Das eigentlich Spannende zur Entscheidung des Leipziger Stadtrates, das Städtische Klinikum St. Georg mit einem Ausgleich des wahrscheinlichen Jahresfehlbetrages im Haushaltsjahr 2023 mit knapp 38 Millionen Euro zu unterstützen, wurde schon in den Abendstunden des 24. April diskutiert. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch wenn dann mindestens ein Ratsmitglied hinterher nichts Eiligeres zu tun hatte, als öffentlich aus der Diskussion zu plaudern und die Medien zu informieren. Man ist ja im Wahlkampf.

Da scheint manchen Akteuren wirklich jedes Mittel recht, die eigene Position öffentlich zu lancieren, auch wenn die Position nicht begründet ist.

Und auch wenn man als Zeitung gern selbst dabei gesessen hätte. Auch um zu erfahren, warum das St. Georg tatsächlich mit einem so enormen Fehlbetrag aus dem Jahr 2023 gegangen ist, wo das Haus nicht nur bis 2019 – wie in der Diskussion mehrfach benannt – sondern sogar bis 2021 schwarze Zahlen schrieb und 2021 sogar einen Gewinn von über 500.000 Euro verbuchte. Erst 2022 stand ein Minus von 100.000 Euro in den Büchern, was das Haus noch verkraftete.

Aber schon 2022 warnte OBM Burkhard Jung nach eigener Aussage, dass das so nicht bleiben würde, dass alle Kliniken in Deutschland (außer die wenigen, die sich auf lukrative Spezialbehandlungen spezialisiert haben) tief in die Roten Zahlen rutschen würden, allein schon aufgrund der gestiegenen Enregie- und Produktpreise und natürlich auch der höheren Tarifabschlüsse.

In der Ratsversammlung am 25. April erinnerte er ganz zuletzt daran, nachdem die Debatte um die „Sicherstellung der finanziellen Leistungs- und Investitionsfähigkeit der Klinikum St. Georg gGmbH“ doch wieder entgleist war.

Eine Kreditlinie ist noch kein aufgenommener Kredit

Auch aus völliger Unkenntnis der Materie, wie FDP-Stadtrat Sven Morlok auch bei diesem Thema dem Redner der AfD-Fraktion – diesmal Tobias Keller – attestieren konnte. Denn der hatte ganz offensichtlich ein Problem damit, einen Kredit von einer Kreditlinie zu unterscheiden. Was nicht ganz unwichtig ist, wenn man die in der Vorlage aufgerufenen Summen addiert. Was man nicht wirklich machen sollte, was manche Medien aber getan haben.

Denn wirklich aus dem aktuellen Haushalt fließen erst einmal die voraussichtlich 37,694 Millionen Euro zum Ausgleich des Fehlbetrages von 2023. Was dringend war, denn ohne diesen Ausgleich hätte das St. Georg Insolvenz anmelden müssen. Und genau das wollte keine der anwesenden Fraktionen.

100 Millionen Euro gewährte der Stadtrat mit der am 25. April abgestimmten Vorlage als zusätzliche Kreditlinie zu den schon 2023 gewährten 100 Millionen Euro, die die Stadt bis zu 31. Dezember 2027 gewährt hatte. Die Gesamtlaufzeit der Kreditlinie über nun 200 Millionen Euro läuft nun bis zum 31. Dezember 2029.

Das Geld kommt nicht direkt aus dem Haushalt der Stadt, sondern wird von der Stadt am freien Kreditmarkt aufgenommen, wie man der Vorlage entnehmen kann: „Die Ratsversammlung nimmt zur Kenntnis, dass die Gesamtsumme der Gesellschafterkreditlinie am Kapitalmarkt als Kassenkredit gem. § 84 Abs. 2 SächsGemO refinanziert wird.“

Herr Claus-Uwe Rothkegel (CDU) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer
Claus-Uwe Rothkegel (CDU) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer

Und die Krankenhaus-Geschäftsleitung ist gut beraten, tatsächlich nur die Gelder abzurufen, die tatsächlich gebraucht werden, den Kreditrahmen überhaupt also möglichst nicht auszuschöpfen.

CDU kann nicht ohne Personaldebatte

Womit man bei der Geschäftsleitung wäre, die am 25. April überhaupt nicht zur Disposition stand. Und trotzdem brachten es Claus Uwe Rothkegel und Michael Weickert von der CDU-Fraktion fertig, genau dieses Thema wieder in Rede zu heben und eine schlechte Verwaltung des Klinikums zu suggerieren. Ganz offensichtlich auch, um vom Versagen auf anderen politischen Ebenen abzulenken. Bis hin zu Rothkegels Behauptung, er glaube nicht, dass 70 Prozent der sächsischen Krankenhäuser Rote Zahlen schreiben.

