Am Radverkehr wird sich Leipzigs Verkehrszukunft entscheiden. Jedenfalls was die nächsten Jahre betrifft. Den Moment, die LVB rechtzeitig fit zu machen für die Aufgabe, die ihr Verwaltung und Stadtrat eigentlich zugeschrieben haben, haben alle Instanzen verpasst. Die für August beschlossene Tarifsteigerung war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Leipziger sind längst dabei, auszusteigen. Umzusteigen aufs Fahrrad.

Das ist zwar in schneereichen Wintern eine Qual, weil es kein städtisches Programm zur Reinigung der Radwege gibt. Aber wo die Entscheider nicht den Mut haben, die notwendigen Projekte dann anzuschieben, wenn sich ihre Notwendigkeit abzeichnet, werden die Bürger gezwungen, sich ihren Weg zu suchen. Denn Mobilität ist keine von Amts wegen gewährte Gnade, sondern eine Notwendigkeit. Wer zur Arbeit oder zur Ausbildung will, muss in einer Stadt wie Leipzig flott von A nach B kommen, wie die LVB-Geschäftsführung nicht müde wird zu erzählen. Die meisten versuchen es noch immer mit dem Automobil. 46 Prozent der in der “Bürgerumfrage 2012” Befragten fuhren mit Pkw oder Krad zur Arbeit. Zwar 3 Prozent weniger als 2011, aber davon profitierten Straßenbahn und Bus nicht.

Auch sie büßten Anteile ein. Die entscheidenden Gremien haben möglicherweise völlig überschätzt, welche Rolle die Fahrpreise des ÖPNV tatsächlich spielen in einer Stadt, in der nach wie vor 31 Prozent der Haushalte weniger als 1.100 Euro Nettoeinkommen im Monat zur Verfügung haben. Das sind zwar 5 Prozent weniger als noch 2008. Aber wie viele Haushalte sind nur knapp über diesem Wert? Als großen Block präsentieren Leipzigs Statistiker die Einkommensgruppe von 1.100 bis 2.300 Euro. In dieser Spanne bewegt sich eigentlich alles von “sehr knapp” bis “ist völlig ausreichend”.

Der Median der Leipziger Einkommen ist 2012 wieder gestiegen – von 1.066 Euro im Jahr 2011 auf 1.135 Euro. Woran das genau lag, kann nun freilich niemand sagen, denn in den Rubriken, die die Befragten auszufüllen hatten, sind Angestellte und Beamte miteinander verquickt. Man kann also nicht erkennen, ob es Einkommenszugewinne in der freien Wirtschaft sind oder die Tarifsteigerungen im Öffentlichen Dienst waren, die hier zu Zuwächsen führten. Vielleicht soll es auch keiner so genau wissen.

Wirklich ganz der freien Wirtschaft zuzurechnen sind tatsächlich nur die Vorarbeiter / Facharbeiter (18 % der Befragten), die freilich auch einen Einkommenszuwachs von 1.117 auf 1.190 zu verzeichnen hatten, und die Selbstständigen. Aber das ist ja bekanntlich eine Kategorie, in der sich seit Jahren alles Mögliche versammelt – vom Firmeninhaber über den Architekten, den Maler, Musiker, Handwerker und Medienmacher bis hin zu all jenen, die in allerlei dubiosen Firmen als “Sub-Unternehmer” des Sub-Unternehmers die gewöhnlichen Facharbeiten ausführten. In Eigenregie. Als wären sie Unternehmer. Viele Arbeitssuchende wurden auch durch das selbstherrliche Gebaren des Leipziger Jobcenters in eine “Not-Selbstständigkeit” gedrängt. Ein Schlupfloch, das 2011 per Gesetz geschlossen wurde. Denn wirklich tragfähige Klein-Unternehmen sind daraus in den seltensten Fällen erwachsen.Die Zahl der Neugründungen in Sachsen ging daher 2012 schon drastisch zurück (um rund 4.000). Und das ist möglicherweise der Grund dafür, dass es bei Selbstständigen in Leipzig nach Jahren des (statistischen) Einkommensverlustes, 2012 wieder einen “Einkommensgewinn” gab. Wahrscheinlich ist es eher so, dass die meisten Selbstständigen mit den Schultern zucken und mit Blick auf ihre Steuererklärung feststellen, dass sich im Vergleich zu den Vorjahren gar nichts geändert hat.

Nur sind augenscheinlich viele dieser “Not”-Selbstständigen 2012 aus der Statistik verschwunden. Und mit ihnen die wahrscheinlich unterirdischen Einkommen, die sie erzielt haben. Im Ergebnis schließen die Einkommen der Leipziger Selbstständigen also wieder da an, wo sie nach 2009 abgebrochen schienen – damals bei 1.316 Euro, 2012 nun bei 1.375 Euro, fast 300 Euro mehr als noch 2011.

Sieht dann alles aus wie eine Einkommenssteigerung an breiter Front. Aber wenn immer noch 31 Prozent der Haushalte unter 1.100 Euro Nettoeinkommen im Monat haben, deutet das eher darauf hin, dass es in den höheren Einkommensbereichen Zuwächse gab, unten bei den Wenigverdienern aber fast nichts.

Was dann bei den Alleinerziehenden, Singles und Rentnern für 2012 eher eine Stagnation der Einkommen bedeutete. Die Einkommenszugewinne verzeichneten vor allem Paare – mit und ohne Kinder. Was eine ganz wesentliche Ursache hat, wenn man die Rentner hier einmal ausnimmt: Bei Paaren mit oder ohne Kinder sind in der Regel beide Partner berufstätig. Und sie bestreiten zu 89 % (Paare ohne Kinder) bzw. 93 % (Paare mit Kindern) ihren Lebensunterhalt mit Erwerbsarbeit.

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Singles und Alleinerziehende sind wesentlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Bei Alleinerziehenden sind es nach wie vor 32 Prozent. Bei Singles sind es 18 Prozent. Was zumindest ahnen lässt, worum es bei der Arbeitsvermittlung im Jobcenter eigentlich gehen müsste. Aber das ist ein eigenes Thema.

Jetzt wäre zwar schön zu wissen, wie speziell sich Singles und Alleinerziehende durch die Stadt bewegen. Aber das bekommen wir dann wohl, wenn die gesamte “Bürgerumfrage 2012” in einem ausführlichen Bericht vorgestellt wird.

Beim Fahrrad bleiben wir aber trotzdem. Fahrrad ist Politik. Aber die Verwaltung glaubt ja nach wie vor an die Wirkung von Faltblättern. Aber darüber reden wir morgen an dieser Stelle.

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