Leipzig ist ein Widerspruch. Das bringen selbst die seltsamen Rankings zum Ausdruck, die das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) regelmäßig veröffentlicht. Es sind Niveau- und Dynamik-Rankings. Und seit das IW sie macht, lautet die Botschaft jedes Mal: Wer reich ist in Deutschland, bleibt reicht. Da hilft selbst den Aufsteigern im Osten kein hübsches Lorbeerblatt in der Dynamik.

Denn darüber, ob eine Region Investitionen, Ansiedlungen, Forschungserfolge und Patente hat, entscheidet in Deutschland einzig und allein das Geld. “Mia san mia”, betitelt das IW sein neuestes Ranking. Es hätte auch drüber schreiben können: “Wer hat, der hat.”

Das nüchterne Ergebnis: “Fast 90 der 100 besten deutschen Regionen liegen in Bayern und Baden-Württemberg.”

Natürlich kann man auch hier wieder die Methode hinterfragen, die immer wieder auf pekuniären Reichtum in den 402 analysierten Kreisen abzielt, auch wenn die drei Kriterien nach objektiven Standards klingen: Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt, Lebensqualität. Dafür haben die IW-Leute Noten verteilt von 1 bis 6. Was schon fragwürdig genug ist. So mager der wirtschaftliche Besatz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sein mag – hier für den Arbeitsmarkt eine 5,3 als Note zu vergeben grenzt schon an Unverschämtheit. Ein ostdeutscher Landkreis, der sich auf eine Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent heruntergearbeitet hat, kann keine “ungenügende” Wirtschaftsbesetzung haben, auch wenn sie vielleicht nicht ausreichend ist.

Natürlich steckt in der IW-Bewertung die ganze klassische Sichtweise auf eine industrielle Wirtschaft, die zwangsläufig ein Bild ergibt, das Industriestandorte bevorzugt und Transformationsregionen als problematisch betrachtet.

“Der Arbeitsmarkt hat den bedeutendsten Einfluss auf den Erfolg von Regionen. Deshalb wird dieser Bereich mit einem Wert von 50 Prozent gewichtet. Der Bereich Wirtschaftsstruktur geht mit einem Gewicht von 33 Prozent und der Bereich Lebensqualität mit 17 Prozent in das Ranking ein”, so die IW-Consult-Leute in ihrer Erklärung. Im Detail wird es noch fragwürdiger, da werden dann Indikatoren wie Schulabgänger ohne Abschluss, Patentanmeldungen oder Arbeitsplatzversorgung besonders stark gewichtet. Arbeitsplatzversorgung ist gerade in Nicht-Industrie-Regionen ein ganz heißes Eisen, gerade dann, wenn sich der Blick der Ranking-Ersteller auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte fokussiert. Und der Rest? All die Mittelständler, Handwerker, Freiberufler?

Die IW-Rankings beschreiben natürlich ein geteiltes Land. Ein Land, in dem die wichtigsten Industriebetriebe sich mittlerweile in den beiden südlichen Bundesländern ballen und dort nicht nur für niedrige Arbeitslosigkeit, mangelnden Wohnraum und hohe Stundenlöhne sorgen, sondern auch aus allen anderen Bundesländern hochqualifizierte Fachkräfte absaugen. Und es verzerrt den Blick der Politik auf das, was Arbeit ist und welche Rahmenbedingungen eigentlich Transformationsregionen brauchen. Das hat der Osten in den vergangenen 20 Jahren frustrierend erlebt. Jetzt erlebt es auch der Ruhrpott. Die Städte und Kreise rauschen in den IW-Rankings ab. Auch weil das, was sie selbst in wichtige Zukunftsgüter investieren, nicht honoriert wird – Bildung, Forschung, Jugend.
Da passiert es dann auch, dass selbst relativ erfolgreiche Regionen im Osten, die zeigen, wie man sich mühsam und ohne reichen Onkel aus dem tiefsten Tal der Tränen arbeitet, nicht nur im Niveauranking unten im Keller bleiben, weil die Standardlöhne partout nicht auf bayerisches Niveau zu bekommen sind. Sie rauschen auch im Niveauranking irgendwann nach unten, weil das, was in den vergangenen Jahren hart erarbeitet wurde, nun auf einmal Standard ist, also keine “besondere Leistung” mehr.

Und es überrascht dann eben nicht, dass die IW-Leute dann so tun, als seien sie verblüfft, das ausgerechnet die deutschen Autostädte im Ranking an der Spitze landen. Sie haben doch genau die Art Wirtschaft, die deutsche Autobauer bevorzugen, mit Bestnoten ausgezeichnet. Die Wolfsburger werden Tränen gelacht haben, dass ausgerechnet ihr Städtchen ganz vorn landet – und zwar auch noch mit einer “1” für Lebensqualität. Die Deutschen müssten wie besoffen sein, schnellstmöglich nach Wolfsburg umziehen zu wollen. Oder Ingolstadt. Oder Kassel, Städte, die in anderen Rankings, die wirklich Faktoren für Lebensqualität bewerten, nie dort auftauchen. Wirklich: nie.

