Zumindest statistisch und was die Kinder in "Hartz IV"-Haushalten betrifft, ist Leipzig nicht mehr die Armutshauptstadt. Auch wenn der Verlust dieses Titels in dieser Kategorie nicht bedeutet, dass sich die Lage in Leipzig entspannt hätte. Ein Teil des Problems ist nur aus dem Fokus dieser Statistik verschwunden. Das Problem bleibt, deutschlandweit, und es betrifft zunehmend Großstädte in Westdeutschland, stellt Paul M. Schröder fest.

Er hat eine neue Auswertung der Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vorgelegt und die Zahlen von Unter-15-Jährigen in “Hartz IV”-Haushalten in Kreisen und Kreisfreien Städten in Deutschland seit 2007 ausgewertet. Dass diese Zahlen nicht die komplette Übersicht liefern über die Lebensumstände vieler Kinder, betont Paul. M. Schröder extra, die die Auswertung für das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) vorgenommen hat.

“Im Dezember 2012 lebten in der Bundesrepublik Deutschland 1,603 Millionen Kinder im Alter von unter 15 Jahren in sog. SGB II-Bedarfsgemeinschaften (Hartz IV). Dies waren etwa 11.000 (0,7 Prozent) weniger als ein Jahr zuvor und 251.000 (13,5 Prozent) weniger als Ende 2007. Die wesentlichen Gründe für die Veränderung im Beobachtungszeitraum Ende 2007 bis Ende 2012, ohne Wertung: mehr erwerbstätige Eltern, weniger Kinder, gesetzliche Änderungen (u.a. Kinderzuschlag, Anrechnung von Elterngeld). Gleichzeitig ist die Zahl der Kinder gestiegen, deren Eltern nicht leistungsberechtigt im Sinne des SGB II sind, aber in finanziellen Verhältnissen leben, die in etwa dem Hartz IV-Niveau entsprechen.”

Die nackten Zahlen: Bezogen auf die insgesamt 10,832 Millionen Kinder im Alter von unter 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, lebten im Dezember 2012 14,8 Prozent der Kinder (148 von 1.000 Kindern) in SGB II-Bedarfsgemeinschaften. In Ostdeutschland betrug diese Quote im Dezember 2012 24,0 Prozent (von 1,904 Millionen Kindern) und in Westdeutschland 12,8 Prozent (von 8,928 Millionen).

Fünf Jahre zuvor (Dezember 2007) lebten in der Bundesrepublik Deutschland, bezogen auf die damals 11,282 Millionen Kinder im Alter von unter 15 Jahren, 16,4 Prozent dieser Kinder in SGB II-Bedarfsgemeinschaften. In Ostdeutschland betrug diese Quote im Dezember 2007 29,8 Prozent (von 1,787 Millionen) und in Westdeutschland 13,9 Prozent (von 9,495 Millionen).

Der Anteil der Kinder, deren Mütter und/oder Väter auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren, reichte im Dezember 2012 in den 16 Ländern von 33,6 Prozent in Berlin (Rang 1 im Negativ-Ranking) und 30,0 Prozent in Bremen (Rang 2) bis 7,9 Prozent in Baden-Württemberg (Rang 15) und 6,7 Prozent in Bayern (Rang 16). Was dann den Fokus schon einmal auf die Großstädte lenkt, die von dieser Quote besonders betroffen sind – auch weil sie in Deutschland überall die eigentlichen Integrationsmotoren sind. Eine Leistung, die in der Regel von der Politik nicht wahrgenommen und auch kaum finanziell gewürdigt wird.

Das westdeutsche Flächenland mit den relativ meisten Kindern in “Hartz IV-Haushalten” war im Dezember 2012 mit 17,6 Prozent weiterhin Nordrhein-Westfalen, vor dem Saarland mit einer Hilfequote von 15,7 Prozent. Nordrhein-Westfalen ist zugleich das Land in dem die Hilfequote im Vergleich zur Hilfequote im Dezember 2007 um lediglich 0,3 Prozentpunkte (von 17,9 auf 17,6 Prozent) deutlich weniger gesunken ist als in allen anderen Ländern. Die höchste Dezember-Hilfequote wurde in Nordrhein-Westfalen, anders als in allen anderen Ländern, im Dezember 2010 ermittelt, 18,1 Prozent.Der Anteil der Kinder im Alter von unter 15 Jahren, deren Mütter und/oder Väter auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren, reichte im Dezember 2012 in den 402 Kreisen von 35,1 Prozent in der Stadt Bremerhaven (HB), 35,0 Prozent in der Stadt Gelsenkirchen (NW), 33,8 Prozent in der Stadt Halle/Saale (ST), 33,6 Prozent in Berlin (BE), 33,1 Prozent in der Stadt Offenbach am Main (HE), 33,0 Prozent in der Stadt Frankfurt/Oder (BB), 31,3 Prozent in der Stadt Brandenburg an der Havel (BB) und in der Stadt Schwerin (MV), 31,1 Prozent in der Stadt Wilhelmshaven (NI) und 30,9 Prozent in der Stadt Essen (NW) bis 1,9 Prozent in den Landkreisen Unterallgäu (BY) und Pfaffenhofen an der Ilm (BY) und 1,8 Prozent im Landkreis Eichstätt (BY).

