Auch so kann man Glaubwürdigkeit verspielen, wie es die Stadt Leipzig derzeit am Beispiel "forum thomanum" zelebriert. Das ist der Bildungscampus, der rund um Thomasgymnasium, Thomasalumnat und Thomanerchor an der Sebastian-Bach-Straße entstehen soll. Erst 2012 feierte sich die Stadt selbst mit "800 Jahre thomana". Am 17. April soll das umgebaute Alumnat feierlich eingeweiht werden. Doch nun scheint man das Projekt einer Grundschule auf dem Campus mit aller Gewalt verhindern zu wollen.

Die Kindertagesstätte “forum thomanum”, in der das Thema Frühkindliche Bildung bedacht ist, gibt es seit 2008. Den Fahrplan für die Komplettierung des einzigartigen Bildungscampus hatte der forum thomanum e.V. 2007 vorgelegt. Er beinhaltete den Umbau der Villa Thomana, die ebenfalls 2008 fertig wurde. Der nächste Baustein – die Modernisierung des Alumnats – war städtische Aufgabe. Mit diesem Baustein kam erstmals eine Verzögerung in die Pläne. Denn fertig geworden mit dem gesamten Campus wäre man schon gern 2012, im Jubiläumsjahr. Das Alumnat war für 2010 vorgesehen. Das Gemeindehaus eigentlich auch. Die Grundschule war für 2011 vorgesehen. Aber solche Verzögerungen in Planung, Finanzierung und Bau sind nicht ungewöhnlich.

Ungewöhnlich ist, wenn entscheidende Bürgermeister und gleich drei Fraktionsvorsitzende von der gemeinsamen Zusage abrücken, dass die forum thomanum Schulen GmbH die dringend benötigte Grundschule bauen darf. Und das in einer Zeit, in der in Leipzig gleich mehrere Schulen aller Schultypen fehlen.

Um eine Grundschule, die den musikalischen Nachwuchs für den Thomanerchor heranbildet, kämpfen Thomaskirchgemeinde und Thomanerchor schon seit den 1990er Jahren. Denn die Zeiten ändern sich – die Erfordernisse für den Chor aber werden nicht geringer. Und wo Kinder in früheren Zeiten schon eine musikalische Vorbildung aus dem Elternhaus, der dort gepflegten Hausmusik oder aus der Kirchenmusik mitbrachten, fehlt das heute fast völlig. Dazu käme, so Thomaskantor Georg Christoph Biller, der viel frühere Stimmbruch bei den Jungen. “Früher kamen die Knaben mit 12 Jahren in den Chor. Aber wenn sie heute in diesem Alter sind, haben sie den Stimmwechsel fast immer schon hinter sich. Uns fehlen die Knabenstimmen”, sagt er. Es brauche also auch schon vor dem Wechsel der Jungen ans Gymnasium eine schulische Ausbildung in den musikalischen Grundlagen.

Mit der 76. Grundschule in der Westvorstadt wollte man anfangs so eine unterstützende Struktur aufbauen. Geworden ist es “nur” ein zusätzliches musikalisches Angebot im Hort der Schule, das zu 80 Prozent von der Kirchgemeinde St. Thomas getragen wird. Das Angebot gibt es seit 1998. Mit der Schwierigkeit, mögliche spätere Thomaner hier überhaupt unterzubringen, denn für die Grundschulen gelten die strikten Grenzen der Schulbezirke.

Eine Zeit lang hofften Biller und seine Mitstreiter darauf, dass sich die Schule den Wünschen des Thomanerchores weiter öffnen würde. Eine Zeit lang war sogar der Name Anna-Magdalena-Bach-Schule im Gespräch. Doch 2006 benannte sich die Schule lieber nach der angrenzenden Straße in Eduard-Manet-Schule um. Die Beziehungen zwischen Schule und Thomanerchor sind gespannt. An eine Ausweitung des musikalischen Angebots war nicht zu denken. Stattdessen wurde das Sportprofil geschärft. Das war der Zeitpunkt, an dem die Akteure des forum thomanum nach einer Alternative Ausschau hielten und eine eigene Grundschule im “forum thomanum” planten, so dass es ein kompletter Bildungscampus wurde. Am 15. April 2008 legte der damalige Kulturbürgermeister Dr. Georg Girardet das Projekt in der Dienstberatung des OBM vor. Und OBM Burkhard Jung erklärte das grundsätzliche Bekenntnis der Stadt zum Projekt. Am 18. Juni 2008 stimmte auch der Stadtrat zu.Schon im April 2008 hatte Burkhard Jung freilich betont, wenn, dann könne es nur eine freie Grundschule werden. Das wurde dann im September 2009 in einem Gespräch zwischen Vertretern des forum thomanum und OBM Burkhard Jung und den beiden Bürgermeistern Thomas Fabian und Michael Faber noch einmal bestätigt. Im Schuljahr 2010/2011 wurde diese (private) Grundschule dann auch eröffnet – ein bisschen ab vom Schuss in Nord-Gohlis. Aber diese “Ausweichstelle” in einer städtischen Schule sollte auch immer nur ein Übergang sein.

