Die Leipziger FDP hat den Hingucker zur Leipzigs Stadtratswahl plakatiert: Rosie krempelt die Ärmel hoch. Aber hat das Wirkung? Interessieren sich die Leipziger überhaupt noch für die Arbeit des Stadtrates? - Die L-IZ hat auch Holger Krahmer gefragt, Europaabgeordneter und Vorsitzender der Leipziger FDP.

Die Stadt hängt voller Plakate und trotzdem hat man das Gefühl, den Leipzigern ist die Wahl des neuen Stadtrates weitestgehend schnuppe. Nur 41,2 Prozent der Leipziger beteiligten sich 2009 an der Stadtratswahl. Gibt es einen guten Grund, warum sie diesmal wählen gehen sollten? Oder können sie beruhigt zu Hause bleiben?

Viele haben das Gefühl, dass es vollkommen egal ist, wer gewählt wird, da das die Richtung der politischen Entscheidungen ohnehin nicht beeinflusst. Das ist mit Sicherheit falsch. Stadtrat ist Ehrenamt. Und gerade bei dieser Wahl hat man die Chance, seine Stimme nicht vorrangig einer Partei, sondern einer Person zu geben. Man wähle also Kandidaten, die bewiesen haben, dass sie fleißig sind und Rückgrat haben.

Warum glauben Sie, dass Ihre Partei wichtig für Leipzig ist? Oder ist der Antritt zur Wahl schon reine Gewohnheit?

25 Jahre nach dem Mauerfall scheinen wir vergessen zu haben, an was die DDR gescheitert ist. Sie war bankrott, nicht wettbewerbsfähig, der Staat hatte sich zu viele Aufgaben aufgebürdet. Aus der Stadt der friedlichen Revolution scheint der Geist der Freiheit und des Aufbruchs verflogen. Es wird über das Ausgeben von Geld diskutiert, das nicht vorhanden ist. Überall macht sich eine neue Staatsgläubigkeit breit, bei der die wahren Ursachen von Fehlentwicklungen komplett ausgeblendet werden. Anstatt nach der eigenen Entscheidungsverantwortung zu fragen, werden die Kommunalen Wasserwerke vom OB zum Opfer böser Raubtierkapitalisten erklärt. Wir wandern in einen neuen Sozialismus, der genauso zum Scheitern verurteilt ist wie der alte. Anpacken, Aufbruch und Politik für Selbstbestimmung gibt es nur mit der FDP!

Politik ist ein zähes Geschäft. Sind Ihre Kandidatinnen und Kandidaten besonders masochistisch, dass sie sich das wieder fünf Jahre lang antun wollen? Oder ist das einfach die Pflicht eines Demokraten, auch dann anzutreten, wenn mit Lorbeer nicht zu rechnen ist?

Wir sollten dankbar sein, dass es Menschen gibt, die sich das antun. Vergnüglich ist es keineswegs, wenn man häufig zu abendlichen Gremien-Sitzungen muss und dafür die Familie sitzen lässt. Wir sollten uns daran erinnern, dass es um Rahmenbedingungen unseres täglichen Zusammenlebens geht. Dafür ist Einmischung gefragt.

Was ist aus Sicht Ihrer Partei der größte Fehler, der in den letzten Jahren in Leipzigs Politik gemacht wurde? Und wie wäre das aus Ihrer Sicht zu reparieren?

Der Nichtverkauf des 50 %-igen Stadtwerkeanteils. Die Stadtwerke stünden heute genauso, wenn nicht besser da als jetzt. 500 Mio. Euro bekommen wir nicht so schnell wieder geboten. Das Geld hätte bei den vielen Investitionsstaus, die in Leipzig aufgelaufen sind, gut eingesetzt werden können.Und welchen Erfolg schreiben Sie Ihrer Partei in der Leipziger Kommunalpolitik der letzten fünf Jahre zu? Gibt es überhaupt einen?

Bei der LVB gibt es dank unseres Einsatzes jetzt gleitende Zeitkarten, die nicht mehr starr einen Kalendertag, eine Kalenderwoche oder einen Kalendermonat, sondern ab Entwertung 24 Stunden, 7 Tage oder eben vom 7. eines Monats bis zum 6. des Folgemonats gelten. Die Mittel für die Fußwegeunterhaltung wurden auf unsere Initiative hin verdreifacht, eine Verwaltungsstrukturreform wurde begonnen – stockt allerdings gerade aufgrund Bremser in der Verwaltungsspitze. Wir haben für Transparenz beim Kita-Chaos gesorgt, den OBM zur Aufklärung des größten Immobilienskandals nach der Wende getrieben, das Erwirtschaften endlich wieder zum Thema im Stadtrat gemacht und den als Leipziger Modell bekannten Klüngel ein Stück weit aufgebrochen. Wir sind der Gegenpol aus der Mitte der Stadt zur Ganz Großen Koalition aus CDU, Linke, SPD und Grüne! Das wollen wir fortsetzen.

Ist mit dem Leipziger Modell im Stadtrat überhaupt vernünftige Politik zu machen? Oder finden Sie, dass es Zeit ist für ein anderes Modell? Und für welches?

Das Leipziger Modell mag Anfang der neunziger Jahre seine Berechtigung gehabt haben. Heute ist es eine Rathausfilz-Konsenssauce. Es zu überwinden, erfordert, dass die Parteien sich auch von liebgewordenen Ritualen bei der Besetzung von Führungspositionen im Rathaus verabschieden. Weg vom Leipziger Modell heißt: Weniger Parteiproporz, dafür mehr Sachverstand.

Welches Projekt in der Leipziger Politik sollte in den nächsten fünf Jahren unbedingt umgesetzt werden?

Der Schuldenstand der Stadt muss reduziert werden. Alles andere muss zurückstehen. Ansonsten wandern wir in absehbarer Zeit in die komplette politische Handlungs- und Gestaltungsunfähigkeit. Dafür müssen auch unbequeme Ausgabenkürzungen akzeptiert werden. Niemand sollte annehmen, öffentliche Schulden sind Schulden anderer Leute.

Und welches sollte unbedingt unterlassen werden?

Die Erschließung des Lindenauer Hafens – ein Brachgelände – ist wünschenswert. Aber eine Priorität der Stadt mit neuen Risiken für den Haushalt kann es in der jetzigen Situation nicht sein. Unterlassen werden sollten auch Denkverbote über den Abbau von liebgewordenen Besitzständen. Wir sind nicht für einen Kahlschlag in der Kulturförderung. Aber Kulturausgaben in einer zweistelligen Millionengrößenordnung kann sich die Stadt dauerhaft nicht leisten.

Wie finden Sie die Informationspolitik Ihrer Fraktion? Wissen die Leipziger überhaupt, was Ihre Mannschaft in den vergangenen Jahren alles getan und erreicht hat?

Die FDP-Fraktion hat sich einen großen Respekt erarbeitet. Die politische Wirkung im Rathaus war umgekehrt proportional zu ihrer Größe mit vier Stadträten. Ich denke, das ist deutlich, wenn auch vielleicht nicht immer deutlich genug geworden.

Wie halten Sie es mit der Transparenz der Stadtpolitik? Ist für die Bürger überhaupt nachvollziehbar, was in Rathaus und Stadtrat vor sich geht? Und sollte das nicht geändert werden? Haben Sie einen Vorschlag?

Die Zuweisung von Verantwortung für getroffene politische Entscheidungen ist in Deutschland immer schwerer möglich, weil es eine unüberschaubare Vermischung der politischen Ebenen gibt. Europa, Bund, Land, Kommune – es ist schwer, Verantwortungsfelder klar voneinander abzugrenzen. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Eine Lösung wäre auf jeden Fall, dass wir zurück finden zu einem klaren Subsidiaritätsprinzip. Entscheidungen sollten möglich nahe an den Menschen getroffen werden, die sie betreffen. Das erzeugt dann mehr Verantwortungsbewusstsein. Zu mehr Eigenverantwortung gehört übrigens auch die Verantwortung für die eigenen Fehlentscheidungen, die dann wieder Name und Adresse bekommen. Das hört man in Deutschland offenbar nicht so gern.

FDP Leipzig: www.fdp-leipzig.de

Die Stadtratsfraktion der FDP: www.fdp-fraktion-leipzig.de

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