740 Millionen Euro Schulden, die die Stadt hat, resultieren ja vor allem aus Kreditaufnahmen für dringend notwendige Investitionen.

Eine wesentliche Ursache sind auch die Fördermittelvergaben im Freistaat Sachsen, die Leipzig – je nach Perspektive – eine Unterdeckung von 300 bis 900 Millionen Euro beschert haben. Es waren nicht einmal die knapp kalkulierten Haushaltspläne der Stadt, die ein Abrufen der Fördergelder nicht möglich machten. Überproportional oft musste sich Leipzig mit der Auskunft aus Dresden begnügen, die “Töpfe” seien leer, die Antragssummen überzeichnet.

Dass einige naive Politikspieler dieses künstliche Knapphalten der Stadt und die fehlenden Investitionsmittel für Schulen, Kitas, Sportstätten jetzt argumentativ gegen die Stadt selbst verwenden, zeugt zumindest von einem recht realitätsfremden Betrachten von Politik.

Im Ergebnis unterliegt die Stadt bei derart markanten Planungen wie beim Projekt “KARLI” mehr Zwängen, als es den Projekten gut tut. Ihre Spielräume sind massiv eingeschränkt.

Der Fuß e.V. zu den neueren Regeln und Entwicklungen beim Bau von Fußwegen: www.geh-recht.info

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