Das mit den Rankings haben wir ja hier schon serienweise abgehandelt. Das wird aber einschlägige Institute, Stiftungen und Zeitschriften nicht davon abhalten, immer wieder neue zu produzieren. Und die Bürgermeister in den Städten werden weiter wie närrisch gucken: Na, wo landet denn nun meine Stadt? - Das Leipziger Wirtschaftsdezernat lässt sich auch gern bezaubern, wenn Leipzig nur möglichst weit vorne steht. In der "Wirtschaftswoche" zum Beispiel.

Die hat nun wieder eins ihrer regelmäßigen Rankings produziert – zusammen mit Immobilienscout 24 und IW Consult. Eigentlich braucht man dafür nur einen Haufen Daten (die man im Internet leicht zusammensammeln kann), ein paar Kategorien und ein Punktesystem. Fertig der Lack. Ob das System Sinn macht, guckt sich dann meist auch von den Lesern keiner an. Im Leipziger Wirtschaftsdezernat jedenfalls scheint das zumindest keiner getan zu haben.

Den dieses meldete nun am Freitag, 28. November, hocherfreut: “Leipzig gehört in Deutschland zu den vier Städten mit der dynamischsten Entwicklung. Dies ergab das aktuelle Städteranking von WirtschaftsWoche, Immobilienscout 24 und IW Consult. Hierbei wurden die Standortqualität, Leistungskraft und Zukunftsperspektiven aller kreisfreien Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern analysiert. Die Studie ist der umfangreichste Leistungs-Check für Kommunen in Deutschland.”

Das mit der Dynamik kennt man ja aus anderen Rankings. Nur ändert das seltsamerweise am Niveau nichts. Oder nur wenig. Denn die anderen Städte rennen ja auch, um irgendwie mal weiter nach vorn zu kommen.

“Als Wirtschaftsbürgermeister der Stadt Leipzig bin ich stolz darauf, dass sich Leipzig zu einer der dynamischsten Städte Deutschlands entwickelt hat. In den neuen Ländern hat unsere Stadt sogar die Führungsposition übernommen. Bei Arbeitsmarktentwicklung und Bevölkerungswachstum steht Leipzig ebenfalls an vorderster Position. Auch wenn wir beim Niveauranking noch einen Platz im Mittelfeld der deutschen Großstädte belegen, zeigt die Verbesserung um 11 Plätze gegenüber dem Vorjahr deutlich, wohin die Entwicklung in Leipzig geht. Die positiven Bewertungen im Ranking sehe ich als deutliches Signal an die Investoren”, äußerte Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig.

Deutschlandweit erreichte Leipzig im Dynamikranking einen guten 4. Platz. Bei Arbeitsmarktentwicklung und Bevölkerungswachstum schaffte es die Messestadt jeweils auf die Spitzenposition, beim Niveauranking belegte sie unter den deutschen Großstädten Platz 39. Damit verbesserte sich Leipzig gegenüber dem Vorjahr um elf Plätze, was bereits die hohen Dynamikwerte in den vergangenen Jahren widerspiegele, so das Wirtschaftsdezernat.

Das Niveauranking vergleicht die aktuellsten Werte von 53 wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, also die absolute Wirtschaftskraft der Kommunen. Das Dynamikranking zeigt hingegen die Veränderung von 40 Indikatoren in einem Fünfjahreszeitraum. Untersucht wurden die 69 größten deutschen Städte.

