Am 6. November fand im Oberlichtsaal der Leipziger Stadtbibliothek die Leipziger Klimakonferenz statt. Fast schon vergessen. Die Stadt diskutiert über Fahrverbote, S-Bahn, kostenlosen ÖPNV, Kohleausstieg ... Aber das gehört alles dazu. Und es steckt auch in den 55 Maßnahmenvorschlägen, die die Teilnehmer der Konferenz erarbeitet haben. Auch das Ding mit dem fahrscheinlosen ÖPNV. Aber ...

Auf der von der Stadt Leipzig und der Lokalen Agenda 21 veranstalteten Klimakonferenz diskutierten zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger mit der Verwaltung, Stadträten, Unternehmen, Vereinen, Forschungseinrichtungen, Kirchen und Verbänden darüber, welche Maßnahmen im aktuellen Energie- und Klimaschutzprogramm der Stadt Leipzig besonders wichtig sind und stärker vorangetrieben werden müssen.

Das „müssen“ ist schön.

Denn indem man – zufällig ausgewählte – Bürgerinnen und Bürger diskutieren ließ, vermied man die alte (durchaus fruchtbringende) Diskussion profilierter Umweltvereine mit der Verwaltung. Die kennen sich eh schon. Und die Verwaltung wehrt sich gegen die gewachsene Kompetenz der Umweltvereine oft auch durch sture Arbeitsverweigerung.

Was aber mit Bürgern, die man einfach repräsentativ ausgelost hat, so nicht geht. Die bringen eine andere Professionalität mit – nämlich die, als Bürger täglich zu erfahren, wie das in ihrem Umfeld ist und sich auswirkt.

Sie sind zwar – was das Fachliche anbetrifft – erst einmal „inkompetent“. Denn oft braucht es dazu nun einmal echtes Expertenwissen. Aber nicht nur Ute Scheub schildert in ihrem Buch „Demokratie – die Unvollendete“, wie Bürger sich binnen kurzer Zeit auch in komplexe Themen einarbeiten, wenn sie nur gut informiert werden, wenn man ihnen mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet, wenn die Diskussion gut moderiert wird und vor allem die Sichtweisen der Beteiligten auch ernst genommen werden.

Ein auffälliges Ergebnis solcher echten Beteiligungsverfahren ist, dass die ausgewählten Bürger am Beginn der Veranstaltung meist anders abstimmen würden als am Ende, wenn sie kundiger sind und besser einschätzen können, welche Auswirkungen ihre Entscheidung hat.

Deshalb verblüfft es auch nicht, dass die an dieser Konferenz Beteiligten den in der vergangenen Woche so gewaltig hochgejazzten „fahrscheinlosen ÖPNV“ genauso skeptisch betrachten wie die engagierten Umwelt- und Verkehrsverbände.

Unter den 19 Vorschlägen im Themenbereich „Mobilität und Logistik“ kam er durchaus vor. Drüber nachdenken sollte man schon.

Aber jetzt liegt das Bewertungsergebnis aller Teilnehmer vor. Sie haben nämlich alle noch einmal daheim über alle 55 Vorschläge nachdenken können und sie bewerten dürfen.

Und die Leipziger Agenda 21 schätzt selbst ein: „Während in den Bereichen der Strom- und Wärmeversorgung und des energiesparenden Bauens und der Quartiersentwicklung alle Vorschläge mehr oder weniger stark zustimmend bewertet wurden, gab es im Bereich Mobilität und Logistik deutlichere Unterschiede, einige Vorschläge wurden sogar mehrheitlich abgelehnt – insbesondere im Bereich der Finanzierung des ÖPNV.“

Der Vorschlag „Es sollte einen fahrscheinlosen öffentlichen Verkehr in Leipzig geben, der aus Steuermitteln von allen finanziert wird“ landete unter 19 Vorschlägen zum Verkehr mit nur 48 Prozent Zustimmung auf dem vorletzten Platz. Nur ein teureres Touristenticket bekam noch viel weniger Zustimmung.

