Dass im Westen der Stadt derzeit eine mehr oder weniger schleichende Verdrängung von Mietern im Gange ist, ist spätestens seit den Entmietungsversuchen der KSW GmbH in der Holbeinstraße 28 a bekannt. Dort wurde versucht, mit höchst fragwürdigen Methoden die derzeitigen Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen, um hochpreisige Lofts im ehemaligen Elsterwerk zu schaffen. Was im Westen nichts Neues ist, scheint auch im Süden der Stadt keine unbekannte Praxis zu sein.

In einer Pressemitteilung machte die Stadträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel letzte Woche auf verschiedene Wohnobjekte im Leipziger Süden aufmerksam, deren Bewohner entmietet wurden oder denen ein solches Schicksal bevorsteht. Im Fokus steht momentan die Bernhard-Göring-Straße 110, deren Mieter derzeit mit einer Bauplane, die die gesamte Hausfront bedeckt, leben müssen. Der neue Eigentümer der ehemaligen LWB-Immobilie verkauft derzeit bereits die mit neuem Grundriss versehenen Eigentumswohnungen und will offenbar die alten Mieter so schnell wie möglich aus den Wohnungen haben, um das Sanierungsprogramm zu starten. Das sei juristisch fragwürdig, so Nagel.

Der neue Eigentümer, die Deutsche Gesellschaft für Grundbesitz AG (DGG AG), ist Teil der Oliver Bechstein Immobiliengruppe, zu der auch die Gartenstadtgesellschaft Hellgrau AG gehört. Die Immobiliengruppe hat schon viele Projekte in Leipzig realisiert, die im hochpreisigen Segment angesiedelt sind. Auch vor der Fassade der Scharnhorststraße 22 (auch im Besitz der DGG AG) hing 6 Monate eine Bauplane, dann war komplett entmietet. Die neuen Mietpreise liegen laut Exposé der DGG AG bei 8,00 Euro pro Quadratmeter.

Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, so Nagel, dass es sich bei den veräußerten Immobilien um ehemalige LWB-Objekte handelt. “Die LWB, aber auch die Politik, haben verpasst, Schutzmechanismen einzuziehen, zum Beispiel in den Kaufverträgen. Erst auf Antrag der SPD-Stadtratsfraktion wurde im März 2014 eine solche Regelung in den Eigentümerzielen festgeschrieben.” Im Beschluss des Stadtrats heißt es: “Im Falle der Veräußerung bewohnter Gebäude ist immer dann eine Sozialcharta mit dem neuen Eigentümer zu vereinbaren, wenn es sich um Objekte mit einem Wohnbestand ab 8 Wohneinheiten handelt. Sollte die Geschäftsführung bzw. der Aufsichtsrat der LWB den Verkauf eines oder mehrerer Mehrfamilienhäuser mit bestehenden Mietverhältnissen beschließen, so werden die Mieter sofort schriftlich gebeten, binnen eines halben Jahres ein gemeinsames Kaufangebot zu unterbreiten. In einem solchen Schreiben ist auf Beratungsangebote hinzuweisen.”

Da die Immobilien bereits im März 2013 verkauft wurden, hilft diese Regelung den Mietern der Bernhard-Göring-Straße 110 nicht. Die Alt-Mieter können meist den Kaufpreis nicht aufbringen, es helfen also auch keine Ratschläge an diese, doch selbst zu kaufen. Nagel dazu: “Alles in allem wurde das Gros des Verwertungsbestandes bereits verkauft. Im Nachhinein muss nochmals gefragt werden, ob es vertretbar war, so viele bewohnte Häuser zu veräußern.”

Als Möglichkeit, solche Vorgehensweisen zu unterbinden, bleibe nur der moralische Druck, so die Stadträtin der Linken. Wie im Falle der Holbeinstraße 28 a schlägt Nagel ein Mediationsverfahren vor, in dem zwischen Mietern und Eigentümern verhandelt werden soll. Im Falle der Holbeinstraße läuft das Verfahren immer noch.
Es gehe darum, den Investoren klar zu machen, “dass sie hier nicht schalten und walten können wie sie wollen, sondern dass die Stadt ein Auge auf den Umgang mit MieterInnen hat. Die Grünen haben inzwischen einen Antrag ins Verfahren gebracht, der solche Mediation in Form einer Schlichtungsstelle institutionalisieren will. Das finde ich gut”, erklärt Nagel.