Was sie aber nach einschlägigen Meldungen diverser Medien tun. Denn genau das hat die Sächsische Krankenhausgesellschaft gemeldet.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte schon im März 2023 gewarnt, dass das „Gesamtdefizit, das die Krankenhäuser infolge der Inflationskrise kontinuierlich ansammeln“, schon monatlich in den Milliardenbereich gehe. Der Grund sind ganz simpel die zusätzlichen Inflationskosten, die den Krankenhäusern bis heute nicht erstattet werden.

Frau Katharina Krefft (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer
Katharina Krefft (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer

„Wir haben ein gravierendes strukturelles Problem“, sagte Burkhard Jung, der Rothkegels Aussagen gleich mal mit Zahlen diverser Krankenhäuser aus Dessau und Köln konterkarierte, die noch viel tiefer in die roten Zahlen gerutscht sind. Und daran war weder Corona schuld (wie AfD-Stadtrat Tobias Keller suggerierte), noch die schlechte Arbeit der Geschäftsführung, die ja das gesamte Krankenhaus gerade umkrempeln muss, um es zukunftsfähig zu machen. Entsprechend aufwändige Bauarbeiten laufen derzeit und müssen finanziert werden.

Das riesige Loch bei den Betriebskosten

Während das Minus direkt im laufenden Betrieb entsteht, weil die Betriebskosten aus dem Ruder laufen. Und das weiß auch die Bundesregierung seit zwei Jahren. „Wir waren mehrmals bei Herrn Lindner vorstellig“, sagte Jung in Bezug auf seine Arbeit im Präsidium des Deutschen Städtetages. „Wir waren bei Herrn Lauterbach.“

Aber Christian Lindner (FDP), der aktuelle Finanzminister, will mitten in der Krise lieber den Bundeshaushalt zusammenstreichen und die Krankenhausreform „kostenneutral“ abwickeln. Das heißt: Mit demselben Geld, das hinten und vorne nicht reicht, den Laden retten.

Was natürlich nur funktionieren kann, wenn die Länder mehr Geld in die Krankenhäuser stecken. Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (CDU) beißt sich am Bundesrat die Zähne aus – dort blockieren die konservativen Parteien und nutzen damit den Hebel rücksichtslos, um die Gestaltungsspielräume der Bundesregierung noch weiter zu beschneiden.

Herr Christian Schulze (SPD) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer
Christian Schulze (SPD) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer

Darunter leiden am Ende die Patienten, die Pfleger/-innen und Ärzt/-innen. Und natürlich die Kommunen, die jetzt mit Millionenbeträgen ihre Krankenhäuser retten müssen, damit diese nicht in Insolvenz gehen. Und Sören Pellmann, Fraktionsvorsitzender der Linken, wies zurecht darauf hin, dass der Freistaat Sachsen – anders als von Claus Uwe Rothkegel behauptet – keineswegs vorbildlich vorweg geht, um die Kliniken im Land zu stützen.

Oder mit den Worten von SPD-Stadtrat Christian Schulze, der die Sache ähnlich nüchtern betrachtete wie die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Kreft: „Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen stellen eine Herausforderung für viele Kliniken dar. Das Klinikum St. Georg ist hierbei keine Ausnahme. Um die bestmögliche medizinische Versorgung in Leipzig weiterhin zu gewährleisten, müssen wir das Klinikum finanziell zu unterstützen.

Eine solide Finanzierungsbasis ist für alle deutschen Krankenhäuser notwendig. Mit Blick darauf, dass die geplante Krankenhausreform gerade den Fokus auf Maximalversorger wie das St. Georg legen soll, bietet diese Reform die Chance, die Finanzlage mittelfristig effektiv zu verbessern.

Dazu gehören die geplanten Vorhaltepauschalen, die eine Art Existenzgarantie sein soll, die Erhöhung der Landesbasisfallwerte, um die finanzielle Belastung der Krankenhäuser zu verringern, und die Refinanzierung von Tariflohnsteigerungen. Es muss allerdings zügig gehen, denn je länger es dauert, desto dünner wird die Luft.“

Die Strukturen müssen trotzdem modernisiert werden

Dass an den gewachsenen Strukturen im Krankenhaus St. Georg gearbeitet werden müsse, sieht auch Burkhard Jung so. Er wies aber wie Pellmann auch darauf hin, dass das Krankenhaus sich gerade in der Corona-Zeit mit exzellenter Arbeit bewährt habe.

Wobei er trotzdem seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass Bund und Länder alsbald eine Lösung für die Krankenhausmisere finden. Sonst werden in Deutschland reihenweise auch die voll funktionsfähigen Krankenhäuser, die für die Grundversorgung unersetzlich sind, insolvent gehen. Und das in einem der reichsten Länder der Erde. Das ist wirklich ein Armutszeugnis.

Rothkegel äußerte auch die Befürchtung, das Städtische Klinikum könnte fortan zu einem „Fass ohne Boden“ werden, die Stadt müsste dann also regelmäßig gewaltige Millionensummen zuschießen, um die Löcher zu stopfen.