So eine Auswertung sortiert im Grunde die unterschiedlichsten Vorschläge zum ÖPNV nach ihrer Akzeptanz und Umsetzbarkeit. Was kann eine Stadt wie Leipzig wirklich umsetzen? Und was ist eher nur eine Schnapsidee?

Und keine Überraschung ist, dass die „Qualität des Radwegenetzes“ zwingend verbessert werden sollte und mit 91 Prozent Zustimmung auf Platz 1 landete. Hier hat eine Stadt wie Leipzig große Handlungsspielräume, die Lösungen sind bezahlbar und das Ergebnis würde die Verkehrslage in Leipzig deutlich entspannen.

Auf Platz 2 landete ein Vorschlag, den sich die CDU so konsequent doch nicht zu beantragen traute. Sie hatte ja im Stadtrat beantragt, Radschnellstraßen abseits der Hauptstraßen zu schaffen und den Radverkehr zu verlegen, also doch wieder nur autofahrermäßig gedacht.

Aber die Idee, unabhängig von den Hauptstraßen Fahrradschnellwege zu schaffen, kam bei 85 Prozent der Beteiligten trotzdem gut an. Denn wenn diese Schnellwege existieren, ist ein hoher Zuspruch bei Radfahrern, die die Hauptstraßen gern vermeiden wollen, sicher.

Auf Rang 4 taucht mit 87 Prozent Zustimmung ein etwas weicher Topos auf: „Die Verkehrsangebote für Pendler sollten generell verbessert werden.“

Auch das klingt ja an: Hier geht es indirekt eigentlich um ÖPNV, der für viele Pendler einfach nicht nutzbar ist, weil Stationen, Angebote, Verknüpfungen fehlen (die unter Rang 3 noch einmal extra benannt werden). Man merkt schon, dass sich die Kongressteilnehmer intensiv mit dem ganzen System Verkehr beschäftigt haben. Bevor man da über „kostenlos“ nachdenkt, merkt man erst einmal, dass erst einmal noch vieles im System verbessert werden muss, damit es im Alltag auch funktioniert.

Was zum Beispiel unter Rang 8 mit 81 Prozent Zustimmung noch einmal extra auftaucht: „Der Takt im öffentlichen Verkehr, insbesondere auch bei der S-Bahn, muss erhöht werden (mehr Fahrten pro Tag).“

Oder unter Rang 6 mit 97 Prozent Zustimmung: „Mobilitätskonzepte müssen der flexibler werdenden Arbeitswelt angepasst werden.“

Oder unter Rang 11 mit 74 Prozent Zustimmung: „Die Stadt Leipzig sollte sich das Mobilitätskonzept der Stadt Kopenhagen stärker als Vorbild nehmen.“

Man merkt schon, dass das Thema der Zeit nicht „kostenlos“ heißt, sondern: endlich besser werden. Endlich ein ÖPNV-System schaffen, das den Erfordernissen der heutigen Mobilität auch gerecht wird.

Und wenn es um den Preis geht, tendieren die Kongressteilnehmer mit 67 Prozent Zustimmung zu einer ganz anderen Lösung: „Es sollte ein günstiges Mobilitätsticket für den öffentlichen Verkehr in Leipzig für jedermann geben – unabhängig von der Häufigkeit der Nutzung.“

Dass ÖPNV bezahlt werden muss, ist den meisten selbstverständlich. Aber die Attraktivität wächst schon dann, wenn das Ticket „günstiger“ wird und damit auch die Barriere zum Nutzen des ÖPNV deutlich niedriger.

Und was will die Stadt mit den Vorschlägen machen?

„Die Ergebnisse werden bei der in diesem Jahr beginnenden Fortschreibung des Leipziger Energie- und Klimaschutzprogramm mit verwendet“, schreibt die Agenda 21.

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