Für FreikäuferDass alle schönen Zahlen zur „Arbeitslosigkeit“ weder etwas zur Arbeitslosigkeit noch zu existenzsichernden Arbeitsplätzen sagen, hat sich ja herumgesprochen. Leipzig profitiert zwar irgendwie vom wirtschaftlichen Aufschwung seit 2011. Mit 7,4 Prozent amtlicher Arbeitslosigkeit hat Leipzig zwar einen neuen Tiefstwert erreicht. Aber es ist nicht die tolle Arbeit des Jobcenters, die die Zahlen sinken lässt.

Auch wenn sich Steffen Leonhardi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, freut wie ein Schneekönig: „Mit 7,4 Prozent wurde im September die niedrigste Arbeitslosenquote in einem Monat überhaupt seit Anfang der 1990er Jahre verzeichnet. Der Trend des Rückgangs der Arbeitslosigkeit und des Wachstums bei der Zahl der Beschäftigten hat sich weiter fortgesetzt. Das ist sehr erfreulich für die Stadt und macht mich zuversichtlich – auch für einen weiterhin kontinuierlich positiven Trend.“

Die Arbeitslosigkeit in Leipzig sank in den letzten vier Wochen und auch im Jahresvergleich deutlich und liegt jetzt bei 22.141 arbeitslosen Menschen. 643 Menschen weniger waren bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter Leipzig im Vergleich zum August arbeitslos gemeldet. Noch besser fällt der Vergleich zum Vorjahr aus. Gegenüber September 2016 ging die Zahl der Arbeitslosen um 2.079 Personen zurück.

„Die Geschäftspolitik der Investitionen der Arbeitsagentur und des Jobcenters Leipzig in die berufliche Qualifizierung von arbeitslosen Menschen ist und bleibt der richtige Weg“, meint Leonhardi. „Das zeigen sehr deutlich die sinkenden Zahlen bei der Arbeitslosigkeit. Der Arbeitsmarkt dieser Stadt profitiert davon und immer mehr Menschen kommen wieder in Arbeit. Aber wir müssen auch gemeinsam am Ball bleiben, da sich die Anforderungen am Arbeitsmarkt zunehmend und schneller verändern. Die gute Zusammenarbeit mit den Unternehmen und Akteuren am Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist dabei ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor. Ohne die Expertise der Partner geht es nicht.“

Das mag in Teilen stimmen. Aber es ist nicht der Effekt, der Leipzigs Arbeitsmarkt prägt. Denn die meisten Menschen verschwinden nicht aus der Statistik, weil sie wieder eine gut bezahlte Arbeitsstelle bekommen haben. Immer stärker schlägt der demografische Effekt zu.

Der demografische Effekt

„Es freut mich, dass zunehmend Langzeitarbeitslose von der positiven Beschäftigungsentwicklung am regionalen Arbeitsmarkt profitieren. Das spricht auch für die Offenheit Leipziger Unternehmen bei der Arbeitskräftesuche“, sagte Leonhardi am Freitag bei der Vorstellung der Zahlen.

Und dann versuchte die Arbeitsagentur mit Zahlen die Effizienz ihrer Arbeit zu begründen: „Innerhalb von 12 Monaten sank die Arbeitslosigkeit in Leipzig deutlich um über 2.000 Menschen. In den Altersgruppen gab es im zurückliegenden Monat eine einheitliche Entwicklung. Bei den jungen Menschen bis 25 Jahren sank die Zahl der Arbeitslosen um 34 auf 2.154 (Vorjahr: 2.221). Bei den Lebensälteren in der Altersgruppe ab 50 Jahren fiel die Arbeitslosigkeit um 97 auf 6.113 Personen (Vorjahr: 6.818). Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig gesunken. Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 94 auf 6.464. Im Vergleich zum September 2016 gab es 1.250 langzeitarbeitslose Menschen weniger. Der Zugang aus der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit lag in den letzten vier Wochen bei 2.063 (Vormonat 2.141). Abgemeldet in Erwerbstätigkeit haben sich im gleichen Zeitraum 2.389 (Vormonat 2.419) Menschen.“

Das suggeriert natürlich, dass man die Leute schneller wieder vermittelt hat, als sie sich bei der Arbeitsagentur anmeldeten.

Aber das Wichtigste verschweigt man.