Aber dass Leipzig – und auch die anderen ostdeutschen Städte – im Ranking immer weiter nach vorne marschieren, hat vor allem damit zu tun, dass die Städte im Ruhrgebiet mittlerweile alle abdriften – rund ein Drittel der untersuchten Städte gehört zu NRW. Deswegen hat NRW auch eine eigene Karte. Die letzten Plätze (hinter Halle an der Saale) lesen sich wie eine Ruhrpott-Patientenkartei: Wuppertal, Dortmund, Hagen, Bottrop, Duisburg, Hamm, zwischendrin noch Bremerhaven, und dann ganz am Ende: Oberhausen, Herne, Gelsenkirchen. Der komplette Ruhrpott ist in einem Transformationsprozess, wie ihn der Osten so ungefähr vor 20 Jahren durchlaufen hat. Und das wird im Ranking natürlich auch noch kräftig bestraft. Nicht nur mit Minuspunkten bei ALG II und Investitionen. Auch bei Straftaten, BIP, Einwohnerentwicklung. Alles Größen, von denen selbst die “Wirtschaftswoche” zusammenfassend sagt, dass sie eigentlich nichts aussagen. Dass sie bestenfalls Indikatoren sind dafür, dass sich was tun könnte.

“Der Städtetest der WirtschaftsWoche belegt nachdrücklich, wie stark Bildung, Forschung und Wissenschaft die Standortqualität einer Kommune beeinflussen”, heißt es da bei “WiWo” zum Beispiel.

“Unter den Aufsteigern im Ranking befinden sich auffallend viele Universitätsstädte”, stellt IW-Consult-Ökonom Hanno Kempermann verblüfft fest. Als hätte man gerade erst entdeckt, dass die moderne Hochtechnologie im Land vor allem eins braucht: kluge Köpfe. Kluge Köpfe, die nicht nur Maschinen entwickeln können, sondern auch noch Forschung betreiben, verrückte Ideen haben und vor allem neue Unternehmen gründen. Und das in einem Land, in dem die herrschende Elite so versessen auf reine Besitzstandswahrung ist. Deswegen sagt es die “WiWo” zwar und wundert sich: “Die größten Sprünge nach vorn machten im Dynamikranking Mannheim (plus 41 Plätze) und Karlsruhe (plus 26 Plätze), in der Niveauwertung schoben sich Mannheim (plus 12), Leipzig (plus 11), Karlsruhe und Freiburg (jeweils plus 8) besonders weit nach vorn. Hochschulen ziehen eben nicht nur Studenten und Wissenschaftler an (was Kaufkraft schafft), sondern zählen auch zu den größten Arbeitgebern vor Ort.”

Und man braucht nur den Schwanz des letzten Satzes zu lesen, um zu wissen: Bei der “Wirtschaftswoche” sind sie noch lange im alten Denken. Kaufkraft und Hochschule als attraktiver Arbeitgeber? – Da lachen in Leipzig und anderswo nicht nur die Studierendenräte. Es ist ein Witz. Und es ist die falsche Erklärung für ein deutschlandweites Phänomen. Denn die Metropolen mit ihrer Hochschullandschaft ziehen junge Leute natürlich an, weil sie das Ausbildungsangebot haben, das heute der Schlüssel zu hochkarätigen Arbeitsplätzen ist. Das Angebot schafft die Attraktivität. Das andere folgt daraus – die massive Abwanderbewegung junger Leute vom Land in die Metropolen, das Andocken von Forschungseinrichtungen und innovationsgetriebenen Unternehmen an die Hochschullandschaften, meistens direkt unterstützt von den Stadtverwaltungen – auch vom Leipziger Wirtschaftsdezernat.Im Kleingedruckten wird dann deutlich, wie falsch gestrickt das Bewertungsmuster in diesem Ranking ist. So wird Leipzig tatsächlich der Kaufpreis von 1.097 Euro je m² für eine Eigentumswohnung als negativ angekreidet. Das ist den “WiWo”-Autoren tatsächlich zu billig. Sie glauben tatsächlich, dass es einer Stadt erst gut geht, wenn diese Preise für Normalsterbliche nicht mehr bezahlbar sind. Oder glauben sie, dass kluge Leute heute unbedingt Immobilienbesitz erwerben? Die “WiWo”-Leserschaft scheint es zu tun. Und wahrscheinlich schütteln sie betrübt die Köpfe, wenn der Preis nicht abgeht wie eine Rakete: “Der Kaufpreis für Eigentumswohnungen stieg im Untersuchungszeitraum um 16,0 Prozent. Leipzig belegt somit Platz 52.”

