Das ist eine "Tragödie für den Adler", meint SPD-Stadtrat Mathias Weber. Ein bisschen spät, denn der Artikel, der ihn erschüttert, erschien schon am 2. April in der LVZ, in der man den direkten Draht zur CG-Gruppe pflegt. Diese gehört zu der Handvoll großer Immobilienentwickler, die in Leipzig mittlerweile so viel Geld zur Verfügung haben, dass sie die Stadtentwicklung auch gegen die hehren Absichten von Stadtrat und Verwaltung vorantreiben können. In diesem Fall in Kleinzschocher.

“Nach Aussagen der LVZ vom 2. April 2014 wollen REWE und DM das ehemalige Conrad Electronics an der Zschocherschen Straße beziehen”, liest Weber heraus. “Dies bedeutet das wahrscheinliche Aus für den REWE am Adler. Auf lange Sicht wird der Adler allein auf seine Verkehrsfunktion reduziert werden.”

Tatsächlich wird alles noch heftiger. In den ehemaligen Conrad-Markt zieht künftig ein Fitnessstudio. Die Fläche, um die es geht und die von der CG-Gruppe längst in eine tiefe Baugrube verwandelt wurde, ist der Platz des ehemaligen Bowling-Treffs. Die alte Werkhalle ist verschwunden, dafür sollen hier 6.500 Quadratmeter neue Verkaufsfläche für REWE und DM entstehen – samt Tiefgarage. Zur Straßenfront an der Zschocherschen Straße hin sind mehrere kleine Geschäfte geplant. Irgendwie ganz im Sinne der Stadt, die hier schon vor Jahren das Ventil geöffnet hat, aus dem einstigen Industriegebiet Plagwitz / Kleinzschocher an der Zschocherschen Straße eine Art Einkaufscenter zu machen. Auf der Ostseite lädt längst ein Discounter ein. Und da man auch den Bebauungsplan genau so aufgestellt hat, in diesem Stadtquartier auch großflächigen Einzelhandel unterzubringen, ist das per se eine Einladung an Investoren und Marktbetreiber.

Auch für REWE, das zwar seinen Supermarkt am Adler betreibt, dort aber auch neu bauen müsste. Die alte Kaufhalle aus DDR-Zeiten genügt den ambitionierten Plänen des Einzelhändlers nicht mehr. Und andererseits kommt die Stadt mit den Entwicklungsplänen für den Adler seit Jahren nicht aus dem Knick. Auch wenn der Adler als eines der D-Zentren im so genannten “Stadtentwicklungsplan (STEP) Zentren” ausgewiesen ist. Die Stadt hat in schönem Einklang mit dem Stadtrat also abseits des favorisierten D-Zentrums Adler / Dieskaustraße ein neues Einkaufszentrum zugelassen. Immobilienentwickler wären dumm, wenn sie sich so eine Chance entgehen ließen.

Und statt die Gremien darüber zu informieren, ließ man Ausschüsse, Stadtrat und Stadtbezirksbeirat weiter über den Adler diskutieren. Auch im März noch, als längst klar war, dass REWE umgeplant hat. Am 12. März diskutierte der Stadtbezirksbeirat Südwest über den SPD-Antrag vom 29. Oktober zur Weiterentwicklung des Adler. Denn wenn der einmal ein funktionierendes D-Zentrum werden soll, muss er endlich städtebaulich auf Vordermann gebracht werden. Das betrifft die städtebauliche Entwicklung der drei Grundstücke der Adlerspitze zwischen Windorfer und Dieskaustraße genauso wie den da noch geplanten REWE-Neubau anstelle des alten. Außerdem müsste mindestens die Straßenbahnhaltestelle in der Dieskaustraße barrierefrei umgebaut werden.