Tatsächlich gab es auf einen Zugang von 6.290 Menschen in Arbeitslosigkeit einen Abgang aus der Statistik von 6.993 Personen allein im September. Würde man allein die Zu- und Abgänge aus einer Erwerbstätigkeit nehmen, gäbe es nur ein Absinken der Arbeitslosenzahl um 362.

Tatsächlich aber war die Differenz mit 703 fast doppelt so hoch. Aber wohin die anderen 341 verschwunden sind, verrät man lieber nicht. Denn die meisten haben sich im Monat September tatsächlich endgültig aus dem Arbeitsleben verabschiedet. Sie sind in den ihnen vergönnten prekären Ruhestand gegangen.

Und da jeden Monat so eine Kohorte von rund 200 bis 300 Menschen sich aus der Arbeitslosenstatistik verabschiedet, sinken die Leipziger Arbeitslosenzahlen genau in dieser Größenordnung. Übers Jahr gesehen um 2.079 Personen.

Und deshalb sinkt auch die von der Arbeitsagentur so gern beschworene Zahl der Langzeitarbeitslosen – denn die betrifft vor allem ältere Antragsteller. Übers Jahr konnten so 1.250 Langzeitarbeitslose aus der Statistik gestrichen werden. Am sozialen Status der Betroffenen ändert das nichts. Sie sind nun nur anderswo Bittsteller. Es schönt die eine Statistik, mit der sich die wirtschaftskompetente Politik so gern schmückt, auch wenn es tatsächlich eine unsichtbar gemachte soziale Katastrophe ist.

Der Jobmotor Leipzig läuft zwar. Aber das kommt vor allem den Zuzüglern nach Leipzig zugute. Ergebnis: Die Bedürftigenzahlen in Arbeitsagentur und Jobcenter sinken deutlich langsamer, als es bei wachsendem Bedarf an Arbeitskräften zu erwarten wäre.

Freie Stellen nach Branchen im September. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Freie Stellen nach Branchen im September. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Die Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen

Im September waren 6.558 Menschen im Rechtskreis SGB III bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 275 weniger als im Vormonat und 1.077 weniger als im September 2016. Im Rechtskreis SGB II waren 15.583 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren 368 weniger als im Vormonat und 3.156 weniger als vor einem Jahr.

Das „demografische“ Abschmelzen der älteren Arbeitslosen führt dann auch dazu, dass so auch langsam die Zahl der vom Jobcenter Betreuten schmilzt: In Leipzig gab es im September 38.325 Bedarfsgemeinschaften. Das waren 198 weniger als im Vormonat und 1.533 weniger als im September des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 48.152 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug der Rückgang minus 390 Personen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sank die Zahl um 1.336 Personen.

Neuer Rekord bei gemeldeten Stellen

Der Zugang an offenen Arbeitsstellen ist für die Stadt Leipzig im September nahezu unverändert geblieben. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 2.153 freie Stellen, das waren 13 Stellen weniger als im davorliegenden Monat und 217 Stellen mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet. Damit sind erstmals über 7.000 freie Stellen gemeldet, genauer: 7.270.

Was eben im Klartext auch heißt, dass es einigen Branchen einfach nicht mehr gelingt, genügend qualifizierte Bewerber zu finden.

Die reine Arbeitslosenzahl sagt eben nichts über die nötigen Qualifikationen und die konkreten Bedarfe der Wirtschaft. Und nach den Industrieunternehmen stehen längst die staatlichen Institutionen auf der Matte, die händeringend um Nachwuchs nachsuchen und trotzdem dastehen – bedrippelt in der Sonne. Denn bei Lehrern und Polizisten, Kita-Erzieherinnen und Pflegekräften reißen die Lücken schon längst spürbar auf. Das ist der Preis für eine über mindestens sechs Jahre herrschende politische Ignoranz.

Und das alles vor dem Hintergrund eines kontinuierlichen Beschäftigungsaufbaus. Im März 2017, dem letzten Quartalsstichtag mit gesicherten Angaben, belief sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Leipzig auf 259.998. Gegenüber dem Vorjahresquartal war das eine Zunahme um 6.844 Arbeitsplätze bzw. 2,7 Prozent in Leipzig.

Der Rest ist nur ein Wert in der Statistik: Zum statistischen Zähltag im September betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 7,4 Prozent (Vormonat: 7,6 Prozent). Im September 2016 lag diese noch bei 8,2 Prozent. Damit erreichte die Arbeitslosenquote in Leipzig den tiefsten Stand seit 1991.

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