In der Rangliste, die der DIHK bei deutschen Unternehmen abgefragt hat, steht die Sorge um ausgebildetes Fachpersonal mit 31 Prozent gleich an 5. Stelle, wenn Unternehmer schon einmal auflisten dürfen, was sie für ihren Auslandserfolg brauchen. Nicht billiges Personal, sondern Fachpersonal. Ausgebildetes. Auf den Weltmärkten hat "Made in Germany" nur Erfolg, wenn dahinter Produkte auf höchstem technologischen Standard stehen.

An erster Stelle nannten sie natürlich den einfachen Marktzugang (60 Prozent) und – vielleicht für manchen Lobbyisten überraschend – stabile politische Verhältnisse (45 Prozent). In Krisen- und Kriegsregionen kann man mit zivilen Produkten keine Geschäfte machen. Aber wo bitte schön ist das Krisenmanagement der entwickelten Nationen? Man sucht es vergeblich. Die alte Konfrontationspolitik aus Zeiten des Kalten Krieges ist so lebendig wie 1989 zuletzt.

Erstaunlich, dass das beim Wahlforum der Leipziger Wirtschaftskammern nicht auch zur Sprache kam. Denn auch die Leipziger Industrie – allen voran der Autobau – macht mehr als die Hälfte ihrer Umsätze im Ausland.

Und sie hat an einigen Stellen ein Fachkräfteproblem. Nicht nur weil 10 bis 15 Prozent der Leipziger Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Was nur auf den ersten Blick wie ein Problem falscher “Kuschelpädagogik” anmutet, wie es Marcus Viefeld, Direktkandidat der FDP, nennt. Auch wenn er natürlich ein wesentliches Problem des deutschen Schulsystems benennt, das freilich so neu nicht ist. Denn den “Null Bock”-Effekt kennt die westdeutsche Schule schon seit den 1980er Jahren. Auch für Holger Krahmer (FDP) fehlt die Vermittlung von Zielstrebigkeit und Leistungsbereitschaft. Wer in einer Leistungsgesellschaft Erfolg haben will, muss auch den Willen und die Bereitschaft haben, auf ein gesetztes Ziel hin zu arbeiten. Das, so Krahmer, werde in deutschen Schulen nicht mehr vermittelt. Auch nicht die Bereitschaft, sich gegen Widerstände durchzusetzen.

Womit er ein wichtiges Wort sagt. Die Frage ist nur: Kann es die deutsche Schule leisten?

Denn gerade Unternehmer und mobile Fachkräfte erleben ja schon beim kleinsten Umzug, dass die Schulsysteme in Deutschland, 16 Stück an der Zahl, alle völlig mit sich selbst beschäftigt sind. Kein Lehrplan ist mit dem anderen abgestimmt. Wer mit seinen Kindern umzieht, muss damit rechnen, dass der gelernte Stoff im neuen Heimatbundesland nicht gefragt ist, dafür mit anderem Stoff ganz von vorn angefangen wird. Das kann schon beim simpelsten Schulwechsel innerhalb Sachsens passieren: Lehrer haben unterschiedliche Lehrmethoden, manchmal werden an der selben Schule unterschiedlichste Schulbücher verwendet.

Mal abgesehen davon, dass Schulbücher nicht mehr reichen: Eltern zahlen auch noch für diverse Lernhefte und Kopiergelder. 150 Euro zum Schuljahresanfang sind normal, sagt Linke-Kandidatin Barbara Höll, die selbst noch eine Tochter in der sächsischen Schule hat.

Und dazu kommt der Sparkurs, den insbesondere ein Bundesland wie Sachsen fährt: Zu wenige Lehrer bedeuten größere Klassen und immer öfter Unterrichtsausfall. Daniela Kolbe, Direktkandidatin der SPD: “Ich erlebe Schule als überforderte Institution.” Ein Problem sieht sie im Kooperationsverbot auf Bundesebene: Der Bund darf sich in die Schulbildung nicht einmischen, denn die ist Ländersache. Aber wenn man sich von den Fachkräften Mobilität wünscht, dann kann es nicht sein, dass in jedem Bundesland andere Lehrsysteme existieren. Kolbe plädierte beim Forum nicht nur für einheitliche Prüfungen, sondern auch für abgestimmte Lehrpläne, die in ihren Grundanforderungen überall die selben sind.

Bettina Kudla (CDU) fand diese Forderung dann nicht so gut: “Der Ruf nach Zentralismus ist mir fremd.”
Das Problem bleibt trotzdem auf dem Tisch. 34 Prozent der deutschen Unternehmen sehen den zunehmenden Fachkräftemangel schon heute als Risiko. In der IT- und der Gesundheitswirtschaft sind es sogar 44 bzw. 45 Prozent, wenn auch wohl aus unterschiedlichen Gründen.

Es muss also auch unterschiedliche Ansätze geben, das Fachkräfteproblem zu bewältigen. Dass Schule dabei eine Rolle spielen muss, war zumindest kein Streitthema. Nur das Wie beantworteten die neun zum Wahlforum eingeladenen Direktkandidatinnen und Direktkandidaten unterschiedlich. Wobei bei SPD, Grünen und Linken die Forderung nach einer besseren Finanzierung des Bildungssystem im Vordergrund stand. Ein ganz und gar sächsisches Thema, wenn auch keines, das die Stadt Leipzig selbst lösen kann. Aber Daniela Kolbe brachte es so auf den Punkt: “Wir dürfen kein Kind zurücklassen.”