Aber dass sich da in der Zschocherschen Straße etwas anbahnte, wusste zumindest die SPD-Fraktion da schon: “Zusätzlich wurde ebenfalls entgegen dem beschlossenen Zentrenkonzept im Rahmen des Bauleitverfahrens Nr. 325 eine Baugenehmigung für zentrenrelevantes Einzelhandelsortiment auf dem ehemaligen Conrad-Gelände erteilt. Diese beiden Genehmigungen stellen eine Perforation der Ziele des Zentrenkonzeptes dar”, heißt es in ihrem Antrag.Da fuhr die Stadtverwaltung also unübersehbar zweigleisig und erklärte das seit 1999 immer neu aufgewärmte Zentrenkonzept quasi für erledigt. Oder noch genauer: Sie passt dann halt die Zentren an, wenn es sein muss. Im Verwaltungsstandpunkt zum SPD-Antrag ist dann am 17. Februar zu lesen: “Zunächst ist zur Begründung des Antrags anzumerken, dass die Stadt Leipzig den Bebauungsplan Nr. 325 ‘Zschochersche Straße / Gießerstraße – Nutzungsarten’ mit dem Ziel der Verhinderung einer absehbaren weiteren ungeordneten Ausbreitung von Handelsnutzungen im Gewerbegebiet Plagwitz aufgestellt hat. Dieser Plan diente damit gerade auch dem Schutz der Zentrenbereiche Zschochersche Straße / Karl-Heine-Straße, Könneritzstraße und dem Zentrum am ‘Adler’. Die mit dem B.-Plan verbundene Festsetzung einer Handelsfläche an der Zschocherschen Straße war in der Gesamtabwägung notwendig und wurde auch so vom Stadtrat als Satzung beschlossen. Die Anpassung des Zentrenbereiches ist damit eine konsequente Folge.”

So kann man es auch sagen. Aber es stimmt auch: Der Stadtrat hat diesem B-Plan zustimmen müssen. Ist das nun das Aus für den Adler?

“Hier wird sich kurz über lang ein neues Zentrum entwickeln mit einigen Vor- aber vielen Nachteilen für die Wohnquartiere im Umfeld. Das Stadtplanungsamt – der Wächter über das Zentrenkonzept – hat hier versagt”, meint Mathias Weber. Im März sei ein Antrag im Stadtrat beschlossen worden, der auf eine Aufwertung des Adlers abzielte. “Es macht nun einmal Sinn, Einzelhandel dort zu konzentrieren, wo der Verknüpfungsbereich zur Verkehrsinfrastruktur ist. Der Adler bot Platz und die besten Voraussetzungen für verkehrsparsame Strukturen.”

Womit er zumindest ein Thema benennt, dass Stadt wie Stadtrat im Gewerbegebiet Plagwitz nicht berücksichtigt haben: Die dort entstehenden Einzelhandelsstrukturen zielen vor allem auf motorisierte Einkäufer. Die Parkplätze und Tiefgaragen sprechen für sich. Es ist wie so oft, wenn im Stadtrat die Hände hochgehen: Man denkt meist nicht wirklich weiter als bis zum ersten Spatenstich. Das Thema Verkehr wird meistens lieber gar nicht debattiert, wenn es um Einkaufsstrukturen geht.

So war man denn auch im Stadtbezirksbeirat Südwest erst in der Sitzung am 9. April erschrocken, als man die LVZ vom 2. April vor sich hatte. In der März-Sitzung hatte man noch brav über den SPD-Antrag und den zugehörigen Verwaltungsstandpunkt gesprochen.

Die SPD Leipzig-Südwest fordert dringend von der Verwaltung Maßnahmen, um den Fokus wieder auf das gewachsene Zentrum am Adler zu lenken, meint nun Weber.

Aber vielleicht ist sogar der Auszug von REWE jetzt die Chance, den Südteil des Adler wieder mit einer attraktiven Bebauung aufzuwerten, die auch die klassischen Raumkanten wieder herstellt. Es muss ja kein 4.000-Quadratmeter-Markt mit 50 Parkplätzen davor sein, der hier neu entsteht. Einkaufskultur der Zukunft wird so nicht aussehen.

Der SPD-Antrag: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/17E57247B0D6026DC1257C13003B4EA6/$FILE/v-a-470.pdf

Der Verwaltungsstandpunkt:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/DFF9426A73AED5FEC1257C8400269398/$FILE/V-a-470-vsp.pdf

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