Jürgen Kasek von den Grünen kritisiert, dass die Stadt Leipzig dem neuen Eigentümer scheinbar keine Verpflichtungen auferlegt hat, was rechtlich möglich wäre. “Im Übrigen gilt, dass der neue Eigentümer mit allen Rechten und Pflichten in den Mietvertrag eintritt. Der Kauf bricht nicht die Miete. In den vorliegenden Fällen versuchen das die Neueigentümer dadurch zu umgehen, dass mit Entmietung begonnen wird. Da die ordnungsgemäße Kündigung von Wohnraummietverhältnissen nur bei Zerrüttung des Mietverhältnisses, Eigenbedarf oder wirtschaftlicher Verwertung in Betracht kommt, versuchen einige Eigentümer mit unlauteren Methoden, die Mieter loszuwerden. Häufig stellt sich das dann so dar, dass die Mietsituation stark eingeschränkt wird. Die Mieter können sich zwar dagegen wehren. Viele geben aber bereits vorher auf.” Die Verträge hätten demnach beim Verkaufsfall im Vorfeld mit entsprechenden Sozialklauseln versehen werden müssen. Nach dem Verkauf habe die Stadt kaum noch effektive Handlungsmöglichkeiten. Allerdings könne die Stadt die bisherigen Mieter in der juristischen Auseinandersetzung unterstützen.

Für die FDP-Fraktion handelt es sich im vorliegenden Fall um eine “privatrechtliche Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Mieter. Rechte und Pflichten sind gesetzlich geregelt und werden gegebenfalls von ordentlichen Gerichten durchgesetzt”, erklärt der Fraktionsgeschäftsführer der FDP Oliver Dorausch. Hinsichtlich der Tatsache, dass es sich um ein ehemaliges LWB-Objekt handelt, betont er, dass der Eigentumsübergang vor dem Stadtratsbeschluss vollzogen wurde und damit nicht von diesem erfasst wird. Weitere Möglichkeiten zur Unterbindung von Entmietungspraxsen wurden von der FDP-Fraktion nicht kommentiert.

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Die städtische LWB ist derweil guter Hoffnung. Es gäbe, so Pressesprecherin Samira Sachse, mehrere Möglichkeiten, den Beschluss des Stadtrats, nachdem die LWB einen Kernbestand von 36.000 Wohnungen nicht unterschreiten soll, umzusetzen. Vorrangig soll die Erweiterung des Wohnungsbestandes in jenen Stadtbezirken erfolgen, in denen der Anteil der LWB-Wohnungen unter fünf Prozent liegt. Derzeit verfügt die LWB über 35.464 Wohneinheiten. Dabei wird allerdings nicht in marktaktive oder marktinaktive Einheiten unterscheiden, so dass davon auszugehen ist, dass ein unbekannter Teil der Wohnungen nicht bezugsfertig sind.

Eine Möglichkeit der Umsetzung sei der Neubau, so Sachse. Derzeit bereite die LWB ein Projekt am Fuß des Wintergartenhochhauses vor. Dort sollen ab 2016 in zwei Gebäuden Mietwohnungen entstehen. Eine andere Möglichkeit sei der Ankauf von Wohngebäuden. Der Markt werde von der LWB entsprechend sondiert. Und trotzdem werden derzeit elf bebaute und acht unbebaute Grundstücke zum Verkauf angeboten. Von März bis heute gab es nach Informationen der LWB insgesamt 19 Immobilien-Abgänge von zwölf bebauten und sieben unbebauten Grundstücken. Von Ankauf ist hier noch nicht die Rede.

Der Kritik zum Trotz übernehme die LWB, so Sachse, in vielfältiger Weise soziale Verantwortung in Leipzig. “Zum einen hat der Gesellschafter das kommunale Unternehmen beauftragt, 20 Prozent seines Bestandes für sozial Schwache zur Verfügung zu halten. Dies wären mehr als 7.000 Wohneinheiten. Tatsächlich hält die LWB in diesem Segment 11.000 Wohnungen vor, also fast jede dritte Wohnung des Bestandes.”

Auch bei energetischen Sanierungen werde so vorgegangen, dass die Wohnungen unverändert auch für sozial Schwache erschwinglich sind. “Die LWB hat mit der ersten Projektetappe nachgewiesen, dass eine energetische Sanierung bei richtigem Nutzerverhalten nahezu warmmietenneutral stattfinden kann”, erklärt die Pressesprecherin. Ebenso liegt die durchschnittliche Kaltmiete im Gesamtbestand derzeit bei rund 4,90 Euro pro Quadratmeter und damit deutlich unter dem Leipziger Durchschnitt. Neben dem Engagement bei der dezentralen Unterbringung von Asylbewerbern unterstützt die LWB auch Projekte von Selbstnutzern. “Aktuell befindet sich eine Veräußerung in Verhandlung, bei der es um 70 Wohneinheiten geht. Realisiert wurden bislang 37 Projekte”, so Sachse.

Mal wieder alles schön in Leipzig? Wohl eher nicht. Man mag die bösen Investoren und Immobiliengruppen gern für ihr Vorgehen kritisieren – ethisch, moralisch, weltanschaulich. Doch am Ende bedienen sie sich nur der Möglichkeiten, die sie vorfinden. Dem Deregulierungswahn kann nur eine Politik beikommen, die auch lokal mutig genug ist, klare Grenzen und Regeln aufzustellen. Regeln, welche nicht im nächsten Moment wieder unterwandert werden können oder als gut gemeinte Ratschläge keinen Geltungsanspruch entfalten.

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