Was mit der frühkindlichen Bildung in den Kindertagesstätten (und deren besserer Finanzierung) beginnt, mit Sozialarbeitern in Mittelschulen (und deren Finanzierung) weitergeht und mit einer besseren Ausstattung der Hochschulen mit vollwertigen Dozentenstellen und Forschungsgeldern nicht aufhört. Denn auch das wurde kurz angesprochen: Der sehr kleinteilige Mittelstand, der in Sachsen und Leipzig dominiert, kann in der Regel wichtige Forschungsprojekte nicht aus eigener Finanzkraft stemmen. Dazu braucht es echte Förderung in FuE (Forschung und Entwicklung), die auch für kleinere Unternehmen abrufbar ist.

Ein echtes Problem für Unternehmen in Sachsen: Sie haben nicht nur schmalere Finanzpolster für die so wichtige Innovation, sie haben auch nicht die Personalbudgets, um die Löhne und Gehälter zu zahlen, mit denen Unternehmen aus Süddeutschland Fachkräfte aus dem Ausland anwerben können. Das wurde von der IHK zu Leipzig schon mehrfach kritisiert. In ihren Wahlprüfsteinen betont die IHK zu Leipzig, dass gerade Sachsen besonders ungünstige demografische Bedingungen hat – da braucht es auch deutlich mehr Akzeptanz für ausländische Fachkräfte und einen deutlichen Abbau der im Grunde nur bürokratischen Hürden.

Vielleicht auch noch – so Daniela Kolbe – eine echte Willkommenskultur.

Nebenbei bemerkt: Das, was die Kandidaten von SPD, Linke und Grünen forderten in Bezug auf ein einheitliches deutsches Bildungssystem, steht so auch in den Wahlprüfsteinen der IHK: “Deutschlandweit sollten einheitliche, stärker praxisorientierte Bildungsstandards fixiert werden; mittelfristig ist ein Zentralabitur einzuführen.” Das mit der “Praxisorientierung” sorgte noch für den ein oder anderen Lacher an diesem Abend, denn Barbara Höll nannte die polytechnische Ausbildung an den Schulen der DDR durchaus als vorbildhaft.

Darüber kann man streiten. Sollte man wohl auch. Denn das Ziel, Schülerinnen und Schüler frühzeitig und praktisch an die Bedingungen der heimischen Wirtschaft heranzuführen, ist ja kein dummes: Für viele junge Leute ist es tatsächlich die wichtigste Orientierung. Aber Thomas Feist (CDU) hatte auch durchaus Recht, als er die Art, wie Schüler seinerzeit ihre Praxisausbildung erhielten, eher als billiges Arbeitskräfteprogramm bezeichnete. Gut gewollt ist eben noch lange nicht gut gemacht.

Und auch die dritte Gruppe von möglichen Fachkräften für die Wirtschaft wurde zumindest kurz genannt: die (Langzeit-)Arbeitslosen. Ein eigenes Thema, denn für diese Menschen, die oft schon Jahre aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, ist die Schwelle für einen (Wieder-)Eintritt in eine anspruchsvolle Tätigkeit oft sehr hoch. Die IHK benennt in ihren Wahlprüfsteinen die konsequente Anwendung des “Prinzips des Forderns und Förderns zur verstärkten Integration von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung”. Das nutzt nur bei der Art, wie das Fordern und Fördern derzeit in den Jobcentern praktiziert wird, nicht die Bohne. Gerade weil auch die Leipziger Unternehmen eben keine ungelernten Arbeitskräfte brauchen, sondern ausgebildete Fachkräfte. Es müsste also gerade für Arbeitslose ein echtes Ausbildungsprogramm für gesuchte Fachberufe geben – in engster Kooperation mit den Kammern. Nur so wird ein Schuh draus. Zuckerbrot und Peitsche helfen da wirklich nicht weiter.

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Aber beim Thema Fachkräftesicherung war dann der Saal schon sehr unruhig. Schon die kurzen Statements der Kandidaten zeigten, wie komplex dieses Thema ist. Und wie viel derzeit bestenfalls eine Baustelle ist. Und zwar eine in wesentlichen Teilen unterfinanzierte Baustelle. Denn auch die IHK fordert einen flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung und ein deutschlandweites Ganztagsschulsystem – aus doppeltem Grund: Die Nachwuchsgewinnung ist das eine. Das andere ist der Wunsch, junge Eltern so früh wie möglich in die Unternehmen zu holen. Thema: Familienfreundlichkeit.

Verständlich, dass dieses scheinbar so simple Thema – Fachkräftesicherung – nicht einmal ansatzweise ausdiskutiert werden konnte. Was eigentlich auch schon eine Menge sagt, denn wirklich gut vorangekommen ist die Bundesrepublik bei dem Thema in den letzten vier Jahren nicht. Da liegt für die nächste Bundesregierung ein gewaltiger Berg von Arbeit bereit. Und eins scheint ziemlich deutlich: Mit “Herdprämien” stellt man da auch aus Sicht der deutschen Wirtschaft die falschen Weichen. Auch die jungen, gut ausgebildeten Frauen werden dringend im Berufsleben gebraucht.

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