Nicht nur die L-IZ hat mit der Juni-Flut einmal mehr festgestellt, dass Sachsen zwar richtig Fleiß und Geld in die (Wieder-)Herstellung von Deichen und Wehranlagen investiert hat - aber die Herstellung von so nötigen Überschwemmungsflächen hatte man überall immer wieder hinten an gestellt. Aus über 80 noch 2002 angedachten Deichrückverlegungen wurden dann erst mal nur 49. 2012 waren es dann noch 35 Maßnahmen mit 5.000 Hektar Retentionsfläche.

“Polder und Deiche: Zu wenig Überflutungsflächen in Sachsen” überschrieb denn auch die “Freie Presse” am 13. Juni ihr Spezial zur Flut, das in mehreren Teilen auflistet, was geschafft wurde – und was nicht.

Warum Tausende Hektar im Juni 2013 nicht zur Überflutung zur Verfügung standen, benannte dann auch Leipzigs oberster Deichwart Axel Bobbe am 13. Juni in einem Interview mit der LVZ – ohne auch gleichzeitig mal wieder auf seinen geliebten Umweltschützern herumzuhacken.

“Zweifelsohne brauchen Flüsse mehr Raum – aber differenziert”, erzählte er dem LVZ-Reporter. “Es gibt grüne Fundamentalisten, die meinen, die Flüsse würden schon mehr Raum für Hochwasser, die jedes oder alle zwei Jahre kommen, brauchen. Das sehe ich nicht so. Wir haben für die Elbe im Jahr 2004 ein Konzept auf den Tisch gelegt bekommen, das vorsah, dass 2.500 Hektar landwirtschaftliche Fläche als Auen- und Flutungsflächen dienen sollen. Können Sie sich vorstellen, wie viele Agrarbetriebe dadurch kaputt gegangen wären? Wir haben drei Jahre lang ein alternatives Konzept entwickelt. Das sieht vor, die Deiche instand zu setzen und Flut-Polder zu bauen, die bei großen Hochwassern geöffnet werden. Allein die fünf Polder kosten 200 bis 300 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld. Doch damit könnten wir die Pegel an der Landesgrenze aber 30 bis 40 Zentimeter senken.”Diese 2.500 Hektar verschwanden dann eigentlich noch 2004 aus den Plänen. Übrig blieben Planungen für 5.000 Hektar. Aber bis zum Juni 2013 wurden nur 111 Hektar davon umgesetzt. Vieles war gerade in Arbeit oder Planung, wie die “Freie Presse” auflistet. Vieles davon betraf die Freiberger und die Zwickauer Mulde, was man jetzt in Grimma durchaus zur Kenntnis nehmen wird. Denn dass das Hochwasser an der Vereinigten Mulde in Grimma diesmal wieder so hoch stieg, liegt nicht an der nicht fertig gewordenen Hochwasserwand im Ort, sondern an den noch nicht fertigen Überschwemmungspoldern oberhalb Grimmas.

Denn Hochwasserschutz – darauf wies auch der Leipziger Ökologe Dr. Leonhard Kasek noch einmal hin – setzt oberhalb der zu schützenden Städte an, nicht erst im Stadtgebiet. “Hochwasserschutz für Leipzig findet vor allem flußaufwärts statt. Vom Hochwasser darf möglichst wenig in Leipzig ankommen. Wir müssen also mit den Gemeinden reden, die flussaufwärts liegen”, erklärt er in seinem Leserbrief an die Redaktion.Das trifft auch auf Leipzig zu. Leipzigs Polder-Flächen schützen teilweise die Stadt, aber wenn sie funktionieren, senken sie die Wasserlast vor allem für die Orte flussabwärts. Und beim Öffnen des Nahleauslasswehrs im Januar 2011 und in Juni 2013 ging es beide Male vor allem um die Stadt Halle und den Wasserpegel, der dort ankommt. Wie leistungsfähig der “Polder” Burgaue jetzt schon ist, obwohl er für seine Funktion als Polder noch gar nicht hergerichtet ist, benannte die Landestalsperrenverwaltung am 9. Juni: bis zu 10 Millionen Kubikmeter Wasser kann die Burgaue aufnehmen.

