Das Grundstück Josephstraße 7 ist seit dem 8. September 2012 frei zugänglich. "Seitdem der Bauzaun weg ist, kommen ständig Leute, lesen die Tafeln und lassen sich auf den Ort ein", sagt Anne Friebel vom Verein "Gedenkort Josephstraße 7". Damit werde die jüdische Vergangenheit in Lindenau wieder ein Stück sichtbarer, so Anne Friebel weiter. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich die Initiative mit der Erinnerung an die Familien Reiter und Lotrowsky, die bis 1938 als Juden mitten in Lindenau lebten.

Am 8. September 2012 fand nun die Vor-Eröffnung eines Gedenkortes in der Josephstraße 7 statt. Was verbinden Sie mit der Vor-Eröffnung?

Es ist schön, dass der Gedenkort endlich offen und jederzeit zugänglich ist! Seitdem der Bauzaun weg ist, kommen ständig Leute, lesen die Tafeln und lassen sich auf den Ort ein – das ist genau das, was wir uns vorgestellt haben. Damit wird die jüdische Vergangenheit in Lindenau wieder ein Stück sichtbarer.

Ihrer Intitiative, die nun als Verein “Gedenkort Josephstraße 7” agiert, geht es um einen partizipatorischen Gedenkort. Wie kann Partizipation an diesem Ort gelingen?

Partizipation an diesem Ort kann bedeuten, dass die Besucher_innen eine eigene Perspektive einnehmen, nachdenken, nachfragen. Dass sie ihre Ideen einbringen und den Ort mitgestalten und nutzen können, was ja bei etablierten Gedenkstätten eher nicht der Fall ist. Ein wichtiges Element dafür ist, dass hier die Fortzeichnung der Vergangenheit in Gegenwart und die persönliche Biographie betont wird.

Mit diesem Gedenkort ist auch die Möglichkeit der Einbeziehung der lokal tätigen Vereine, Initiativen und Gruppen gegeben. Dieser Gedenkort ist Teil einer neuen dynamischen Erinnerungskultur.

Wie halten Sie Kontakt zu den Nachfahren der Familien Reiter und Lotrowsky?
Wir haben regen Kontakt zu den beiden Reiter-Brüdern in Israel und den USA. Im Herbst werden ein paar Leute aus dem Verein Amos Reiter in Israel besuchen und ihm persönlich von der Eröffnung des Gedenkorts berichten. Zu den Lotrowskys fehlt bislang leider jede Spur, aber da wollen wir auch nochmal intensiver nachforschen und dann die Nachfahren kontaktieren.

Mit dem Gedenkort wollen Sie Anstöße geben, Anstoß nehmen sowie “Kontinuitäten in die Gegenwart” aufzeigen. Welche Kontinuitäten meinen Sie damit?

Mit Kontinuitäten meinen wir Linien, Denkmuster, die sich durch die deutsche Geschichte ziehen – Antisemitismus zum Beispiel. Das hört ja nicht 1945 auf, das lebt weiter in den Köpfen. Eine Kontinuität ist auch, dass ein paar hundert Meter weiter, in der Odermannstraße, der 20. April und 9. November gefeiert werden.

Aber auch der Umgang mit der Geschichte, dass zum Beispiel erst 1991 mit den Rückübertragungsregelungen der BRD das Grundstück der Familie Reiter zurückgegeben wurde, dass Shoah und Nationalsozialismus mit bürokratischen Vorgängen ohne Bezug zu den menschlichen Schicksalen abgewickelt werden und dass die Folgegenerationen von Tätern und Opfern der Shoah große Schwierigkeiten haben, mit diesen bürokratischen Abgeltungen etwas anzufangen.

Wie wird es nach der Vor-Eröffnung mit dem Projekt Gedenkort weitergehen?

Der Gedenkort ist ein Spiegel unserer Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir werden das Konzept weiter entwickeln, weiter die Diskussion mit der Familie Reiter und Lotrowsky suchen und auch in unseren Familienbiographien stöbern.

Perspektivisch soll es eine offizielle Nutzungsvereinbarung mit den Brüdern Reiter, der Stadt Leipzig und unserem Verein geben, wodurch finanzielle Unterstützung durch das ASW [Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung – Anmerkung der Redaktion] möglich wird. Bisher haben wir den Gedenkort vorwiegend aus eigener Tasche gestemmt. Zum Beispiel gibt es bereits einen Entwurf für einen Brunnen auf dem Gedenkort, welcher dann realisiert werden kann.

Wir werden unsere Zusammenarbeit mit der anliegenden Nachbarschaftsschule fortführen und perspektivisch auf andere Schulen ausweiten. Wir werden nachforschen, wo die Spur der Lotrowskys hinführt und Kontakt aufnehmen zu ihren Nachkommen. Und am 5. November 2012 wird ein Stolperstein für Ida Lotrowsky vor dem Grundstück verlegt.

Vielen Dank für das Gespräch.

www.gedenkort-josephstrasse.org

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