Und dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld für die Lebensqualität dann eine “5,3” zu verpassen, das ist schon bewusste Irreführung. Aber aus Kölner Sicht muss wohl der ganze Osten sehr seltsam sein. Da ist ein Rang 393 für Anhalt-Bitterfeld nicht einmal die Ausnahme. Nordsachsen wird auf 387 einsortiert mit einer Arbeitsmarktnote von “6,0”, als würden dort griechische oder spanische Zustände herrschen. Tun sie aber nicht. Auch weil eine Region nicht an Kreisgrenzen endet. Aber die Stadt Leipzig kommt nach dem Maßstäben der Kölner Zahlenfuchser nicht besser weg: Rang 377 bei 402 verglichenen Kreisen und für eine Wirtschaftsstruktur, die jedes Jahr rund 6.000 neue Arbeitsplätze schafft, eine Note “5,0”. Das ist ein Punkt, an dem die IW-Leute auch aus den Geschäftsleitungen von Porsche und BMW eine anwaltliche Abmahnung bekommen sollten. Das ist schon geschäftsschädigend. Zumindest rufschädigend.

Für die Stadt Leipzig übrigens auch, die ja nun jeden Kotau vollzieht, um auch nur irgendwie Ansiedlungen und Arbeitsplätze zu holen – und das auch schafft. Die Arbeitslosenquote wurde binnen drei Jahren von 14 auf 11 Prozent gedrückt. Und die IW-Leute rücken dennoch nur eine arrogante “6,0” raus für den Arbeitsmarkt. Wirtschaftsstruktur “5,0”, Lebensqualität gar nur eine “4,3”.

Die reine Industrie-Fixierung führt ganz zwangsläufig zu irrationalen Bewertungen. “Das Ranking zeigt generell, dass Regionen mit einer überdurchschnittlich hohen Industriedichte erfolgreicher sind als andere. Industrieunternehmen können im Durchschnitt aufgrund ihrer größeren Produktivität höhere Löhne als Dienstleistungsunternehmen zahlen. Dies erhöht wiederum den Wohlstand der Region. Während die nominale Bruttowertschöpfung je Stunde in der Industrie 51 Euro im Jahr 2013 betrug, lag sie in der Gesamtwirtschaft bei nur 42 Euro”, schreiben die IW-Spezies in ihrer Auswertung, die im Grunde ein Kreisschluss ist: Man bewertet erst industrietypische Indikatoren besser und stellt dann fest, dass Industrieregionen besser wegkommen. Wissenschaftlich ist daran nichts. Und mit Lebensqualität meinen die Ranking-Macher eben nicht Lebensqualität, sondern Wohlstand. Und das auch nur im pekuniären Sinn: als Kauf- und Konsumkraft. Alles andere spielt gar keine Rolle.

Das Problem ist nur, dass die großen industriellen Lobby-Verbände die Zahlen dieses Instituts immer wieder auch in der politischen Diskussion verwenden und damit immer wieder dafür sorgen, dass deutsche Wirtschaftspolitik vor allem Politik für die großen Industriekonglomerate in Bayern und Baden-Württemberg ist. Was auch dafür sorgt, dass auch öffentliche Gelder immer wieder in diese Ballungsräume fließen – angefangen bei Exzellenzinitiativen, Forschungsgeldern, Infrastrukturgeldern bis hin zu Subventionen oder Steuer- und Abgabenbefreiungen. Da werden jedes Jahr Milliarden umverteilt. Immer mit der Begründung, das sei notwendig für den Wirtschaftsstandort Deutschland, auch wenn damit eh schon gut gefütterte Wirtschaftsstandorte in Deutschland immer weiter gepäppelt werden. Der Rest schaut in die Röhre und muss sich mit Krümeln vom Tisch der Erfolgreichen begnügen, obwohl von dort jedes Jahr Ressourcen abfließen hin zu den starken Industrieregionen – vor allem gut ausgebildete junge Leute, die in Anhalt-Bitterfeld oder Leipzig nicht den hochdotierten Job finden, den sie für ihre Qualifikation suchen.

Aber diese innerdeutschen Ressourcenströme blenden die Ranking-Macher aus Köln immer wieder aus. Schreiben dann lieber wieder die alten Binsenweisheiten hin: “Mit dem Wegbruch der relativ monostrukturierten industriellen Basis gingen Wohlstandsverluste und eine relativ hohe Arbeitslosigkeit einher. Im Osten Deutschlands zeigt sich, bis auf die beiden Ausnahmen Potsdam und Jena, dass noch größere Abstände zum Erfolgsniveau in Westdeutschland bestehen.”

Was auch heißt: Aus dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie haben die Großkopferten im Land noch immer nichts gelernt. Jetzt schauen sie in aller Ruhe zu, wie dasselbe im Ruhrgebiet passiert.

Zur Beruhigung: Nach ihrem Ranking kommt auch Köln bei der Lebensqualität nur auf eine “4,3”. Vielleicht ziehen die Kölner jetzt alle nach Wolfsburg, wo es so schön ist.

Direkt zum neuen Kölner Zahlensalat:

www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/regionalranking-2014-mia-san-mia-148208
Die Erklärungen zum gewählten Notensystem als PDF zum download.

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