Wohin zielt das Patenprogramm "Ankommen in Leipzig", das Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) am Freitag, 14. Februar, vorgestellt hat? Wer wird da eigentlich gesucht? - Dass eine Stadtgesellschaft aktiv werden muss, wenn Ausländerfeinde mobilisieren gegen Moscheebauten, Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünfte, ist klar. Und das Patenprogramm ist eine sehr konkrete Form, aktiv zu werden.

Die Erfahrung hat der Flüchtlingsrat Leipzig e. V. nun seit zehn Jahren gesammelt. Er weiß auch, wie hilfreich die Arbeit von Paten ist, die die Brücke schlagen zwischen Kulturen, Erfahrungen, Sprachen und Lebensstilen. “Denn wir alle können uns nicht wirklich vorstellen, welche Erfahrungen die Menschen gemacht haben, die bei uns Asyl suchen”, sagt Sozialbürgermeister Thomas Fabian. “Die meisten von uns können sich auch nicht vorstellen, wie das ist, Flüchtling zu sein.”

Auch die Menschen, die mit zunehmend brutaleren Krisen in der Welt nach Sachsen und Leipzig kommen, sind aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen – haben ihr Heim, ihr Auskommen, ihre sozialen Zusammenhänge komplett verloren. Mit Sack und Pack fliehen sie in ein sicheres Land wie Deutschland – wohl wissend, dass es ein fremdes Land ist. Entsprechend groß sind die Schwierigkeiten und die Vorurteile. “Auch auf Seiten der Asylsuchenden”, sagt Fabian. Denn sie bringen ja jene Informationen mit, die sie in ihren bisherigen Heimatländern bekommen konnten. Sie bringen ihre Sprache mit, ihre religiösen Haltungen und ihre Kenntnisse von Gesellschaft und Politik, die sich oft genug deutlich unterscheiden von dem, was sie in Deutschland vorfinden.

“Aber die meisten wollen ihr Gastland kennen lernen. Sie sind natürlich neugierig und bereit, sich auf das Wagnis einzulassen”, sagt Sonja Brogiato, Vorsitzende des Flüchtlingsrats Leipzig e.V. Auch weil sie alle nicht wissen, wie lange ihr Aufenthalt währen wird. Wie lange dauert der Bürgerkrieg in Syrien? Oder der in Tschetschenien? Wann beschließt die Bundesregierung, einen Krisenfall für beendet zu erklären und fordert die Flüchtlinge auf, wieder heimzukehren? Wann wird aus anderen Gründen die Aufenthaltserlaubnis einfach kassiert? Wie lange müssen es die Asylsuchenden unter dem Damoklesschwert der drohenden Abschiebung aushalten? Welche Ängste stehen sie aus, wenn die BILD-Zeitung wieder eine Kampagne entfacht, die Bundesländer würden zu wenige Asylsuchende abschieben?

Die Flüchtlingsthematik hat immer zwei Seiten: die der Zuflucht Suchenden und die der Gastgeber. Die sich oft schlicht aus Unkenntnis schwer tun mit diesen fremden Gästen. Deswegen hat der Flüchtlingsrat schon vor Jahren ein erstes Patenprogramm gestartet: “Integration durch Bildung” heißt es. Freiwillige Leipziger begleiten dabei schulpflichtige Flüchtlingskinder durch den nicht immer einfachen Schulalltag, der an Sachsens Schulen natürlich reineweg auf deutschsprachige Kinder ohne Behinderungen ausgerichtet ist. Und “ohne Behinderungen” heißt hier: auch ohne Behinderung durch andere gesellschaftliche und soziale Erfahrungen, ohne Kriegstraumata oder hohe sprachliche Hürden. Und die Hürde Sprache ist hoch, wenn die Kinder auch noch aus Ländern kommen, wo das Schulsystem durch Krieg und Bürgerkrieg zusammengebrochen ist.

Die Bildungspaten – und rund 400 hat der Flüchtlingsrat schon gewinnen können – übernehmen natürlich nicht den Part der Lehrer. “Den können wirklich nur professionelle Lehrer ausfüllen”, sagt Sonja Brogiato. Aber sie werden zum sozialen und gesellschaftlichen Begleiter der Kinder, helfen bei der Bewältigung des Alltags, beim Erlernen der deutschen Sprache, beim Entwickeln der hier notwendigen sozialen und kulturellen Kompetenzen.

Jedes Asyl ist ein gewaltiger Lernprozess. Der natürlich leichter zu bewältigen ist, wenn Paten aus der Gastgeberstadt mit dabei sind.Und so ist es auch in dem jetzt neuen Programm “Ankommen in Leipzig”, für das Stadt und Flüchtlingsrat in der nächsten Zeit auch noch gezielt Werbung machen wollen. Das Wichtigste, so Sonja Brogiato, “ist die freundliche Neugier auf Menschen aus anderen Ländern” und die Bereitschaft, ihnen zuzuhören und mit ihnen Zeit und eigene Interessen zu teilen. Die Bereitschaft, eine andere Sprache zu sprechen, kann auch nicht schaden, sagt Martina Kador-Probst, Leiterin des Sozialamtes. Für beide Seiten. Dem Paten erschließt sich so der Zugang in eine andere Kultur – und die Asylsuchenden bekommen leichter Zugang zur deutschen Sprache. Das dauert natürlich. Anfangs behelfen sich Viele mit einer erstaunlich internationalen Gebärdensprache, weiß Sonja Brogiato zu erzählen.

