Seit Leipzig wieder an Bevölkerung gewinnt, interessieren sich die Statistiker und Stadtplaner natürlich verstärkt dafür, wohin die neuen Leipziger denn nun ziehen. Die Stadtplaner interessieren sich auch deshalb dafür, weil sie damit die Frage beantwortet bekommen möchten, ob ihre Stadtsanierungsprogramme funktionieren. Etwa in den lange Jahre vernachlässigten Magistralen.

20 Jahr lang waren die alten Hauptstraßen der Leipziger Ortsteile die Aschenputtel in den Sanierungsprogrammen. Hier wollten immer weniger Leipziger wohnen, war es zu laut, zu dreckig, die Versorgungsstrukturen gingen pleite, die Häuser blieben unsaniert, weil sich die privaten Investoren lieber erst einmal um ruhige Quartiere und Seitenstraßen kümmerten. Es hat tatsächlich zehn Jahre gedauert, bis die Stadt – nachdem sie schon jeden Supermarkt zum C- oder D-Einkaufszentrum hochgewertet hatte – endlich auch die alten Magistralen wieder als Einkaufsstraßen wieder entdeckte. Die Georg-Schwarz-Straße und die Georg-Schumann-Straße sind endlich ausgewiesene Fördergebiete und stehen mittlerweile im Fokus der Stadtentwicklung.

Ist die Frage: Ziehen die Leute deswegen auch hin?

Die Zahlen, die Jens Vöckler in seinem Beitrag im neuen Quartalsbericht ausgewertet hat, sagen: Ja. Oder Jein. Denn Magistrale ist noch lange nicht Magistrale. Oder – mit dem amtlichen Begriff bezeichnet: Hauptverkehrsstraße. Was schon alles sagt. Im Vordergrund stand und steht hier immer der Verkehr, geht es um Platz für Lieferverkehr, Berufsverkehr, Straßenbahn, Busse, Fahrräder und Fußgänger (wenn noch was übrig bleibt). Aufenthaltsqualität war jahrzehntelang kein Thema. Ist aber eins, was insbesondere die Akteure rund um die Karl-Liebknecht-Straße deutlich machten, als über den Neubau der “KarLi” debattiert wurde. Solche Straßen leben eben nicht nur vom Durchfahren, sondern vom Ankommen und auch Dableiben. Aufenthaltsqualität eben. Fußwege, die ihren Namen verdienen, Bäume, die Schatten spenden, Auslagen, die zum Betrachten einladen, Läden, die für Fußgänger erreichbar sind, Häuser, die zum Einziehen bereit stehen.Hauptstraßendefinitionen ändern sich, wenn man Verkehrsströme anders organisiert. Von den 1.767 Kilometern Straße in Leipzig sind 396,3 Kilometer offiziell Hauptverkehrsstraße – 22 Prozent. 102.000 Leipziger wohnen an solchen Straßen – rund 18 Prozent der Gesamtbevölkerung, hat Vöckler ausgerechnet. An manchen dieser Straßen wohnt auch gar kein Mensch, andere sind attraktiv, obwohl jeden Tag mehr als 5.000 Autos vorbeifahren. Vöckler hat die Hauptstraßen mit den meisten Bewohnern in einer Tabelle zusammengestellt – die reicht von der Arno-Nitzsche-Straße, die seit 1993 permanent Anwohner dazugewonnen hat, bis zur Zwickauer Straße, die bis 2008 ständig Anwohner verloren hat.

Die Liste zeigt natürlich, dass Hauptverkehrsstraßen teilweise schon seit 15 Jahren Bewohner dazugewinnen, wenn sie im richtigen Viertel liegen – in der Südvorstadt, in Connewitz oder Schleußig. Die Karl-Liebknecht-Straße ist ein typischer Fall – von 1993 bis 1998 hat sie ein Drittel ihrer Bewohner verloren. Dann wurde sie als eine der ersten Hauptstraßen in Leipzig saniert. Das hat natürlich auch Hausbesitzer dazu gebracht, ihre Häuser an der Straße zu sanieren. Seitdem hat sie kontinuierlich Bewohner dazugewonnen – aus 1.158 Bewohnern der “KarLi” wurden bis 2013 dann 2.049.Ganz ähnlich in der Könneritzstraße in Schleußig, die ihre Sanierung aber noch vor sich hat. Aber Schleußig ist seit ungefähr 2000 eines der beliebtesten Viertel für junge Familien. Da wurde praktisch der komplette Hausbestand der Gründerzeit (bis auf ganz wenige Ausnahmen) saniert. Auch an der Könneritzstraße, die ihre Bevölkerung seit 1993 praktisch verdoppelt hat – von 1.178 auf 2.239.

An der Bewohnerentwicklung der Magistralen kann man im Grunde ablesen, wie sich die einzelnen Ortsteile gemausert haben. Denn bevor die (jungen) Leute ihren Lieblingsortsteil beziehen, muss er in der Regel tatsächlich schon “voll” sein. Und “voll” heißt: Voll bis zur lauten Hauptverkehrsstraße. Magistrale und Wohnquartier gehören zusammen – wenn das Viertel sich füllt, belebt sich auch die Magistrale. Wobei Vöckler auch auf die Tatsache eingeht, dass solche Straßen trotzdem Bewohner verlieren können, wenn das Umfeld nicht stimmt. Als Beispiel nennt er die Gerberstraße, die Heiterblickallee und die Schönhauser Straße, auch die Stötteritzer Straße ist betroffen.

“Bei der Gestaltung innerörtlicher Hauptverkehrsstraßen ist daher nicht nur auf die bautechnische Ausführung und die Umsetzung verkehrsorganisatorischer Maßnahmen zur Sicherung der Verbindungsfunktion zu achten”, schreibt er, “sondern auch auf das städtebauliche Erscheinungsbild und die Wohn- und Aufenthaltsqualität im Freiraum …”

Etliche Hauptverkehrsstraßen füllen sich trotzdem, auch wenn die Stadt keinen Euro in diese Qualitäten investiert hat. Zwar zeigen Vöcklers Zahlen, dass die Hauptverkehrsstraßen seit 2003 deutlich stärker an Bevölkerungsgewinn verbucht haben als die eh schon stark wachsende Gesamtstadt. Aber hat das mit einer neuen Wohnqualität an diesen Straßen zu tun? Oder doch eher mit dem üblichen Ausweicheffekt, bei dem Geringverdienerhaushalte an die lauteren Hauptstraßen abgedrängt werden? Oder ist es einfach so, dass die Hauptstraßen einfach mehr Bevölkerung verloren haben als die ruhigeren Seitenstraßen? So dass sich seit 2005 die Hauptverkehrsstraßen einfach auch zwangsläufig auffüllen, wenn die einzelnen Ortsteile beginnen, sich zu füllen? Womit die Entwicklung an diesen Straßen eigentlich zu einem “Obacht!”-Signal für die Stadtplaner werden, denn dann ist das ein Zeichen dafür, wie schnell sich die vermietbare Wohnraumreserve in Leipzig jetzt reduziert. Und zwar vor allem im bezahlbaren einfachen Mietsegment.

Bevölkerungswachstum ist ja was Feines. Aber das hat bislang in Leipzig erst ein Wohnungsbausegment angeheizt: das im gehobenen Bereich.

Auch dazu gibt’s einen Beitrag im Quartalsbericht. Dazu kommen wir morgen an dieser Stelle.

Der Statistische Quartalsbericht II / 2014 ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er kann zudem für sieben Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden.

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