16 Prozent Plus in zwei Jahren ist zu wenig?

Noch närrischer wird es bei der Kinderbetreuung: “Die Kinderbetreuungsquote der unter 3-Jährigen stieg im Untersuchungszeitraum um 6,0 Prozentpunkte, im Durchschnitt der untersuchten Städte stieg der Wert um 10,2 Prozentpunkte; Rang 63 im Vergleich der Großstädte.”

Leipzig hat – zusammen mit den anderen ostdeutschen Städten – eine der höchsten Betreuungsquoten in ganz Deutschland. Da sagt das prozentuale Wachstum nichts aus über den tatsächlichen Platzzuwachs.

Und wie ist das mit dem dritten Wert, den die “WiWo” gar nicht gut findet? – “Von den Schulabgängern des Jahres 2012 konnten 13,2 Prozent keinen Abschluss vorweisen. Der Durchschnittswert der untersuchten Städte lag bei 6,1, was Rang 69 im Vergleich bedeutet.” Natürlich ist das eine erschreckende Zahl. Dumm nur, dass jüngst ein INSM-Ranking zeigte, dass das gerade in Sachsen keine Rolle spielt, denn die jungen Leute holen ihre Bildungsabschlüsse alle nach. Ist zwar teuer und für viele quälend. Aber am Ende bleiben nur 1,1 Prozent ohne Abschluss. Das ist ein Spitzenwert, an den weder Bayern noch Baden-Württemberg herankommen.

Heißt aber auch, dass auch dieses Ranking den größten Teil der eingesammelten Daten falsch interpretiert und auch falsche Beziehungen herstellt. Natürlich würde sich in dieser Listung eine Menge ändern, wenn Besitzstände nicht schon per se als das Ziel aller Wünsche eingebaut wären.

Eine Frage beantwortet das Ranking also nicht: Warum erleben gerade die Metropolen mit ihren Hochschulen derzeit so einen Aufschwung? – Zumindest bei einem ist sich Martin Gornig, Professor für Stadtökonomie an der TU Berlin, sicher: “Der Fachkräftemangel wird die Attraktivität der Universitätsstädte für die Wirtschaft signifikant erhöhen. Das beste Beispiel dafür ist Berlin – erst kamen die jungen Menschen, die Kreativen, dann die Start-ups. Jetzt siedeln sich hier immer mehr Unternehmen an.”

Muss er ja als Berliner sagen. Darf er auch. Berlin hat lange genug das Aschenputtel gespielt.

Berlin liegt im “Niveau-Ranking” übrigens auf Rang 43 – hinter Leipzig, knapp vor Erfurt und Rostock. Wenn es nach diesem Ranking ginge, wären Jena (14) und Potsdam (19) die Top-Standorte im Osten. Aber schon die Formulierung zeigt, was für ein Unfug diese Sichtweise ist und wie dieser krampfhafte Versuch, die Großstädte in eine Auf-und-Ab-Liste zu bringen, die regionalen und überregionalen Entwicklungen verkennt – und auch den Veränderungsdruck, der die Bundesrepublik gerade erfasst hat. Im Osten ist das deutlicher zu sehen als im Westen. Gerade weil hier deutlich weniger Städte von dieser Entwicklung profitieren und die Mittelstädte in der Regel schon kaputt sind (anders als im Westen).

Jena und Potsdam, die im Bestandsranking vorne liegen, sind übrigens nicht mit dabei in der Dynamik-Spitzengruppe. Jena nicht, weil die Stadt schon an die Grenzen ihres Wachstums stößt, Potsdam nicht, weil die brandenburgische Hauptstadt bislang vor allem von der Schwäche Berlins profitierte. Das dreht sich gerade. Den größten Wachstumsschub im Osten erleben derzeit Leipzig (4), Berlin (5) und Erfurt (9).

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