Wichtig aber sei natürlich, dass beide Seiten vorher definieren, welche Interessen sie haben. Jene Freiwilligen, die sich zu einer Patenschaft melden, werden vom Flüchtlingsrat erst einmal zum Beratungsgespräch eingeladen. “So können wir auch gezielt nach den Personen oder Familien suchen, die für diese Paten die geeigneten sind”, sagt Sonja Brogiato. Denn nur wenn beide Seiten gemeinsame Interessen haben, kann auch eine gemeinsame Basis entstehen, auf der dann in vielen Fällen langjährige Paten- und Partnerschaften wachsen.

“Patenschaften sind deshalb auch nicht zeitlich befristet”, so Fabian. Aber sie sind auch nicht immer leicht durchzustehen. Denn eine Bereitschaft sollte jeder Pate mitbringen: die Bereitschaft, zuzuhören und auch auf die Erlebnisse seiner Paten einzugehen. Denn wenn sie aus Krisenregionen kommen, haben sie in der Regel alle dramatische Erlebnisse und Verletzungen hinter sich – und damit sie damit auch in der neuen Heimat zurecht kommen, müssen sie diese nicht nur teilen können. Eine echte Beziehung entsteht auch erst, wenn die Paten verstehen, welche Geschichten die ihnen Anvertrauten mitbringen.

Die ersten Begegnungen werden oft im öffentlichen Raum stattfinden. Es geht um das Kennenlernen der neuen Stadt. Es geht nicht um “Bürokram”. “Darum kümmern sich die Sozialarbeiter, die die Asylsuchenden in den Unterkünften professionell betreuen”, sagt Fabian. Aber es geht um das Schaffen von Sozialkontakten. Denn wenn jemand in einer neuen Gesellschaft Fuß fassen will, braucht er auch das Wissen um die Möglichkeiten. Das ganz alltägliche Wissen der Einheimischen: Wie funktioniert so eine Stadt?

Und: Beide Seiten lernen was. “Das Patenschaftsprogramm funktioniert, weil die Menschen das als persönlichen Gewinn betrachten”, sagt Sonja Brogiato. Denn nicht nur die Betreuten lernen eine Menge Neues, auch die Paten selbst. Denn natürlich bringen auch die Flüchtlinge ihre Kultur, ihre Erfahrungen und ihre Persönlichkeit mit. “Mein eigener Horizont erweitert sich”, sagt Brogiato. Aus eigener Erfahrung. Denn wer sich schon so lange für Flüchtlinge und ihre mögliche Integration in die deutsche Gesellschaft einsetzt, der weiß, wie unterschiedlich und wie reich die Erfahrungen der Menschen sind, die in Leipzig ankommen.

Der weiß aber auch, dass es emotional auch schwer werden kann, denn die deutschen Asylgesetze sind an vielen Stellen rigoros und rücksichtslos. Da werden auch wichtige Beziehungen zerrissen, wenn die Behörden die Ausreise oder Abschiebung anweisen. “Die deutschen Gesetze sind nun leider wie sie sind”, sagt Brogiato zu diesem Thema. Aber die Asylsuchenden in Leipzig wissen ja selbst nicht, wie lange sie Zuflucht bekommen oder brauchen. Oder ob es der bessere Weg ist, vom Tag der Ankunft an die Regeln der Gastgesellschaft zu lernen und alle Schritte zu tun, um sich in die neue Gesellschaft zu integrieren.

Und die Erfahrung zeigt: Die meisten wollen das – trotz aller Restriktionen, die die Gesetzgebung mit den diversen Aufenthaltsrechten verbindet.

Kein leichtes Brot, das sich da freiwillige Paten einholen. Aber wohl eine der aufregendsten Möglichkeiten in Leipzig, sich als Gastgeber einzubringen. Mit etwa 50 Freiwilligen pro Jahr rechnet Brogiato. Eine kleine Unterstützung durch die Stadt gibt es diesmal – denn die bisherige Arbeit des Flüchtlingsrats wurde vor allem durch Spenden finanziert. Die Stadt gibt für ein Jahr 45.000 Euro für das Projekt. “Damit kann bei uns eine feste Stelle bezahlt werden, mit der wir die Beratung dann absichern”, so Brogiato. Mit diesen professionellen Beratern bekommen es dann erst mal alle zu tun, die den Mut (oder die Lust) haben, sich auf eine Patenschaft einzulassen.

Kontakt und Info unter: www.fluechtlingsrat-lpz.org

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