Herr Tobias Keller (AfD) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer
Tobias Keller (AfD) im Leipziger Stadtrat am 25.04.24. Foto: Jan Kaefer

Genau das kann passieren, wenn Bund und Länder ihre parteilichen Animositäten weiterhin auf dem Rücken der Kommunen austragen und keine sinnvolle Krankenhausreform hinbekommen. Und daran haben nun einmal auch etliche CDU-Ministerpräsidenten ihre Aktie.

Was bleibt?

Der völlig verpeilte Änderungsantrag der AfD-Fraktion, den Kreditrahmen für das St. Georg um 50 Millionen Euro zu kürzen, wurde gegen die Stimmen der AfD von der Ratsversammlung abgelehnt.

Und – welch eine Überraschung nach den gehörten Streitereien – alle 59 anwesenden Ratsmitglieder stimmten dem Rettungspaket zu. Ohne Gegenstimme.

Und nun der Perspektivschwenk zur Krankenhausleitung.

Was sagt die Leitung des St. Georg dazu?

Geschäftsführerin und Sprecherin der Klinikum St. Georg gGmbH, Dr. Iris Minde, sagte nach der Entscheidung des Stadtrates: „Der Ratsbeschluss zur erweiterten Unterstützung des Klinikums St. Georg sichert den Krankenhausbetrieb ab und gibt uns die nötige Überbrückungshilfe für die Zeit, die wir für die Sanierung benötigen. Wir sind der Stadt Leipzig dankbar für das Vertrauen in unsere Pläne. Damit das Klinikum zukünftig wirtschaftlich tragfähig wird, müssen wir lang überfällige Modernisierungen und Prozessoptimierungen in Rekordzeit schultern. Nur so können wir einen wettbewerbsfähigen Standort unter den bislang schwer abschätzbaren Veränderungen der Krankenhausreform aufbauen.“

Claudia Pfefferle, ebenfalls Geschäftsführerin der Klinikum St. Georg gGmbH und Arbeitsdirektorin, ergänzte: „Der Ratsbeschluss gibt unseren Beschäftigten Sicherheit und Orientierung und erkennt die Leistungen unserer Mitarbeitenden an. Damit kann unser Klinikum den wichtigen Versorgungsauftrag für die Menschen in der Region weiterhin verantwortungsvoll erfüllen.“

Dr. Iris Minde, Foto: K-St.-G.
Frau Dr. Iris Minde, Foto: K-St.-G.

Mit seinen Problemen sieht sich das St. Georg ganz und gar nicht allein auf weiter Flur: Aufgrund der anhaltenden Corona-Nachwehen, der hohen Inflation sowie steigenden Kosten für Energie, Material und Personaltarife hat die Klinikum St. Georg gGmbH wie der Großteil der Krankenhäuser in Deutschland mit wachsendem Wirtschaftsdruck zu kämpfen.

So schreiben etwa 80 Prozent der Krankenhäuser bundesweit rote Zahlen, jedes dritte ist insolvenzgefährdet. Insbesondere die im System nicht auskömmlich refinanzierten Betriebskosten verschärfen die Situation.

„Unser Klinikum steht, wie viele andere auch, vor enormen finanziellen Herausforderungen. Der Jahresabschluss 2023 zeigt deutlich, dass auch wir weitere Unterstützungsleistungen benötigen. Wir werden die uns zusätzlich gewährten Mittel mit Bedacht und Weitblick einsetzen, um unsere Verantwortung für die Versorgung der Region bestmöglich zu erfüllen“, erklärte Dr. Iris Minde.

Neben den allgemeinen Branchenherausforderungen hat die Klinikum St. Georg gGmbH mit der Neuaufstellung der gesamten Infrastruktur und der Lösung von Altlasten aber auch noch komplexe zusätzliche Aufgaben zu bewältigen, die weitere Hintergründe für die angespannte finanzielle Lage bilden.

So verursachen beispielsweise die alten Liegenschaften überproportional hohe Betriebskosten und lange Investitionsstaus zwingen das Klinikum, gleich mehrere große Investitionstätigkeiten auf einmal nachzuholen. Das kostet viel Geld – und die steigende Baupreise machen diese Modernisierungen noch teurer.

Die Klinikum St. Georg gGmbH plant, ihren Neubau bis zum Jahr 2028 fertigzustellen. Ziel ist es aus Sicht der Geschäftsführung, in diesem Zuge auch Schritt für Schritt Restrukturierungsmaßnahmen umzusetzen. Durch effizienteres Belegungsmanagement, dem Ausbau ambulanter Strukturen, der Konzentration und Kapazitätsanpassung medizinischer Bereiche sowie der Stärkung digitaler Lösungen will das Klinikum sich neu und wirtschaftlich zukunftsfähig aufstellen.

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