Die Herstellung eines funktionsfähigen Poldergebietes würde zwischen 7 bis 11 Millionen Euro kosten – je nachdem, wie “technisch” der Ausbau angegangen wird. Je weniger Technik, umso weniger kostet es. Und von Überflutungsereignissen die aller ein, zwei Jahre eintreten, ist dabei auch nicht die Rede. Sondern von Hochwassern, wie sie aller fünf Jahre mal auftreten – und die für die Bewässerung des Auwaldes eine wichtige Rolle spielen.

Das Projekt der künstlichen Bewässerung in Ratsholz und Probstei zwischen Pleiße und Elsterflutbett scheiterte ja schon im vergangenen Jahr, weil Metalldiebe einfach die Sperrwand für die Paußnitz geklaut haben. Am Deich, der dieses Stück Auwald vom Elsterflutbett trennt, hat die LTV 2011 aber ebenfalls eine breite Baumschneise geschlagen, um im Ernstfall den Auwald vor dem Hochwasser schützen zu können.

In den mehr oder weniger unverbindlichen Hochwasserschutzkonzepten der Stadt Leipzig spielen die “Polder” immer wieder eine Rolle. Doch auch in Leipzig wurden zuerst einmal die Deiche aufwändig saniert – insbesondere die beiden Deiche an der Neuen Luppe, obwohl die vorgesehenen Polder direkt dahinter liegen. Was Stadt und LTV in dieser Hinsicht tun, geht nicht immer Hand in Hand.

Fast vergessen vor dem Hintergrund des Juni-Hochwassers: Eigentlich startet Leipzig 2013 das Projekt “Lebendige Luppe”, bei dem die Durchlassfähigkeit der Alten Luppe Thema ist. Sie entwässert die “Nördliche Luppenaue” und der Auenwald ist hier im Hochwasserfall ebenfalls als Polder vorgesehen. Der Ökolöwe spricht bei den radikalen Deicherneuerungen 2011 von “grotesken Zügen”. Die “DIN-gerechten Deiche” verhindern geradezu eine Vernässung der Aue. Hier hätten die Städte – insbesondere Leipzig und Schkeuditz – schon frühzeitig mitreden müssen und die Rolle des Augebietes als Überschwemmungsgebiet durchsetzen müssen. Aber auch in diesem Fall hat die Stadt Leipzig die LTV einfach bauen lassen. Axel Bobbe kann nun ohne Widerspruch auch noch behaupten, alles wäre in Ordnung. “Wenn wir die Deiche nördlich von Leipzig seitdem nicht instand gesetzt hätten, wäre viel Schlimmes passiert. Doch diesmal hat kein Deich gewackelt”, sagte er im LVZ-Interview vom 13. Juni.

Was eigentlich recht deutlich macht, dass er mit seinen rein auf technische Bauwerke fixierten Plänen in der Stadt Leipzig jedenfalls keinen Widerstand findet. Hätte auch die “Nördliche Luppenaue” als Polder zur Verfügung gestanden, hätte Leipzig die Nachbarstadt Halle um weitere Millionen Kubikmeter Wasser entlasten können. Das Wasser wäre in genau jenem Gebiet gelandet, das jetzt mit dem Projekt “Lebendige Luppe” genau dafür teuer wiederhergestellt werden soll. Ob es das wird, ist eine andere Frage. Denn wirklich Mut, die geplanten Vernässungsareale im Auwald wieder herzustellen, hat die Leipziger Stadtverwaltung seit 2004 nicht gezeigt. Man verlässt sich lieber darauf, was sich die Talsperrenverwaltung so ausdenkt.

Die “Freie Presse” zu Deichrückverlegungen in Sachsen: www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/TOP-THEMA/Was-Sachsen-aus-der-Flut-von-2002-gelernt-hat-artikel8422161-4.php

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