Doch irgendwie gingen die entscheidenden Prozesse in der Verwaltung nicht weiter. Um auf dem städtischen Grundstück an der Ecke Schreberstraße/Sebastian-Bach-Straße bauen zu können, braucht das “forum thomanum” einen Erbbaurechtsvertrag. Doch im März 2012 offerierte die Stadt den Vorschlag, die Schule in städtischer Trägerschaft zu bauen. “Wie das gehen soll, kann mir bis heute keiner sagen”, sagt Thomaspfarrer Christian Wolff. “Der Vorschlag kam ja nicht von uns, sondern von der Stadt.” Das wesentliche Problem dabei: Die Stadt hat so einen Schulbau im Bachviertel gar nicht im Haushalt eingeplant.

Da scheint man im Rathaus doch schnell wieder umgedacht zu haben. Im September 2012 gab es das nächste Spitzengespräch – diesmal mit OBM Burkhard Jung und den Bürgermeistern Faber, Fabian, zur Nedden und Albrecht. Im Ergebnis war man dann wieder bei der privaten Grundschule, der Absichtserklärung, eine gemeinsame Stiftung zu gründen und der Hausaufgabe für das Dezernat VII (Wirtschaft und Arbeit), einen Erbbaurechtsvertrag für das Grundstück Hillerstraße 1 zu erstellen. Der sollte dann zum Jahresende ins Verfahren. Doch dann wurden die drei Stadträte Stefan Billig (CDU), Axel Dyck (SPD) und Wolfram Leuze (Die Grünen) aktiv. Sie hatten eine eigene Idee, wollten die Eduard-Manet-Schule zu einer städtischen Grundschule mit musischem Profil umbauen, denn die schulische Ausbildung mit Sportschwerpunkt soll ja künftig im Waldstraßenviertel konzentriert werden.Daraus ergab sich, dass die Entscheidung zum Erbbaurechtsvertrag von der Tagesordnung des Grundstücksverkehrsausschusses genommen wurde. Ein entsprechend deutlicher Brief von Thomaskantor Prof. Georg Biller war die Folge – und ein Gespräch der Vertreter des “forum thomanum” – jetzt mit Jung, Faber, Fabian, Billig, Dyck und Leuze. Mit dem Ergebnis, nun doch den Erbbaurechtsvertrag fürs “forum thomanum” zu schreiben. Darüber wurde Vertraulichkeit vereinbart. Die dann am 6. April aufgehoben wurde, als die LVZ über die Pläne der drei Stadträte berichtete.

“Einen Erbbaurechtsvertrag haben wir bis heute nicht”, sagte Christian Wolff am Freitag in einem zum Thema anberaumten Pressegespräch. Denn die (private) Grundschule gibt es ja schon längst. Auch 2012 wurde wieder eine Klasse gebildet, so dass jetzt 65 Schüler an der Grundschule eine vertiefte musikalische Ausbildung bekommen. Im Herbst soll die nächste Klasse eingeschult werden, erklärt Rolf Ahrendt, Geschäftsführer der forum thomanum Schulen GmbH.

Wenn die Thomaner am 17. April in ihr umgebautes Alumnat zurückziehen und die Interims-Unterkünfte abgebaut werden, könnte eigentlich mit dem Bau der geplanten Grundschule im “forum thomanum” begonnen werden. Die Baupläne liegen in der Schublade für eine Grundschule für 200 Schüler. Doch der Erbbaurechtsvertrag fehlt. Höchst verwunderlich war schon die Ankündigung des OBM, am Freitag, 12. April, noch einen Erbbaurechtsvertrag schicken zu wollen. Doch was dann im Lauf des Nachmittags kam, war dann wieder nur der Entwurf eines solchen. Denn rechtsgültig wird er ja erst, wenn er die Stadtratsgremien durchläuft. Der Grundstücksverkehrsausschuss hat sich am 11. April jedenfalls nicht mit dem Thema beschäftigt, sondern das völlig unausgegorene Projekt Neugestaltung des agra-Geländes besprochen. Und so deutete wohl auch Kulturbürgermeister Michael Faber bei Übersendung des Entwurfs zum Vertrag an, dass der nun erst wieder über die Hürde Grundstücksverkehrsausschuss muss.

Christian Wolff sieht in den Vorgängen schon eine Art Bürgermeisterwahlkampf. Immerhin werden in diesem Jahr vier Bürgermeister neu gewählt. Da wird natürlich hinter den Kulissen auch bei einzelnen Themen gezockt und gehandelt. Aber nicht nur das “forum thomanum” braucht diese “kleine Nachwuchsschmiede” für den Chor. Leipzig selbst braucht auch dringend weitere Grundschulen.

“Wir könnten praktisch sofort losbauen”, sagt Ahrendt. Es braucht zwar neben dem Erbbaurechtsvertrag dann noch die Baugenehmigung. Auch das verzögert das Ganze wieder. Bislang stand 2014 als Fertigstellungsjahr auf der Agenda. “Aber das werden wir jetzt schon auf 2015 verschieben müssen”, so Ahrendt. 2,1 Millionen Euro sind für den Schulbau kalkuliert.

Veranstaltungstipp: Am Dienstag, 16. April, lädt das “forum thomanum” zu einer Öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema in die Villa Thomana (Sebastian-Bach-Straße 3) ein. Thema: “Thomanerchor braucht Grundschule forum thomanum”. Im Podium stellen sich der Diskussion: Thomaskantor Georg Biller, Thomaspfarrer Christian Wolff, Rolf Ahrend und die Schulleiterin der Grundschule, Annette Hofmeister.

www.forum-thomanum.de

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