Und während der bundesweite Prozentsatz sank, ist er in einigen Kreisen sogar gestiegen: Für 45 Kreise wurde im Dezember 2012 eine höhere Hilfequote ermittelt als im Dezember 2007: 19 Kreise in Nordrhein-Westfalen, darunter die Städte Gelsenkirchen, Essen, Mönchengladbach, Wuppertal, Oberhausen, Mülheim an der Ruhr, Bochum, Hamm, Bottrop, Remscheid und Leverkusen, 7 Kreise in Hessen, darunter in der Stadt Wiesbaden, jeweils 5 Kreise in Bayern, in Rheinland-Pfalz, darunter in der Stadt Ludwigshafen am Rhein, und in Baden-Württemberg, darunter in der Stadt Pforzheim, drei Kreise in Niedersachsen, darunter die Städte Wilhelmshaven und Osnabrück, und ein Kreis in Schleswig-Holstein.

In den 15 Großstädten mit mehr als 400.000 Einwohner/innen (einschließlich der Region Hannover) lebten im Dezember 2012 insgesamt 442.141 Kinder im Alter von unter 15 Jahren, deren Mütter und/oder Väter auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren. Dies waren 27,6 Prozent aller 1,603 Millionen Kinder in SGB II-Bedarfgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Der Anteil der Großstädte an den Kindern in SGB II-Bedarfsgemeinschaften ist damit weiter gestiegen. Von den 10,832 Millionen Kindern im Alter von unter 15 Jahren insgesamt (Ende 2011) lebten 16,9 Prozent (1,832 Millionen) in den 15 Großstädten (einschließlich Region Hannover). Ende 2007 betrug der Großstadtanteil an den Kindern insgesamt 15,7 Prozent.

Was aber ebenso deutlich macht: Auch der Anteil der Kinder, die in Großstädten lebten, ist gestiegen, allerdings langsamer als der Anteil der Kinder, deren Mütter und/oder Väter auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren. Unter den 15 Großstädten ist Leipzig nicht mehr die Nummer 2, die es einige Jahre lang gleich hinter Berlin war. 2007 lag die Quote der Kinder, die in “Hartz IV”-Haushalten lebten, in Leipzig noch bei 36,2 Prozent (Berlin: 37,1 Prozent). Seitdem ist sie auf 27,9 Prozent gesunken. Berlin führt die Tabelle zwar mit 33,6 Prozent noch an, aber dahinter reihen sich mittlerweile Essen mit 30,9 Prozent, Bremen mit 28,9 Prozent und Dortmund mit 28,2 Prozent ein. Dresden hat diesen Prozentsatz von 24,7 auf 18,8 Prozent drücken können. Günstigere Quoten haben nur noch die Großstädte Stuttgart mit 13,3 Prozent und München mit 11,7 Prozent.

Die 27,9 Prozent bedeuten für Leipzig 17.320 Kinder in “Hartz-IV”-Familien. 2007 waren es noch 18.881. Im Landkreis Leipzig waren 2012 noch 5.456 Kinder betroffen (17,4 Prozent), im Landkreis Nordsachsen waren es 4.991 Kinder (21,1 Prozent).

Im benachbarten Halle ist der Anteil der betroffenen Kinder anfangs deutlich gesunken, von 40,3 Prozent auf 30,7 Prozent im Jahr 2009. Aber seitdem sind die Zahlen dort wieder deutlich angestiegen auf die oben genannten 33,8 Prozent.

Aber die Statistik macht auch deutlich, dass nicht nur die Rolle als Großstadt ins Gewicht fällt, sondern auch das Angebotsniveau des jeweiligen Bundeslandes an belastbaren Einkommen.

Das Ergebnis: Erwartbar führen zwar zwei Stadtstaaten das Negativ-Ranking der Bundesländer an: Berlin mit 33,6 und Bremen mit 30,0 Prozent. Und dahinter reihen sich dann – was auch zu erwarten war – die fünf ostdeutschen Flächenländer ein. In dieser Reihenfolge:

Sachsen-Anhalt 26,1 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern 24,2 Prozent und dann – nachdem sich noch der Stadtstaat Hamburg dazwischen geschoben hat (20,8 Prozent) – kommt Sachsen mit 19,8 Prozent. Etwas besser stehen noch Brandenburg mit 19,6 und Thüringen mit 18,2 Prozent da.

Die Auswertung des BIAJ: www.biaj.de/images/stories/2013-04-25_sgb2-kinder-122012rev.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar